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du was zum Prokeln?“, erkundigte sich Oma Pusch.

      Widerwillig zog Hinnerk sein Schweizer Taschenmesser aus der quietschgelben Hose. Das hatte er immer dabei, ohne Wenn und Aber. Doch eigentlich wollte er nicht, dass sie sein Heiligtum dazu verwendete, um in den Augenlöchern eines Toten herumzustochern. Das war ekelig. Wie sollte er das je wieder sauber bekommen? Richtig sauber, so mit Desinfektionsmittel. So etwas hatte er nicht.

      „Nun gib schon her!“, befahl Oma Pusch, die seine Gedanken erriet. „Ich sprüh dir das nachher ein oder wir legen es in Brennspiritus, keine Bange. Das ist nachher so keimfrei wie ein frisch gewickelter Babypopo, versprochen.“

      Nicht wirklich überzeugt, aber ohne dass er eine Alternative in petto hatte, reichte ihr Hinnerk das geliebte Werkzeug mit ausgeklappter Klinge. Zuerst hatte er überlegt, ihr den Korkenzieher anzubieten. Den benutzte er nie, weil er immer nur Bier und Köm trank, aber wenn das nicht gegangen wäre, hätte sie zwei Teile beschmutzt. Das wollte er auch nicht. Was für ein Dilemma.

      „Sei vorsichtig, das ist scharf“, warnte Hinnerk noch, aber Lotti bohrte schon und förderte zwei Steine zutage, die zu leicht waren für ihre Größe.

      „Habt ihr das Schlangennest schon gefunden?“, rief Rita plötzlich laut von draußen.

      „Wir graben noch, das müssen mindestens zehn Kreuzottern sein“, brüllte Oma Pusch zurück.

      Das Ehepaar mit Baby in der Trage nahm sofort Reißaus.

      „Die Luft ist wieder rein“, ließ Rita die beiden im Zelt wissen. „Schon was Neues?“

      „Ja“, berichtete Oma Pusch, „anstatt Augen hatte der Bernstein in den Höhlen. Wenigstens glaube ich, dass es welcher ist. Guck du mal!“ Sie reichte Rita zwei Klumpen, die sie in ihrem Seidentuch hielt.

      Die kreischte. „Bist du wahnsinnig? Das fasse ich nicht an.“

      „Dann nimm halt ein Taschentuch raus und leg sie da rein“, grummelte Oma Pusch. Rita war manchmal umständlich. „Du musst sie ins Sonnenlicht halten, aber ich denke, das Gewicht spricht schon für sich. Sie wiegen fast nichts.“

      „Moment“, bat Rita und nestelte in ihrer Jackentasche herum. Schließlich zog sie ein umhäkeltes Spitzentuch heraus und nahm die Steine widerwillig entgegen. Sie würde es auskochen müssen, aber ob die Spitze das aushielt?

      „Denkst du echt, das ist Bernstein? Dann ist es wahnsinnig viel wert“, vermutete Hinnerk. Er konnte jeden Cent gebrauchen, und es würde ja niemand wissen, dass da im toten Kopf Kostbarkeiten gesteckt hatten. Sie konnten durch drei teilen.

      „Nee, Hinnerk, so viel sind die Klunker heute bestimmt nicht mehr wert“, bedauerte Rita.

      „Da muss ich dir aber entschieden widersprechen“, schaltete sich Oma Pusch ein, „denn das Gramm wird teurer als Gold gehandelt. Ich wollte mir neulich Ohrringe machen lassen und bin hinten übergefallen, als ich den Preis hörte.“

      „Steck sie ein, Rita“, rief ihr Hinnerk aus dem Zelt zu. „Wir teilen dann.“

      „Nix da, die stecken wir schön wieder in die Tiefe, damit alles unversehrt und an seinem angestammten Platz ist, wenn mein Neffe, der emsige Oberkommissar Eike Hintermoser, den Schädel später findet.“

      „Mist“, brummte der alte Fischer und sah seine Felle davonschwimmen.

      „Wir gucken jetzt erst mal, ob da an dem Kopf noch wer unten dranhängt“, beschloss Oma Pusch, „und dann brechen wir unsere Zelte ab, im wahrsten Sinne des Wortes. Hinnerk, du gräbst, hier ist die Schaufel!“

      Der Angesprochene war nicht gerade begeistert, denn er schwitzte trotz der leichteren Klamotten inzwischen wieder wie verrückt. Das Wasser lief ihm den Rücken hinab. Aber Hinnerk schippte natürlich. Er war selbst neugierig.

      Während er grub, blieb Oma Pusch mit ihrem Smartphone ständig auf der Lauer. Mittlerweile mussten sie den Sand aus dem Eingang des Zeltes werfen, damit sie sich innen noch bewegen konnten.

      „Ich sehe Schultern“, sagte Oma Pusch angespannt. „Scheint wohl doch eine ganze Leiche zu sein.“

      Doch da fiel der Kopf mit einem Mal nach vorn um, und sie entdeckten das ganze Dilemma. An dem Schädel waren zwar ein Hals und auch eine Schulterpartie dran, aber mehr nicht. Darum hatte das Stillleben Übergewicht bekommen.

      „Ih“, klagte Hinnerk beim Anblick des fehlenden Körpers.

      „Ah, nur eine Büste“, freute sich Oma Pusch, „so etwas hatten wir noch nie.“

      Vor lauter Neugier steckte Rita ihre Nase durch den Zelteingang. „Das will ich sehen!“

      „Bleib draußen“, zischte Oma Pusch, „nicht, dass uns jetzt noch jemand entlarvt. Das wäre eine Katastrophe!“

      „Ist ja schon gut“, maulte Rita, „dass du mir das alles aber schön auf Bildern festhältst.“

      „Ehrensache“, erwiderte ihre Freundin und drehte den Körperteil mit Hinnerks Hilfe um, damit sie Fotos von allen Seiten machen konnte. „Wo der Rest wohl ist?“, sinnierte sie.

      „Stimmt, das wäre interessant“, gab Hinnerk zu, „es fehlt ja ziemlich viel. Könnte sein, dass der Rest an verschiedenen Stellen hier am Strand verbuddelt worden ist. Das braucht weniger Platz, als wenn du einen ganzen Kerl einbuddeln musst.“

      „Ist es ein Mann?“, fragte Rita von draußen.

      „Schwer zu sagen“, gab Oma Pusch zu. „Das dachte ich zuerst, aber jetzt bin ich mir ehrlich gesagt nicht mehr so sicher.“

      „Komm, dann lass uns jetzt Schluss machen und schnell von hier weggehen“, drängte Hinnerk. Ihm war nicht nur heiß von der Sonne. Er hatte auch ein schlechtes Gewissen. „Streuen wir jetzt nur Sand drüber und hauen schnell ab!“, schlug er vor.

      „Nee, nee“, kam es von Oma Pusch. „Ihn oder sie buddeln wir feinsäuberlich genau so wieder ein, wie wir ihn gefunden haben. Es soll doch alles ganz Original sein.“

      Hinnerk seufzte. Er hatte es befürchtet. Doch das Ganze war nicht so einfach. Wieder und wieder rieselte der Sand nach, sodass es nur mit Oma Puschs Hilfe gelang, die Büste ordnungsgemäß zu vergraben. Nun kam auch sie ins Schwitzen.

      „Wer von uns verständigt denn gleich die Polizei?“, fragte Oma Pusch scheinheilig. Sie hatte nämlich keine Lust, sich von ihrem Neffen Oberkommissar dumme Sprüche anzuhören. Das kannte sie zur Genüge. Und sie wusste auch, dass Hinnerk mit Sicherheit nicht dazu bereit war, weil er bisweilen schlechte Erfahrungen mit den Beamten gemacht hatte. Blieb also nur Rita übrig. Sie schien es aber nicht zu kapieren, denn es blieb still. Also legte Oma Pusch nach.

      „Ritalein“, säuselte sie, „du bist doch immer so verbindlich und höflich. Diese Aufgabe solltest du übernehmen. Dir kann man einfach nicht böse sein.“

      Die Freundin fühlte sich einerseits gebauchpinselt, andererseits hatte sie keine Lust, bei der Kripo anzurufen.

      „Ich mach’s bestimmt nicht. Da könnt ihr euch auf den Kopf stellen“, funkte Hinnerk dazwischen und schaufelte Sand über die toten Schultern.

      „Wir müssen noch bis zu den Ohren“, überlegte Oma Pusch. „Dann setzen wir ihm oder ihr die Kopfbedeckung wieder auf und fertig. Rita könnte doch so tun, als sei sie am Strand entlanggegangen und hätte den Hut aufgehoben. Dann muss sie nicht mal anrufen. Einfach ein bisschen schreien und zetern. Ich wette, irgendein Depp wird dann schon die Polizei verständigen. Sind ja genug Leute hier.“

      Rita stöhnte. „Na gut, wenn ich nicht selbst anrufen muss, mache ich es, aber ich will keinesfalls befragt werden.“

      „Dann musst du ganz schnell wegrennen, während du schreist und am besten vorher den Strohhut wegschleudern, damit man die Glatze sieht. Später mischst du dich einfach unters Volk. Das ist die beste Tarnung“, sagte Oma Pusch. „Vorher müssen Hinnerk und ich aber weg sein. Klar?“

      „Ja,

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