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»Fesl« Gietl viel zu gut. Zumal bei Gietl in Sachen Pflichtbewusstsein, Disziplin und Haute Couture eh Hopfen und Malz verloren waren.

      Barthl kannte den Fesl seit Sandkastenzeiten. Sie waren zwar nie wirklich dicke Freunde gewesen, aber aus demselben knorrigen Holz geschnitzt. So hatten die beiden Hundskrüppel den protzigen Schaufelradbagger des tumben Sprösslings des Auer-Bauern mit einem Chinaböller hochgehen lassen, solch »geheime Kommandoaktionen« schweißten zusammen – ein Lebtag lang. Barthl und Fesl waren bald getrennte Wege gegangen, aber sie respektierten sich und halfen einander, wenn es hart auf hart kam. Silvester »Fesl« Gietl war durch reinen Zufall Bulle geworden. In der Schule hatte Fesl nie mit übermäßigen Geistesgaben geglänzt oder sich durch besonderen Fleiß und Ehrgeiz hervorgetan. Eigentlich hätte er den väterlichen Spenglereibetrieb übernehmen sollen, doch nach der mit »Bestnote« bestandenen Gesellenprüfung hatte Gietl junior umdisponiert. Das freie Unternehmertum war seine Sache nicht. Als kleiner Handwerker war man der Depp – Dauerstress mit Bauherrn und Architekten, Ärger mit den Barabern vom Balkan. Da war ihm der Staatsdienst mit geregelten Arbeitszeiten und festem Gehalt weit verlockender erschienen. Fesl hatte eine Ausbildung zum Polizeimeister der zweiten Qualifikationsebene begonnen – und tatsächlich sämtliche Tests und Laufbahnprüfungen bestanden. Was Pföderl, ehrlich gesagt, wunderte. Inzwischen war er in der Besoldungsgruppe A 8 angelangt und schob, wenn irgend möglich, Dienst nach Vorschrift. Mit seinen Kollegen, ja selbst dem Dienststellenleiter der Polizeiinspektion Brannenburg, kam er gut aus. Gietl war zwar ein fauler, gstinkerter Hund, andererseits aber auch ein Pfundskerl, der einen im Ernstfall nicht hängen ließ. »Weshalb haben s’ eigentlich dich hierhergeschickt? Ein solches Engagement sieht dir gar nicht ähnlich«, frotzelte Pföderl.

      »Mei, die Leitstelle hat uns kurz vor sechs angefunkt: Schießerei in der ›Linde‹. Wir waren grad zufällig in der Nähe von Grainbach – was willst du machen. Blaulicht und Sirenen und Vollstoff die Serpentinen nauf«, zuckte Gietl mit den Achseln. »Zugang zum Biergarten sichern, den Tatort mit Flatterbandl absperren – Schaulustige vom Ort des Verbrechens fernhalten, Ersteinvernahme der Zeugen. Genau wie es in unserer Dienstanweisung steht.« Dass er über die Extraschicht nicht sonderlich erbaut war, ließ sich an Fesls sauertöpfischer Miene ablesen. »Zwei Paar Debrecziner, wie wär’ das? Mit Sauerkraut und scharfem Senf. Mittags eine mickrige Fleischpflanzlsemmel, seitdem nix mehr! Unregelmäßiges Essen macht dick – und führt im Extremfall zu Herzrhythmusstörungen. So ein Mord ist gar ned gesund.«

      Pföderl nickte ihm verständnisinnig zu. »Wie schaut’s aus, sind sämtliche Spuren am Parkplatz hinterm Haus gesichert?«, schlug Bartholomäus Pföderl einen dienstlichen Ton an: »Ich würde gern wissen, wer sich da zum Tatzeitpunkt herumgetrieben hat. Ehgartners Diesel-Benz lass ich nachher in die Werkstatt abschleppen. Da sollen ihn die SpuSis auseinandernehmen.«

      Gietl schielte sehnsüchtig nach der Bedienung, die mit voll beladenem Tablett Richtung Stammtisch strebte. Der »Zwischenfall« am Nachbartisch hatte bei den vier Boaznbrüdern offenbar zu keinen posttraumatischen Stress- und Essstörungen geführt. Gietls Lächeln glich dem eines ausgekochten Gauners. »Hund’ san s’ scho’, Buchwieser, Unterleitner und Co.!« Das Kriseninterventionsteam, kurz KIT, des BRK war hier nicht gefragt. Sein Schul-Spezl setzte sein Käppi ab und strich sich einige schweißnasse Strähnen aus der Stirn. »Gfrei ich mich auf eine Dusche – mei Hemad pappt auf der Haut. Was meinst, Barthl, wann sind wir hier fertig?«

      »Das wird noch a bisserl dauern. Wenn die Kriminaltechniker ihre Alu-Köfferchen packen, rücken wir auch ab.« Pföderl reckte den Hals, um der Bedienung ein Zeichen zu geben.

      »Bestellst du mir oans mit, hab ich einen Durst«, ließ Gietl verlauten. Um ein paar Pluspunkte zu sammeln, kam er auf die Spurenlage zu sprechen. »Die Ausbeute ist bislang reichlich mager, eine Bierdose Marke Pilsner Urquell, eine 0,7-Liter-Flasche Puschkin Pink Grapefruit, gibt’s bei Edeka, eine völlig zermanschte Zigarilloschachtel und ein noch halbvolles Packerl Pariser, Hausmarke eines Drogerie-Markts, Preventivo Sensitive. Mehr war da ned.«

      Pföderl seufzte. »Was diese Dreckspatzen ned alles wegschmeißen. Und am Parkplatz selber?«

      »Auf dem asphaltierten Teil wimmelt es von Ölflecken, Reifenabrieb et cetera, aber ich bezweifle, dass man die vorhandenen Spuren bestimmten Fahrzeugtypen zuordnen kann. Weiter hinten hat die Straße einen festen Kiesbelag, auch nicht grad ideal.«

      Pföderl winkte ab. »Eh ned, kannst vergessen! Aber du kennst doch den Orterer, diesen Gschaftlhuber.« Eigentlich mochte er »Gollum«, wie er den Chef der Kriminaltechnik hinter vorgehaltener Hand nannte, ganz gut leiden. Fritz Orterer war ein Unikum, der mit einem gepflegten schwarzen Humor gesegnet und stets zu deftigen, nicht ganz jugendfreien Späßen aufgelegt war. Mit »Gollum« konnte man prima um die Häuser ziehen und die Korken knallen lassen. Einem erlesenen Whiskey oder Sherry war Orterer nie abgeneigt. Im Grunde war er ein cooler Typ, der sich auf seine fachlichen Fähigkeiten und seinen ausgeprägten detektivischen Spürsinn nichts einbildete, was Barthl allerdings auf den Senkel ging, war sein Hang zu Pedanterie und Besserwisserei. »Mich interessiert viel mehr, wo der Rest von der Schafkopf-Runde abgeblieben ist. Die waren doch alle mit dem Auto da, oder irre ich mich?«

      Gietl lachte trocken: »Der Rest, ha, das hast schön gesagt, Barthl! Der Sepp und der Vitus werden so weit nicht sein – auf den Schreck nauf nageln sie sich garantiert die Birne zu.«

      Pföderl zog die Brauen hoch. »Nicht dein Ernst, oder! Und diese Gmoadeppen sollen Staatsdiener respektive im Vorruhestand sein? Hauptsache sie kassieren ab, oder?«

      In einer entschuldigenden Geste zuckte der Polizeiobermeister mit den Achseln. »Ja mei, vielleicht verfolgt der Sepp ja auch eine heiße Spur. Der meldet sich schon noch! Aber wo ist dieser Jeep-Fahrer aus Tirol hin, hm?«

      Der Kommissar zwirbelte sein kümmerliches Kinnbärtchen – und nahm sich vor, sich morgen vor Dienstantritt gründlich zu rasieren. »Seit einer knappen Stunde läuft doch die Fahndung nach einem SUV, einem X3 oder so, der angeblich oben beim Friedhof gesehen worden ist. Und auf Teamwire heißt es, dass wir nach einem Mann mit doppelläufiger Flinte suchen, der dort oben herumgeballert und ein Trafohäuserl zerlegt hat. Da kenn sich noch einer aus …«

      Gietl nickte gedankenschwer. »Wir verschwenden hier bloß unsere Zeit, sag ich dir.«

      Der Kriminaloberkommissar musste dem Streifenbullen insgeheim recht geben, auch er zweifelte an der Sinnhaftigkeit ihres Tuns. Wenn die »Bluthunde« die Fährte des Täters aufgenommen hatten, gab es Wichtigeres, als den Tatablauf minutiös zu rekonstruieren und dazu Zeugen zu befragen, die wenig gehört und noch weniger gesehen hatten. Pföderl war ein ruhiger, besonnener Mensch, den so leicht nichts aus der Fassung brachte. Doch er hatte eine cholerische, aufbrausende Ader. »Fix noch einmal, wo bleibt denn unser Bier. Rollen die das Banzl vom Kirchenwirt hoch?«

      Oben Schaum, unten Traum. Zwei Weißbier-Humpen standen perlend und schäumend vor ihnen auf dem Tisch. Das herbe, dennoch leicht süßlich schmeckende Manna rieselte ihre Kehlen hinab. »Ahh, irgendwie scho’ schad um den Ehgartner. Ein gutes Bier hat er gemacht!« Pföderl war wieder eins mit sich und der Welt. »Was meinst, Fesl? So ein Weißbier ist ein wahres Lebenselixier, ha? Geht aufs Haus, sprich auf Spesen.«

      Gietls Grinsen war so breit wie die Koteletten von Elvis. »Die Kellnerin hat ausgesagt, dass der Biergarten zum Tatzeitpunkt noch so gut wie leer war. Bis auf die Stammtischbrüder und die vier Kartler am Tisch fünf. Sie hat alle Gäste einwandfrei identifiziert. Allein der vierte Mann war vorher noch nie hier gewesen, ein eingebildeter, eitler Gigerl mit Fieslings-Visage.«

      Der Kommissar spöttelte launig. »Mit unserem Face Design System FACETTE müsste sich doch ein Phantombild erstellen lassen. Heut’ gibt’s doch für jeden Scheiß eine App oder ein Tool. Sollen die Computer-Heinis einen Steckbrief des Gesuchten basteln – und rein damit in die webbasierten Fahndungssysteme. INPOL, POLAS, SIS und wie das ganze Graffe heißt. Sobald wir wissen, wer der Goaßenficker ist, kriegen wir ihn auf den Schirm: Alter, Gewichtsklasse, Schuh- wie Schwanzgröße.«

      Gietl mochte kein Muster an Zuverlässigkeit und Pflichteifer sein, aber auf den Kopf gefallen war er nicht, selbst wenn er sich gern in Schwejkscher Manier die Maske des einfältigen, minderbemittelten

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