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Doppel- und Dreifachgaragen anfangen.«

      Reimers kam sich wie ein biederer und begriffsstutziger Provinz-Profiler vor, der nichts wirklich Wesentliches zur Aufklärung des Falls beisteuerte. »Hut ab, das ging ja flott!« Mit einem Auge linste er auf die Zeiger der Armbanduhr. »Die Mord-Meldung kam erst vor knapp zweieinhalb Stunden rein.«

      Der Chef-SpuSi wiegelte ab: »Ich war grad zufällig ums Eck – und fürs Herumsitzen werde ich schließlich nicht bezahlt. Ah, da wäre noch etwas, kommen Sie.« Mit einer energischen Handbewegung bedeutete er dem Kommissar, ihm zu folgen.

      Im Trippelschritt steuerte Orterer auf die mannshohe Mauer zu, die den Friedhof auf der Südseite umschloss: »Hier hat noch jemand herumgeballert, und zwar mit einer Schrotflinte. Magnum-Patronen Kaliber 12, Hülsenlänge 76 Millimeter.«

      Reimers dackelte wie ein getreuer Jagdhund hinterher – langsam wurde ihm dieser Wunderknabe unheimlich. »Weshalb das? Das ergibt doch nur einen Sinn, wenn es jemand auf den Täter abgesehen hat. Aber wenn ich einen Mitwisser beseitigen will, dann doch nicht hier, sondern an einem stillen Örtchen.«

      »Na ja, es könnte sich auch um jemanden handeln, der den Mord verhindern wollte«, mutmaßte Orterer. »Wir haben drei Hülsen respektive die Geschossböden der Schrotpatronen eingetütet. Das Zeug ist aus Messing und glänzt, dass jede Elster neidisch wird.« Behände erklomm Orterer die Böschung und tastete sich am Mauerwerk entlang. An mehreren Stellen war der Putz abgebröckelt. »Sehen Sie, überall feiner roter Ziegelstaub.« Der Kommissar fuhr mit den Fingerspitzen über die betreffende Stelle. Orterers Diagnose war auf den Punkt: Eine Schrotladung – kleine Eisenkügelchen aus Hartblei – hatte die Wand durchsiebt, Schrammen und Furchen hinterlassen.

      Reimers arbeitete ungern mit ungesicherten Hypothesen, doch die Spuren legten die Vermutung nahe, dass ein Unbekannter auf den Attentäter gefeuert hatte – in klarer Tötungsabsicht: »Deswegen hat der Mordschütze so überstürzt reagiert. Er hat bemerkt, dass ihm jemand auf den Fersen ist. Auf dem Weg zum Wagen wurde er beschossen – aus einer Jagdflinte.«

      »Plausibles Szenario.« Orterer nickte zustimmend. Dunkelheit kroch aus den Ritzen des Gemäuers.

      Die rußgeschwärzte Ruine der Trafostation erinnerte ihn an ein Spukschloss. »Noch ein Sonntagsschuss – der einen Kurzschluss und eine Detonation verursacht.«

      »Licht aus, Spot an«, kommentierte Orterer lakonisch. Er wiegte den Kopf – und schien Reimers Hypothese in Zweifel ziehen zu wollen: »Nun, es ist Ihre Aufgabe, den Tathergang zu klären. Ich würde aber annehmen, dass der Mann mit der Flinte von hier drüben den Hang hochkam.« Orterer deutete auf ein weites, freies Feld. Das Gelände stieg nur sanft an – und war frei einsehbar. Es erschien Reimers unwahrscheinlich, dass jemand das Risiko einging, einfach so querfeldein über die Wiese zu hoppeln. »Gleich nach Sonnenaufgang lass ich das Terrain abgrasen, vielleicht findet sich was. Ein Stofffetzen an einer Brombeerranke, ein Faserrest, ein Papierfitzelchen, irgendetwas.«

      Reimers blieb skeptisch: »Wenn unser Mister X von dort kam, hätte er doch mitbekommen, dass hier oben scharf geschossen wird. Wer begibt sich freiwillig auf ein solches Himmelfahrtskommando?« Reimers strich über den völlig zerknitterten Kragen eines teuren, taubenblauen Leinenhemds. Er hatte am Morgen sein Outfit mit ungewöhnlicher Sorgfalt zusammengestellt, um sich bei der Kneiptour mit dem stets modisch akkurat gekleideten »Dressman« Dirk keine Blöße zu geben. Nach der Landpartie sah er jedoch wie eine zerzauste Vogelscheuche aus.

      Orterer ließ nicht locker, der Gedankengang des Kommissars leuchtete ihm nicht recht ein: »D’accord! Was wissen wir? Sämtliche Indizien legen die Vermutung nahe, dass der Attentäter ein Amateur ist. Welcher Profi-Killer würde achtlos seine Kippen – übrigens der Billigmarke ›Giants‹ – wegschnippen?« Das Argument war durchaus stichhaltig – im menschlichen Speichel fand man eine Vielzahl von Stoffen, Proteine, Aminosäuren, Enzyme sowie eine bunte orale Mikroflora. Der Speichel enthielt aber auch – und das war entscheidend – Zellmaterial. Aus den Zellen der Mundschleimhaut ließ sich DNA isolieren. Somit hatte ihnen der Täter einen lupenreinen genetischen Fingerabdruck hinterlassen.

      Kommissar Reimers versuchte sich in einer diabolischen Taktik, der Dialektik. Er schlug den Spagat zwischen These und Antithese, um seine eigene Hypothese infrage zu stellen. »Nehmen wir mal an, jemand ist so tollkühn und stürmt den Hügel hoch. Wo ist er dann hin?«

      Orterer überlegte. »Gehen wir davon aus, dass unser Attentäter in Panik gerät. Was macht er?« Reimers nahm die Flanke volley: »Er türmt – und sein Verfolger setzt ihm nach.« Falls ihre Schlussfolgerung zutraf, dann war der Jäger zum Gejagten geworden. Er war auf der Flucht. Und würde Fehler machen.

      Schellen Acht

      Das war ein Fall ganz nach seinem Geschmack. Ein laues Lüftchen wehte und es war auch am Abend noch angenehm warm. Falls es den Himmel auf Erden gab, dann lag er im Schatten eines Kastanienbaums. Ein Baum wie Bayern. Unter einer stacheligen Schale verbarg sich eine harte Nuss. Pföderl hockte breitbeinig an einem der Wirtshaustische und sah sich in aller Gemütsruhe um. Es gab schlimmere Orte, um den Löffel respektive den Maßkrug abzugeben, fand er. Bartholomäus Pföderl war Bayer – und erst in zweiter Linie Kriminalbeamter. Jemand, der das bayerische Erbgut mit der mit Spuren alkoholhaltiger Essenzen angereicherten Muttermilch eingesogen hatte, wusste, dass Himmel und Hölle, Gut und Böse wie Yin und Yang, wie Brathendl und Bier waren. Symbiotisch eben. Der Tod gehörte zum Leben, da führte kein Weg dran vorbei. Die Spatzen tschilpten, die Meisen zwitscherten und Barthl ließ sich ein dunkles Weißbier schmecken. Dienst hin, Dienst her. Ein Mord im Biergarten, was konnte es in seinem Beruf Schöneres geben? Nur die Kriminaltechniker, die mit Pinzette und Klebeband bewaffnet den Boden mit der Gründlichkeit eines unter zwanghaftem Putzfimmel leidenden Saubermanns absuchten, störten ein wenig den Frieden. Unter normalen Umständen hätte Kriminaloberkommissar Bartholomäus Pföderl im »Schützenstüberl« in der »Alpenrose« oder beim »Maurer« gesessen, um die blaue Stunde mit einem Bräuberger-Hell vom Fass einzuläuten. Bei einem Gewaltverbrechen dieses Kalibers galt allerdings Präsenzpflicht – da konnte Barthl schlecht eine Auszeit nehmen. Doch das »Savoir vivre« bestand ja gerade darin, aus der Not eine Tugend zu machen. Mit wahrem Genuss leerte er das kelchförmige Glas. »Mei, des schmeckt heut’ schon wieder!« Eine klobige, schwarz bepelzte Pranke wischte die Schaumspritzer von der Oberlippe. »Ah, oane geht scho’ no’, ha?« Es war eine rhetorische Frage. »Wie wär’s mit einem Wurstsalat oder einem kalten Braten mit Kren und Gürkerl?« Der Einwurf seines Kollegen von der Streifenpolizei erinnerte den Kriminaloberkommissar daran, dass ihn eine dienstliche Obliegenheit hierher, in die Greinbacher »Linde«, geführt hatte. »Mir knurrt der Magen, fix! Die ewige Fragerei macht hungrig und durstig!« Ein hochgewachsener, dabei kräftig gebauter Mittdreißiger in moosgrüner Montur plumpste auf die Bierbank neben ihm. Seine Mütze saß schief, das Hemd hing ihm halb aus der sandfarbenen Hose. Die Schulterstücke der zerknitterten Uniformjacke zierten drei Sternchen – was den nicht ganz vorschriftsmäßig gekleideten Mann als Polizeiobermeister auswies.

      »Jetzad reiß dich a bisserl zusammen, Fesl, du läufst ja umanand wie der letzte Grattler. Stopf dir zumindest dein Hemad in die Hosen.« Bartholomäus Pföderl war Kommissar bei der Kriminalpolizeiinspektion Rosenheim. Der »gschlamperte Uhu« war ihm nur für die Dauer der Ermittlungen vor Ort als Hiwi zugeteilt worden. Barthl selbst trug – wie fast immer – Inntaler Tracht und legte einen gewissen Wert auf ein gepflegtes Äußeres. Sein Vorgesetzter, Hauptkommissar Reimers, war anderweitig beschäftigt, also war er der Chef im Ring. Armin Reimers war eigentlich ganz in Ordnung, ein eher zurückhaltender Typ, der fachlich kompetent, umgänglich und ohne Allüren war, manchmal sogar witzig und schlagfertig sein konnte. Aber er war halt ein Münchner und ein Preiß obendrein. Pföderl hatte prinzipiell nichts gegen Preißen und hegte keinerlei Vorurteile gegenüber Menschen anderer Provenienz. Wenn ein Poncho-Indio in der Rosenheimer Fußgängerzone auf seiner Panflöte herumsuckelte – warum nicht? Da war er durchaus tolerant. Barthl war jedoch aus langjähriger Erfahrung heraus zu der Überzeugung gelangt, dass ein Bayer einer anderen, besonderen »Spezies« angehörte. Ohne dass dies irgendwie abwertend gemeint war, galt eben der eherne Grundsatz: It’s nice to be a Preiß, but it’s higher to be a Bayer! Er würde jedenfalls

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