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setzend, ein andermal rastend und voller Ehrfurcht die Landschaft bewundernd und alles versehen mit dem in leuchtendem Gelb gehaltenen Titel »Wanderbares Niederösterreich«.

      Dann wurden die Ortschaften kleiner, die Häuser niedriger. Die Berge rückten näher an die Straße, gewannen an Höhe und zeigten sich dicht bewaldet. Anstelle der Industrieanlagen waren nun holzverarbeitende Betriebe zu sehen. Sägewerke mit weit ausladenden Holzplätzen oder Zimmereien und Tischler. Die Lokale verloren ihren mondänen Charakter, waren nicht mehr Restaurants, sondern Gasthäuser, nicht mehr Cafés, sondern Konditoreien. Die Werbetafeln wurden spezifischer. Nicht mehr das ganze Bundesland wurde angepriesen. Die regionalen Ausflugsziele gewannen an Bedeutung. »Erlebniswelt Ötschergräben« konnte er auf einer Tafel lesen und wenige Kilometer weiter: »Ski- und Wanderparadies Hochkar«.

      Die Straße zog sich in sanften und langen Kurven durch das Tal, folgte dabei dem Lauf eines Flusses und querte ihn immer wieder, sodass er einmal zu Radeks Linken floss und wenig später zu seiner Rechten.

      Der Altweibersommer zeigte sich von seiner schönsten Seite, schenkte den Menschen noch einige Tage sommerlicher Wärme und ließ die Wälder in zarten Rottönen, in Gelb und Ocker leuchten.

      Als er die Hinweistafel mit der Aufschrift »Wanderarena Schandau« sah, wusste Radek, dass er am Ziel war. Aber das hätte er auch ohne diese Hilfe bemerkt, denn das Erste, was ihm auffiel, war eine Burg, die linker Hand auf einer felsigen Anhöhe über dem Ort thronte wie der düstere Wächter eines Feldlagers. Die Burg selbst schien nicht allzu groß, keine stattliche Festung. Die Anlage wurde von einem gedrungenen, jedoch mächtig wirkenden Bergfried dominiert, der ihr einen bedrohlichen Charakter verlieh, flankiert von schroffen, hoch aufragenden Mauern mit Wehrgängen, schnörkellos, ohne Türmchen oder Erker.

      Am Fuße der Burg präsentierte sich Schandau wie erwartet als ein kleiner, überschaubarer Ort. Die Hauptstraße führte zum Zentrum. Der Hauptplatz war ein längliches Oval, mit einer Grünfläche und drei großen Laubbäumen in der Mitte. Darunter standen mehrere Sitzbänke. Am hinteren Ende beherrschte eine gotische Kirche den Platz, an der breitesten Seite stand ein massiges Rathaus.

      Rundum fädelten sich Geschäfte auf, ein Wirtshaus, eine Bäckerei, eine Tabak-Trafik, eine Papier- und Schreibwarenhandlung, eine Konditorei, ein Friseur, ein Kaufhaus und ein weiteres Wirtshaus.

      Einige der Häuser machten den Eindruck, als wären sie ebenfalls Überbleibsel aus der gotischen Hochblüte oder der frühen Neuzeit, jedenfalls schienen sie sorgsam restauriert worden zu sein und bildeten ein traditionelles Ensemble mit altmodischem Charme. Neuere Gebäude fügten sich perfekt in die Gebäudefront.

      Radek gefiel die altmodische Bescheidenheit, die von diesem Hauptplatz ausging. Es kam ihm vor, als sei die Zeit stehen geblieben, sogar die Aufschrift »Kaufhaus« schien aus vergangenen Jahrzehnten in die Gegenwart gerettet worden zu sein. Es überraschte ihn, dass sich hier bisher keine Lebensmittelketten oder Drogeriemärkte angesiedelt hatten. Vielleicht war der mögliche Kundenkreis zu klein für die großen Konzerne.

      Ein idyllisches Plätzchen am Ende der Welt, dachte Radek. Das war ein Ort für gestresste Manager, um ein paar Tage abzuschalten und zu verhindern, dass sie ins Burn-out kippten. Oder für Schriftsteller, die eine ruhige Ecke suchten, um ihren nächsten Roman zu schreiben. Aber sicher nicht, um hier zu leben. Und schon gar nicht, um hier als Jugendliche aufzuwachsen. Er verstand plötzlich, dass Bernadette abgehauen war, um in der Stadt einen draufzumachen.

      Er bezweifelte, ob er hier überhaupt Empfang für sein Handy hatte.

      Das Gasthaus »Falk«, in dem Radek ein Zimmer reserviert hatte, befand sich schräg gegenüber der Kirche. Er parkte neben dem Haus.

      Vor dem Lokal befand sich eine große Terrasse mit Tischen, Stühlen und aufgespannten Sonnenschirmen. Drei junge Männer saßen an einem Tisch, unterbrachen ihr Gespräch, als Radek die Treppe hochstieg, und beobachteten ihn schweigend, als er in das Lokal ging. Dann stand er in einem Gang, an dessen Ende eine Treppe hochführte, links eine Tür mit der Aufschrift »Gaststube«, rechts eine zweite mit dem Schild »Speisesaal«.

      Er ging in die Gaststube, ein langer Raum, der sich um die Ecke zog, im Stil der 80er-Jahre mit viel Holz an Decke und Wänden eingerichtet. Gleich rechts neben der Tür war ein großer Ausschank, der erste Teil als Rezeption gestaltet, mit einem Schlüsselboard und Postfächern sowie einer Art Schreibtisch mit Computer. Ein Mann saß davor, blickte kurz auf, als er Radek bemerkte, erhob sich und begrüßte ihn freundlich.

      »Ich habe ein Zimmer reserviert«, sagte Radek und nannte seinen Namen.

      Der Mann reichte ihm die Hand und stellte sich als Herr Falk, der Wirt, vor. Er war Anfang 40, untersetzt. Mit seiner Trachtenweste, der Lesebrille auf der Nase und dem schütteren Haar machte er den Eindruck eines gemütlichen und umgänglichen Landbewohners, der fernab von Stress und Hektik ein beschauliches Dasein fristete.

      Wie ein Klischeebild aus dem Prospekt des örtlichen Tourismusverbands, dachte Radek.

      Falk gab ihm einen Schlüssel. »Zimmer 105, im ersten Stock«, erklärte er. Dann reichte er ihm den Block mit dem Meldeformular über den Tresen. »Vielleicht können wir die Formalitäten gleich erledigen«, sagte er. »Wie lange wollen Sie bleiben?«

      »Ich weiß noch nicht, aber ich denke, mindestens bis Dienstag. Möglicherweise auch noch ein paar Tage länger.«

      Der Wirt zuckte mit den Schultern. »Kein Problem, lassen Sie das Feld für die Abreise frei und bleiben Sie, solange Sie wollen.«

      »Nicht viel los in der Nachsaison?«, fragte Radek.

      »Das ist unterschiedlich. Hängt vom Wetter ab. Momentan ist es ein bisschen ruhiger. Im Sommer allerdings waren wir gut belegt.«

      Radek begann das Meldeformular auszufüllen. »Ich nehme an, Ihre Gäste sind Wanderer und Städter auf Sommerfrische?«

      »Da nehmen Sie richtig an. Sie sind aus Wien?«

      Der spöttisch-verächtliche Tonfall in der Stimme des Wirtes entging Radek nicht. »Aus Niederösterreich. Sankt Pölten«, erklärte er.

      »Ja, nett«, sagte Falk. »Kenn ich. Da gehen viele von uns hin. Oder nach Wien. Es ist hier ein großes Problem, dass die Jungen lieber in die Stadt ziehen, weil es dort die besseren Jobs gibt. Den Jungen ist das Dorf nichts mehr wert.«

      »Schade. Die Gegend ist wunderbar.«

      »Zum Wandern schon«, sagte der Wirt bitter. »Aber nicht zum Arbeiten.«

      Falk wirkte immer verdrießlicher, daher wollte Radek dieses Thema nicht länger strapazieren. »Haben Sie eine Empfehlung, welche Wanderungen lohnenswert sind?«, fragte er.

      »Sicher.« Falk suchte aus einem Ständer unter dem Schlüsselboard eine Broschüre und schob sie Radek über das Pult.

      »Wenn Sie sich die Gegend ansehen wollen, finden Sie hier drinnen bestimmt die richtige Wandertour dafür.«

      Radek blätterte in der Broschüre, auf deren Titelseite ein großes Logo des Tourismusvereins Schandau prangte und die eine Kombination von Fremden- und Wanderführer war. »Danke«, sagte er. »Ist die Burg Rotenstein eigentlich zu besichtigen?« Er fragte es beiläufig, obwohl er aus dem Internet wusste, dass es dort keinen Zutritt gab. Aber möglicherweise wurde es vor Ort anders gehandhabt, er wollte sich diesbezüglich noch einmal erkundigen.

      Der Wirt wurde hellhörig und warf ihm einen misstrauischen Blick zu, als wäre es verboten, über die Burg zu sprechen. Schon einen Moment später entspannte sich seine Miene wieder, als schien es ihn nichts anzugehen, und er antwortete in gleichmütigem Ton: »Nein, eine Besichtigung ist nicht möglich. Die Burg ist bewohnt und der Herr Baron wünscht das nicht.«

      Damit war für ihn die Sache erledigt. Er drehte sich um, begann den Spüler für die Gläser auszuräumen und nahm von Radek keine Notiz mehr, als hätte sich sein Gast in Luft aufgelöst.

      Der Herr Baron wünscht das nicht, dachte Radek. Offensichtlich wollte er nicht gestört werden. Und offensichtlich funktionierten hier in der tiefsten Provinz die Untertänigkeit

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