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parallelen Abenteuers überführt hatte. Für Walli war es daher eindeutig, dass diese Plastikbusenschönheit wegen anderer Vorzüge als ihrer administrativen Fähigkeiten auf diesem Posten saß. Dass sie in solcher Frage die obligate politische Korrektheit verließ, war ihr klar. Doch was Sache ist, musste auch Sache bleiben. Durfte nicht schöngeredet werden. Walli war selbst keine Kostverächterin, konnte attraktiven, charmanten Männern nicht widerstehen. Aber sie gab es wenigstens zu. Spielte nicht die Moralische. Das machte eben den Unterschied zu anderen, wie sie fand.

      Wie um ihre These zu erhärten, schlich eine unscheinbare, von Statur her eher zarte, junge Frau zur Sekretariatstür herein. Da sie zuvor nicht angeklopft hatte und gezielt zum leer stehenden Schreibtisch gegenüber der Büroschönheit schlich, fühlte sich Walli Winzer wieder einmal in ihrer Beobachtung bestärkt. Ja, so war das Leben. Unerwartet und doch vorhersehbar. In manchem. Zumindest, wenn es Personen wie Manfred Tuchner betraf, der auf einen bestimmten Frauentypus abfuhr.

      Dem hatte einst auch Walli Winzer entsprochen. Mit ihrem Faible für Markenkleidung. Es war eines ihrer Hobbys: sich ungewöhnlich und hochwertig zu kleiden. Nicht nur, dass sie sich manchmal im Spiegel selbst gerne betrachtete, sondern sie fühlte sich darin eben ungemein wohl. Es hielt ihr vor Augen, dass sie es geschafft hatte. Sie, das Mädchen aus der Wiener Vorstadt, war oben angekommen. Ganz oben. Sie konnte sich solche Markenkleidung leisten und gönnte sie sich hin und wieder. Und das mit Recht! Sie hatte es weit gebracht. Aus einem Gemeindebau. In einer einfachen Wohngegend in Floridsdorf. Zwischen Fabriken angesiedelt. Mit damals noch unasphaltierten Nebenstraßen in einem Arbeiterbezirk am Wiener Stadtrand.

      Vornehme Männer wie Manfred Tuchner sah man dort nicht. Stattdessen zuhauf solche Arbeiter wie ihren Vater, die das Familiengeld im Wirtshaus versoffen. Nicht selten kamen sie am Wochenende erst spätabends nach Hause und ließen ihre Aggression, die sich die Woche über in ihnen aufgestaut hatte, hemmungslos an ihren Familien aus. Diese hatten deren Launen über sich ergehen zu lassen. Die Ehefrauen ohne Job, ohne Zukunft. Aus dem Schlaf gerissene Kinder. Lautes und ungehemmtes Schreien ungeachtet der Nachbarn. Bis zum Verprügeln der heulenden Kinder. Bis alles ruhig war. Vor Erschöpfung.

      Walli war dieser sozialen Hölle entkommen. So, wie sie sich das einst geschworen hatte.

      Nicht nur die Schulungen des zweiten Bildungswegs, sondern auch Männer wie Manfred Tuchner hatten ihr dabei geholfen. Wenn eben auch nicht uneigennützig. Aber der Charme und diese Sinnlichkeit. Da sagte Walli, wenn’s für sie passte, niemals Nein. Sie lächelte in sich hinein.

      »Brauchen Sie noch etwas?«, fragte die blonde Schönheit und blickte erwartungsvoll in Wallis Richtung.

      Die jüngere Farblose hatte inzwischen ihre Jacke ausgezogen und sie über den Kleiderständer neben der Tür gehängt. Aus ihrer Tasche holte sie eine angebrochene Mineralwasserflasche und stellte sie auf den Schreibtisch. In ein Glas, das offensichtlich bereits seit dem Vortag dastand, schenkte sie sich ein. Walli Winzer hatte inzwischen Fotos und Unterlagen, die sie erhalten hatte, verstaut und schloss ihre große Tasche.

      »Danke, jetzt habe ich alles, was ich brauche«, sagte sie und schlüpfte in ihren Blazer. Walli hatte ihn zuvor ausgezogen, da sie dank ihrem verhandlungsstrategischen Geschick wusste, dass Männer – und vor allem solche wie Tuchner – Frauen in Blusen lieber gegenübersaßen. So ein Blazer schuf zwischenmenschliche Distanz, die Walli und Manfred nie gebraucht hatten, auch nicht wollten. Sie wusste, dass sich so auch die modernen Manager kleideten, sie ließen einfach das Sakko weg. Manfred Tuchner war noch vom Old-Fashioned-Männerschlag. Er trug eines. Aus bester Kaschmir-Qualität, wie Walli erkannt hatte.

      Tuchner verlangte von Frauen, dass sie optisch Nähe zu ihm herstellten. Walli hatte bei diesem Rollenspiel durchaus Spaß. Sie setzte Strategie ein. Und es geschah danach immer, was sie wollte. Auch jetzt: Mit wenig Aufwand hatte sie einen top bezahlten Auftrag an Land gezogen! So what!

      Walli Winzer verließ das Sekretariat und hielt abrupt am Gang inne. Sie bemerkte, dass sie ein gewisses Örtchen aufsuchen musste. Immerhin stand einiges an, das in Wien erledigt werden musste, bevor sie später in ihr altes Schulhaus nach Großlichten im Waldviertel zurückfahren wollte.

      In Kürze würde sie sich mit ihrem Exmann treffen, der vorhatte, ihr über die Türkei zu erzählen, ihrem nächsten Reiseziel, wohin sie zu fliegen gedachte.

      Als sie nach dem Gang zur Toilette den Weg zum Lift nahm, kam sie im Flur an einer halb geöffneten Tür vorbei. Walli stellte sich neugierig davor und lugte ins Zimmer. Niemand befand sich darin.

      In einem dahinterliegenden Raum sah sie Manfred Tuchner neben einem Mann am Schreibtisch stehen. Ein weiterer stand mit dem Rücken zu Walli. Sie hatte den Eindruck, Tuchner musste sich vor beiden rechtfertigen. Walli achtete darauf, dass sie niemand sehen konnte.

      Manfred Tuchner drohte. Er ballte seine Faust und erhob sie. Der Mann am Schreibtisch blieb ruhig. Der dritte hingegen war abwehrend und schüttelte verärgert den Kopf. Schließlich gab er Tuchner einen Brief, drehte sich grußlos um und ging übers benachbarte Zimmer auf den Gang.

      Walli Winzer wartete inzwischen vor dem Lift und griff in ihre Handtasche. Gegen ihre Hüfte gedrückt hielt sie die sperrigen Unterlagen und wollte diese gerade anders anordnen.

      Der aufgebrachte Mann ging wutschnaubend zu seinem Postwagen, der vor dem Eingang stand.

      Das war doch allerhand gewesen! Was konnte er dafür, dass Briefe immer wieder verspätet von der Post hier in der Firma eintrafen. Schließlich konnte er nur das verteilen, was im Posteingang der Firma Bachwirken einlangte. Er war ja kein Zauberer und auch kein Hellseher. Also, wie sollte er dann etwas austragen können, was nicht da war? Er verstand ebenso nicht, warum man einen angeblich so wichtigen Brief nicht eingeschrieben aufgab. Was waren das für Geschäftspartner, die ein wichtiges Dokument ohne Sicherheitsvermerk verschickten? Dafür gab’s mittlerweile viele Möglichkeiten.

      Unglaublich, wie dilettantisch derzeit alles ablief. In der Administration und in den Postfilialen.

      Deshalb hatte er ja auch vor einem halben Jahr seinen Dienst bei der Post quittiert. Das war keine leichte Entscheidung gewesen. Doch er war sich zunehmend überflüssig vorgekommen. Seine Ansprechpartner waren nur noch Maschinen gewesen, die im Postvertriebszentrum alle Briefe und Pakete elektronisch erfassten und auf die einzelnen Wiener Gemeindebezirke verteilten. Alles in einem Höllentempo.

      Bei ihm landeten nur solche Fälle, bei denen Maschinen den Adressaten nicht genau erkennen konnten. Ja, im Gegensatz zu diesen Blechtrotteln und manch anderen Kollegen aus Fleisch und Blut konnte er wenigstens noch lesen und schreiben. Auch bei der Post war das nicht mehr überall selbstverständlich. Zumindest nicht in Wien. Daher setzte man bei kniffligen Fällen auf ihn, der dafür bekannt war, jede noch so unleserliche Handschrift entziffern zu können.

      Irgendwann hatte es ihm schließlich gereicht. Nico Salmer hatte gekündigt. Dabei war er mit Leib und Seele Postler gewesen. Doch dann ging’s für ihn nicht mehr. Ohne Menschen, ohne Seele! Jetzt wickelte er die Post für die Firma Bachwirken ab. Manchmal mit Zoff wie heute.

      Seinerzeit als zuständiger Postbediensteter in Großlichten im Waldviertel war alles so harmonisch abgelaufen. Alles und jeden hatte er gekannt. Manchmal war er von den älteren Bäuerinnen auf einen Vormittagskaffee eingeladen worden. Man hatte geredet, sich ausgetauscht. Er erfuhr dabei viel Neues. Im Wirtshaus dann steckte er das ein oder andere seinem Freund, dem Dorfpolizisten Sepp Grubinger. Der konnte sich seinen Reim darauf machen und präventive, also vorbeugende Maßnahmen ergreifen. Ein gutes Team waren sie schon gewesen.

      Der Sepp! Der ging ihm ab. Die Gespräche mit ihm. Ruhig und unaufdringlich. Menschlich eben. Gewalt hatte es deshalb nie bei ihnen im Dorf gegeben.

      Halt! Bis zu dem Zeitpunkt, wo die Wiener PR-Lady Walli Winzer aufgetaucht war. Vielleicht war’s ja auch ein Zufall, dass sie sich immer gerade dort aufhielt, wo etwas los war. Also genauer gesagt, wo ein Mord geschah. Kein Wunder, dass die Leute anfingen, langsam sauer auf sie zu werden und sie bald nirgends mehr gerne gesehen war.

      Na ja, sauer waren die Großlichtenerinnen und Großlichtener schnell auf solche, die nicht aus dem Ort stammten. Das bekam sogar das Nachbardorf zu spüren.

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