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Oke lief los, bereit, den Striethammel aus einem Flammeninferno zu ziehen. Auf halbem Weg kam ihm besagter Striethammel im Bademantel entgegen: Ein Feuerwehrmann hielt ihn am Arm gepackt: »Moin, Oschi, kannst du dich mal kümmern? Er wollte uns am Löschen hindern!«

      Oke lächelte das erste Mal an diesem Tag und meinte: »Ich kette ihn im Haus an die Heizung.«

      Mit eisernem Griff brachte Oke einen zeternden Tietjen ins Haus, wo er ihn zwar nicht ankettete, aber einem gerechten Gott überließ, der just eingetroffen war. Kölsch vor dem ersten Kaffee würde für Tietjen hoffentlich ebenso hart sein wie eine unbequeme Position am Fuße der Röhrenheizung.

      So bald wie möglich wollte der Kommissar den Tatort in Augenschein nehmen. Als Oke am Löschfahrzeug ankam, löste sich ein Mann aus der Gruppe. Gruppenführer Hajo Hesse erstattete sofort ungefragt Bericht: »Irgendein Dööskopp hat am Bienenstand ein Feuerchen gelegt!«

      Oke sah auf die prasselnden Flammen, die hochschlugen, als wollten sie den halben Wald verschlingen. Oke spürte die Hitze auf seiner Haut. Wenn er hier länger herumstand, würde sie seine Bartstoppeln versengen. »Kriegt ihr das hin?«

      Es musste wohl ganz Ostholstein in Schutt und Asche liegen, bevor der Feuerwehrmann unruhig wurde. »Wir haben’s gleich. Meine Jungs wissen, was sie tun«, sagte Hesse gelassen. Er hüstelte verlegen. »Meine Jungs – und das Mädel«, fügte er schuldbewusst hinzu. Die Freiwillige Feuerwehr Hohwacht/Neudorf hatte erst kürzlich ein weibliches Mitglied hinzugewonnen. Offenbar musste Hesse seinen Sprachgebrauch erst der neuen Situation anpassen. Oke nickte. »Wer hat euch informiert?«

      Hesse zeigte zum Forsthaus. »Die Frau des Försters. Völlig fertig, die Arme. Sollte man einem Arzt vorstellen.« Hesse deutete auf die verkohlten Reste des Schuppens: »Der war nicht zu retten und die Bienen … tja … keinen Schimmer, ob welche überlebt haben. Ich denke, eher nicht.« Oke vernahm Bedauern in der Stimme des Brandschützers.

      Kurzzeitig übertönte das Rauschen des Wassers aus den Löschfahrzeugen Hesses kräftige Stimme, ein zweites war nun im Einsatz.

      Sein Team leistete ganze Arbeit. Als Oke endlich an den Bienenstand durfte, war der Boden komplett durchnässt. Überall gab es tiefe Pfützen. »Warum wollte Tietjen nicht, dass ihr das Feuer löscht?«

      Der Gruppenführer tippte sich an die Stirn: »Der Kerl ist doch ein Wichtigtuer. Meinte, dass die überlebenden Bienen Schaden nehmen könnten. Aber wir können das Wasser wohl schlecht durch Strohhalme pusten, oder was denkt der sich?«

      Feuer und Wassermassen hatten alles im Chaos versinken lassen: Die schwarzen Reste der Holzkästen schwammen in Schlammpfützen, überall fanden sich Bruchstücke von Honigwaben. Der Schuppen bestand lediglich aus verkohlten Überresten.

      Als Oke etwas Helles im Matsch aufblitzen sah, bückte er sich ächzend. Er war auch schon mal sportlicher gewesen.

      Aufmerksam betrachtete er den triefenden Feuerwerkskörper in seiner Hand. Ein Totenkopf zierte das Papier: Polen-Böller. Illegale Kracher, die die große Gefahr von Fehlzündungen bargen.

      Oke sah noch nicht klar. War das hier ein Dummejungenstreich? Oder hatte jemand eine Rechnung mit dem Förster zu begleichen? Die Böller konnten von überallher stammen.

      Vorsichtig machte er ein paar Schritte nach rechts und seine braunen Halbschuhe versanken in der weichen Erde. Er suchte nach Schuhspuren. Diese fand man an Tatorten häufiger als Fingerabdrücke, und auch die Abdrücke der Sohlen konnten Ermittlern Aufschluss über eine Menge Dinge verschaffen. Der Sohlen-Spezi bei der SpuSi hatte ihm mal erklärt, inwiefern Sohlenabdrücke sogar etwas über die Herkunft der Täter verrieten.

      Oke hegte allerdings wenig Hoffnung, in dieser Schlammwüste überhaupt eine Spur zu finden. Und zwar nicht nur, weil es tagelang trocken gewesen war und die Feuerwehr große Pfützen und tiefe Spurrillen hinterlassen hatte. Sondern vor allem, weil seine Brille im Auto lag!

      Bei seiner weiteren Suche fiel sein Blick auf eine Wabe. Eine Biene irrte darauf umher, als suchte sie nach Überlebenden. Ein Tropfen Löschwasser glitzerte auf ihrem Pelz. »Wat ’ne Quäleree«, murmelte er.

      Misshandlung von Tieren wurde bei Wirbeltieren nach Paragraf 17 Tierschutzgesetz geahndet. Hundebesitzern, die ihre Tiere qualvoll verhungern ließen, drohten Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren. Er wusste nicht, was einen Bienenmörder erwartete.

      Und dann waren da noch Brandstiftung und Sachbeschädigung. Nachdenklich ging er noch ein Stück weiter, wieder zurück Richtung Forsthaus, wo die Erde fester wurde. Keine drei Minuten später stieß er auf einen halbwegs brauchbaren Abdruck, einen halben Schuhabdruck. Oke stieß einen Pfiff aus: Der mutmaßliche Täter hatte einen Abdruck mit Wabenmuster hinterlassen.

      Gerade überlegte er, ob der Abdruck von Tietjen selbst stammen könnte, als der Förster unvermutet auftauchte. »Der Schaden geht in die Zehntausende! Schreib das mal schön in deinen Bericht rein!«

      Oke richtete sich zu voller Größe auf: »Verdammig, Kurt Tietjen, du solltest im Haus bleiben! Willst du, dass ich dich festnehme?«

      Kurt Tietjen blinzelte. »Wenn du eine Anzeige wegen Freiheitsberaubung riskieren willst!«, kam es grob zurück.

      Einerseits würde er sich nie im Leben von diesem Aushilfsförster sagen lassen, was er in seinen Bericht zu schreiben hatte. Andererseits brauchte er dafür die Einschätzung des Eigentümers zum Ausmaß des Schadens. 10.000 Euro erschienen ihm jedoch sehr viel. »Wir werden einen Sachverständigen zu Rate ziehen. Du kannst mir aber schon mal deine Schuhsohlen zeigen.«

      Er hätte Tietjen auch bitten können, sich nackt auszuziehen. Der Effekt wäre der gleiche gewesen. »Gibt es für diese Anordnung einen gerichtlichen Beschluss?«, fragte Tietjen mit vor der Brust verschränkten Armen.

      Aber diesmal würde der Sturkopp nicht mit seinen Fisimatenten durchkommen. Diesmal war das Gesetz eindeutig auf Okes Seite: »Zeig deine Schuhe oder ich nehme dich mit auf die Wache!« Kurt Tietjens Sohlen zierte ein Rautenmuster, wie er feststellen konnte, als der Förster mit verkniffenem Gesichtsausdruck den rechten Fuß anhob. »Hast du jemanden noch mehr geärgert als mich oder warum ist dein Bienenstand in die Luft geflogen?«, fragte Oke.

      Kurt Tietjen sah ihn böse an. Er schien seine Antwort sorgfältig abzuwägen. »Was habe ich damit zu tun, wenn irgendwelche Idioten ein Feuerwerk im Wald veranstalten?« Demonstrativ schaute er auf den nassen Böller in Okes Hand.

      »Du meinst, das Inferno hier hatte nichts mit dir zu tun?«, bohrte Oke nach.

      Kurt Tietjen wirkte selbstsicher, wie er da in seinem Bademantel im Luftzug stand: »Wer sollte mir was Böses wollen?«

      Oke hätte sich durchaus jemanden vorstellen können. Dieser Jemand war überdurchschnittlich groß, uniformiert und an überfahrenen Wildtieren interessiert. Zu Tietjens Glück nahm es dieser Jemand mit dem Gesetz sehr genau.

      »Ich bin von der Knallerei draußen aufgewacht«, berichtete etwas später die aufgelöste Annemie Tietjen. Um die Schultern trug sie noch die fusselige Decke. Ihre Frisur erinnerte Oke an ein aus dem Baum gefallenes Vogelnest.

      Sie saßen zu viert in Tietjens Stube, das Ehepaar Tietjen, Gott und er. Unbequemer ging es nicht: Sein Hintern klemmte zwischen den beiden Lehnen eines Polstersessels, der ohne Weiteres in einem Puppenhaus hätte stehen können. Während er sich wie im Schraubstock fühlte, tippte Gott munter die Aussagen des Ehepaares in seinen virtuellen Memoblock.

      »Haben Sie jemanden gesehen?«

      Annemie machte einen unentschlossenen Eindruck: »Nein … Es war dunkel.« Er glaubte ihr nicht recht. Ihr Zögern hatte ihn stutzig werden lassen. War es wirklich dermaßen finster gewesen? Musste der Himmel nicht wie in einer Silvesternacht geleuchtet haben? Womöglich kannte sie den oder die Täter und wollte diese schützen? All das ging ihm im Bruchteil einer Sekunde durch den Kopf.

      Auf dem Schoß hielt er derweil eine Miniatur-Teetasse, deren blassgelber Inhalt ihn an einen Krankenhausaufenthalt in Kindertagen zurückdenken und erschaudern ließ. Die Tasse hatte Kurt Tietjen, der leider immer noch nicht festgekettet

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