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Bude ziehen, dazu ist er zu freiheitsliebend. Er braucht Platz und die Weite um sich herum. Enge, wie in einem Mobilheim, würde ihn erdrücken.“

      „Ihr Schwiegervater wohnt auf einem Campingplatz. Vielleicht wollte Ihr Mann sich einschränken, um in der Nähe seiner Eltern zu leben.“

      „Niemals. Haben Sie nicht zugehört? Hendrik war kein Campingtyp. Und seine Eltern hatten keine andere Wahl. Walter war als Schlosser selbstständig und hat kaum für seine Rente einbezahlt. Hilde war Hausfrau. Es ging ihnen gut. Doch jetzt ist nichts übrig geblieben. Das, was er an Rente hat, reicht zum Überleben, aber nicht für eine normale Miete. Für ihr Angespartes haben sie das Mobilheim gekauft.“

      „Haben Sie und Ihr Mann Kinder?“

      „Nein, wir wollten noch zwei Jahre warten, bis das Haus abbezahlt ist, und uns dann entscheiden, aber …“ Susanne schluckte.

      „Gibt es eine Lebensversicherung?“

      „Ja. Wir haben beide eine abgeschlossen, schon vor Jahren.“

      „Sie werden das Haus erben.“

      „Ich denke ja. Wie gesagt, es gibt keine Kinder.“

      „Wird die Versicherungssumme reichen, um das Haus abzubezahlen?“

      „Wenn Sie glauben, dass ich meinen Mann umgebracht habe, weil ich das Haus erben will, sind Sie auf dem falschen Weg. Wir haben ab und an gestritten, ja, aber … ich hätte ihn nie umgebracht, ich … ich habe ihn geliebt, irgendwie.“

      „Ihr Mann hatte zwanzigtausend Euro bei sich, als wir ihn fanden. Haben Sie eine Ahnung, woher das Geld stammt?“

      „Nein. Zwanzigtausend? Nein. Wir haben kaum zweitausend auf unserem Konto. Der größte Teil, den wir verdienen, geht für die Abzahlung des Hauses drauf.“

      „Wo waren Sie gestern Abend gegen zweiundzwanzig Uhr?“, wollte jetzt Mark wissen.

      „Zu Hause, alleine, ich hab die Geschichtsstunde für heute vorbereitet.“

      „Sie sind Religionslehrerin.“

      „Nicht nur, ich unterrichte auch Geschichte. Allerdings nur einmal die Woche, als Aushilfe für meine Kollegin. Wir teilen uns die Stelle.“

      „Kann es sein, dass Sie in der Vergangenheit mit Ihren Schülern über das Zeichen der Wolfsangel gesprochen haben?“

      „Das Thema bearbeiten wir seit drei Wochen. Warum fragen Sie?“

      „Weil neben dem Kopf Ihres Mannes dieses Zeichen gemalt wurde.“ Dass das Zeichen mit Blut geschrieben wurde, wie der Fußabdruck des imaginären Werwolfs, verschwieg Inka.

      Susanne Schuberts Blick wanderte aus dem Flurfenster hinunter auf den Schulhof. Eine Gruppe Jugendlicher stand an der roten Backsteinmauer neben dem Eingang und lachte laut.

      „Glauben Sie, es war einer der Schüler, der meinen Mann ermordet hat?“, fragte sie, ohne die Kommissare anzusehen.

      „Das können wir derzeit nicht sagen. Wie war das Verhältnis Ihres Mannes zu den Schülern? War er beliebt oder gab es Streitigkeiten?“

      „Er war beliebt. Besonders bei den Schülerinnen. Sie haben ihn angehimmelt, doch er hat sich nichts daraus gemacht. Klar, er war stolz und fühlte sich geehrt, welcher Mann wäre das nicht, aber mehr wurde nicht daraus. Er ist da ganz souverän mit umgegangen und hat es als Jungmädchenschwärmereien abgetan. Er hat sie ignoriert, wenn sie ihm nach der Schule nachgestellt haben. Ihnen klargemacht, dass er verheiratet ist.“ Susanne lehnte sich mit dem Rücken an das Fensterbrett. Die Sonne schien in den Raum und verlieh ihren brünetten Haaren einen rötlichen Schimmer.

      „Und das hat funktioniert? Ich kann mir vorstellen, dass die ein oder andere Schülerin das nicht so locker gesehen hat.“

      „Na ja, da gab es eine, die war schon hartnäckig. Marlene hieß sie. Manchmal stand sie stundenlang vor unserem Haus, schickte ihm Liebesbriefe, Pralinen, Blumen, rief mitten in der Nacht an, sie buchte sogar einen gemeinsamen Wochenendflug nach New York. Das ging ein halbes Jahr. Als sie nicht aufhörte, hat Busch sie in eine andere Klasse versetzt.“

      „Und dann war Ruhe?“

      „Nein, dann ging es erst richtig los. Sie war wütend und hat unsere Fenster und Hauswände beschmiert. Herzchen, kopulierende Paare, Liebesschwüre, dann Totenköpfe und grässliche Monstergestalten.“

      „Ein Werwolf vielleicht?“, mischte sich Mark ins Gespräch.

      „Ja, alles Mögliche. Werwolf, Vampir, Teufelgestalten und, und, und. Sie war da sehr kreativ und auch begabt, das muss ich zugeben. Aber warum fragen Sie?“

      „Ihr Direktor erzählte, Marlene hätte nach der Versetzung das Stalking eingestellt“, sagte Mark, ohne Susannes Frage zu beantworten.

      „Nein, hat sie nicht. Wir haben es im Lehrerkollegium nur nicht mehr an die große Glocke gehängt. Wir wollten die Geschichte unter uns klären und mit Marlene und ihren Eltern reden. Wir führten ein vernünftiges sachliches Gespräch. Marlene hat eingesehen, dass wir gezwungen gewesen wären, sie anzuzeigen, wenn sie nicht aufgehört hätte, Hendrik nachzustellen. Das hat gewirkt.“

      „Ab da war der Spuk vorbei?“

      „Ja.“ Susanne Schubert nickte und rieb die Hände über ihre Oberarme, als würde sie frösteln. Mit skeptischem Blick sah sie die Kommissare an. „Marlene ist eine verzogene Göre. Ihre Eltern arbeiten als Schönheitschirurgen in der Hamburger Rothenbaumchaussee. Mit einer Anzeige hätten wir für die Schule und die Westmann-Hofs einen Skandal heraufbeschworen, das musste nicht sein.“

      Mark hielt Inka die Fahrstuhltür des Schulgebäudes auf. „Nimmst du ihr die Geschichte ab?“, fragte er, während er im Display auf das Erdgeschoss drückte. „Ich meine, gut, es kommt immer wieder vor, dass Schülerinnen sich in ihre Lehrer vergucken, aber so drastisch mit Wochenendtrip und an die Wände geschmierten Monstergestalten?“

      „Liebe geht seltsame Wege und kann schon recht sonderbare Formen annehmen. Und eine junge Frau, gerade dem Teeniealter entwachsen, fühlt sich schnell zurückgewiesen, nicht schön oder begehrenswert. Wer weiß, was in ihrem Kopf herumspukt, um ihr Ziel zu erreichen. Vielleicht sucht sie nur Aufmerksamkeit, die sie zu Hause selten oder gar nicht findet.“ Inka dachte an Kollege Fallers Worte der alleingelassenen und vernachlässigten Kinder.

      „Du meinst, diese Marlene kriegt alles, was sie sich wünscht, nur keine elterliche Zuwendung.“ Die Kabinentür schloss sich und der Fahrstuhl setzte sich sanft ruckelnd in Bewegung.

      „Genau. Ein Pflänzchen, das in der Kindheit zu wenig gewässert wird, verkümmert und wächst schief und krumm.“

      Ein Pling verriet ihren Halt. Die Kabinentür öffnete sich und ein Schwall kaltes Nikotin strömte mit drei männlichen Jugendlichen in die Kabine, bevor Inka und Mark aussteigen konnten.

      „Hm, ein außergewöhnlicher Vergleich“, erwiderte Mark, als sie sich an den Jugendlichen vorbeigedrängelt hatten und über den verlassenen Schulhof zum Parkplatz gingen.

      „Ja, aber es ist so. Kinder brauchen Urvertrauen, und wenn sie das nicht bekommen, kann das früher oder später zu traumatischen Folgen führen. Ich hatte das Thema in Lübeck bei der Geburtsvorbereitung“, sagte Inka erklärend und rutschte auf den Beifahrersitz in Marks Wagen, dann klingelte ihr Handy. Fritz ruft an, stand auf dem Display.

      „Morgen, Fritz, was macht deine Erkältung?“

      „Sie hält sich hartnäckig.“

      „Hast du schon gehört, was bei uns los ist?“

      „Ich hab mit Frauke telefoniert, als ich euch nicht erreichen konnte. Sie sagt, wir haben einen toten Lehrer, der von einem Werwolf angegriffen wurde. Warum habt ihr euer Telefon ausgestellt?“

      „Weil wir dich mit deiner Erkältung nicht in die kalte Nacht scheuchen wollten. Außerdem waren wir eben in der Schule des Lehrers und haben mit seiner Frau, die dort ebenfalls

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