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beide waren ein richtig gutes Team. Nachdem sie Toni den Vorschlag unterbreitet hatte, blühende Obstwiesen am Rande der Golfbahnen anzulegen, um einen Lebensraum für Insekten zu schaffen, hatte er sich sofort um Fördergelder bemüht. Und wo standen sie heute? Die »Hohwachter Golflese« war der Hit. Sie hatten einen großen Korb im Foyer des East-Coast-Clubs aufgestellt, und Toni musste ständig Gläser nachlegen.

      Wobei einige Golfmitglieder bedauerlicherweise dachten, der Honig sei im Klubbeitrag enthalten. Die kleine Kasse, die auf einem Regal neben dem Korb stand, ließ das jedenfalls stark vermuten.

      »Tilda – hörst du mir überhaupt zu?« Tonis Stimme kratzte in ihrem Ohr. »Die wollen die Golflese landesweit anbieten!«

      Sie brauchte einen Moment, um zu realisieren, was er gerade gesagt hatte: Die Supermarktkette Jensen Co. KG GmbH aus Eutin wollte die Golflese in ganz Schleswig-Holstein anbieten? Also waren sie auf das Angebot eingestiegen. Das hätte sie nie für möglich gehalten. Tilda unterdrückte einen Jubelschrei. »Im Ernst? Toni, das ist ja total irre!«

      Seine nächsten Worte sorgten allerdings dafür, dass ihr Hochgefühl schlagartig verschwand: »Du hast da einen ziemlich dicken Auftrag an der Backe … Sie wollen in jedem ihrer Märkte 30 Gläser anbieten – als Aktionsware. Solange der Vorrat reicht.«

      Tilda schluckte: »Wie viele Filialen betreibt Jensen in Schleswig-Holstein?«

      Tonis Antwort zog ihr den Boden unter den Füßen weg: »Ich glaube, die Dame hat 55 gesagt. Und sie wollen mindestens fünf Euro pro Glas zahlen.«

      Sie schwieg, während sie im Kopf ausrechnete, wie viel Honig sie brauchte, wenn sie dem Konzern 30 Gläser pro Markt zur Verfügung stellen wollte. Sie schätzte, dass es um 500-Gramm-Gläser ging. Das war die handelsübliche Füllmenge. Sie bräuchte 825 Kilo Honig. Und viele Gläser: 1650, um genau zu sein.

      Fieberhaft arbeitete ihr Hirn, um die nächste Rechnung aufzumachen. Sie besaß 60 Völker. Im Juni würde sie mindestens 600 Kilo Honig ernten, hoffte sie. Pro Volk zehn Kilo. Die Ernte fand zweimal im Jahr statt, aber ausgerechnet die Frühjahrsernte Ende Mai, Anfang Juni fiel oft magerer aus als die Sommertracht. Würde sie genug Honig zusammenbekommen, um Jensen beliefern zu können?

      »Das Ganze ist kurzfristig geplant, weil ihnen ein Lieferant abgesprungen ist. Du müsstest in den nächsten zwei Wochen liefern«, berichtete Toni und ihre Laune sank. Die Sommertracht könnte sie in dem Fall nicht einkalkulieren. »Scheiße«, entfuhr es ihr. Denn sie hatte just festgestellt, dass ihr circa 200 Kilo Honig zu einem neuen Leben fehlten.

      »Du willst Jensen doch nicht absagen, oder? Überleg mal, welche Chancen dir entgehen würden!« Toni machte sich seit der Scheidung ständig Sorgen um sie. Er hatte offenbar den Eindruck gewonnen, dass sie ohne Konrad nicht wirklich zurechtkam. Sie wusste, er meinte es nur gut mit ihr. Gleichzeitig ärgerte es sie, wenn er ihr reinredete.

      Sie wusste selbst, dass es verrückt wäre, den Deal abzusagen. Falls sie tatsächlich fünf Euro pro Glas bekäme, könnte sie mit 8.250 Euro auf einen Schlag rechnen und davon nicht nur die Autoreparatur zahlen. Also theoretisch. Toni müsste sie natürlich etwas vom Gewinn abgeben. Aber bitte: Im Juli könnte sie die Sommertracht ernten. Wenn sie Glück hatte, kämen dabei pro Volk 15 bis 20 Kilo Honig zusammen. Langfristig würde sie weitere Völker anschaffen, Leute einstellen, reich werden.

      Tilda sah sich bereits unter einem blühenden Apfelbaum auf dem Golfplatz stehen, das Haar zu sanften Wellen gelegt, in irgendein tolles Kleid gehüllt. Ein süßer langhaariger Kameramann würde eine Großaufnahme von ihr machen. Unter dem Bild würde ein kurzer Text eingeblendet: »Tilda Schwan, Schleswig-Holsteins erfolgreichste Honigproduzentin.« Dann würde sie lächeln und ein paar geistreiche Sätze vom Teleprompter ablesen. So etwas wie: »Helfen Sie den Bienen, kaufen Sie Tildas Golflese.«

      Sie hörte Toni am anderen Ende der Leitung fragen: »Was soll ich Jensen nun eigentlich von dir ausrichten?«

      Abends wollte sie zu Wencke Husmann. Die Fischbudenbesitzerin hatte sie eingeladen. Sie wollte am Ruhetag etwas für ihre neue Speisekarte im Fischhus ausprobieren. Die Karte wurde neuerdings immer offener im Ort kritisiert. Nicht alle Einheimischen, darunter vor allem die Älteren, konnten etwas mit der veganen Rote-Linsen-Kokos-Suppe anfangen.

      »Man muss ihnen die neue Küche anders schmackhaft machen«, hatte Wencke gemeint. »Am besten führt man sie mit etwas Althergebrachtem heran, mit etwas, was sie kennen.« Inse hatte entgegnet, dass die meisten Leute im Fischhus wohl ein Fischbrötchen erwarteten.

      Natürlich ging Tilda zu dem privaten Kochabend. Sie nahm jede Chance wahr, abends nicht allein auf dem Sofa zu hocken. Seit Konrads Auszug wirkten die Zimmer plötzlich leer. Sie hatte deswegen bereits ein paar Topfpflanzen aufgestellt. Aber das half nur tagsüber. Abends konnte nichts darüber hinwegtäuschen, dass sie einsam war.

      Eigentlich hätte sie schon vor fünf Minuten bei Wencke sein sollen, aber sie konnte ihren Haustürschlüssel nirgends finden. Wo steckte der bloß wieder? Konrad hätte jetzt gemeckert, dass sie keinen festen Platz für die Dinge hatte: »Wie kann ein Mensch so chaotisch sein?«

      Hatte es an ihr gelegen, dass ihre Beziehung gescheitert war? Und nicht an diesem drallen Unterwäschemodel? Sie wusste überhaupt nicht, was er an dieser langweiligen Sarah fand. »Besser langweilig als so konfus wie du!«, hatte er sie am Tag ihrer Trennung angeschrien und dann einen Schuh gegen das Fenster geworfen, wo gerade ein verwirrter Teilnehmer des Kurses »Bau dir eine Vogeltränke« geklopft hatte, weil sie ihm einen falschen Termin genannt hatte.

      Wo konnte nur dieser bescheuerte Schlüssel sein? Ohne konnte sie das Haus nicht verlassen. Nachdem sie ihre Handtasche durchsucht, die ausrangierte Keksdose mit dem Kleingeld wütend über den Bodenfliesen ausgekippt, sämtliche Einkaufstaschen durchwühlt, aber nur Bons und ein klebriges Hustenbonbon gefunden hatte, entdeckte sie den Schlüssel zuletzt doch in ihrer Handtasche.

      »Wusste ich es doch. Mein Schlüssel ist immer in der Handtasche«, murmelte sie zufrieden und suchte auf einem Haufen abgelegter Kleidungsstücke ihre Jacke aus schwarzem Lederimitat. Der Stapel kippte vom Stuhl und die Kleidungsstücke verteilten sich auf dem Teppich.

      Gereizt bemalte sie sich mit knallrotem Lippenstift die Lippen, presste diese anschließend hart aufeinander, schmatzte laut in den Schlafzimmerspiegel und biss auf ein Taschentuch, was die überschüssige Farbe aufsaugen sollte. Zufrieden betrachtete sie ihr Spiegelbild.

      Sie zog die Haustür ins Schloss und atmete die würzige Gartenluft ein. Energisch trat sie den Ständer ihres Fahrrades beiseite. Sie würde sich heute Abend gewiss nicht selbst die Laune verderben, indem sie weiter über Konrad grübelte. Er würde schon sehen, wen er sitzen gelassen hatte.

      Als sie, erhitzt von ihrer Wut auf Konrad und der körperlichen Betätigung an frischer Luft, am Fischhus ankam, hatten die beiden anderen Frauen schon die Köpfe über ein Blatt Karo-Papier zusammengesteckt. Sie erkannte Inses säuberliche Handschrift. »1 TS Gemüsebrühe, 3 EL Ei-Ersatz«, las sie über die Schulter der Freundin. »Was kochen wir eigentlich?«, erkundigte sie sich.

      Wencke sah sie groß an: »Na, vegane Fischfrikadellen. Schon vergessen?« Sie hatte es wohl eher verdrängt. Im Grunde genommen hasste sie Kochen. Sie bereitete nie etwas Komplizierteres als Nudeln zu. »Was ist das?«, fragte sie und drehte ratlos eine Dose in den Händen.

      »Jackfruit in Salzlake. Das Zeug hat Inse aus dem Asiamarkt in Kiel mitgebracht – für die Frikadellen. Eignet sich bestens, weil es so schön faserig ist.« Sie tat interessiert: »Aha.« Dann betrachtete sie die grünen Platten, die Inse aus einer Plastikfolie holte. »Sind das Algen?«, fragte sie. Inse war so mit der Folie beschäftigt, dass sie nicht aufsah. »Ja, Nori-Algen. Damit kann man auch Sushi machen.«

      Sie spürte eine leichte Eifersucht aufkommen. Die anderen beiden waren schon so lange befreundet. »Und was soll ich machen?«, fragte sie. Wencke warf ihr eine Zwiebel zu: »Hacken.« Sie zeigte auf ein Glas. »Und danach kannst du schon mal die Brötchenhälften mit der veganen Majo einstreichen. Ich bin irre gespannt, was unsere Testesser gleich sagen!«

      Testesser? Davon hörte sie zum ersten

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