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betreibt. Seine Werkstatt in Hamburg hatte vor den Feiertagen geschlossen, ich war nur sein Notnagel, sonst nichts. Aber ich konnte ihm nicht helfen. In seinem Schlitten ist eine Elektrik verbaut, für die ich bestimmte Werkzeuge benötige, mit denen wir nicht arbeiten. Torben und ich haben ein paar Worte gewechselt. Urlaub, Beruf und so ein Zeug. Dann hat er mich gefragt, ob sich Gero etwas dazuverdienen möchte. Marlene bräuchte dringend Nachhilfe und Direktor Busch hätte ihm Gero empfohlen, weil er in der Schule so ein Mathegenie gewesen ist. Marlene war damals gerade fünfzehn und Gero bereits aus der Schule. Leider wollte er nach dem Abi nicht studieren, wie der Vater, so der Sohn“, sagte Büchner kopfschüttelnd mit einem gewissen Humor im Blick, „sondern lieber im eigenen Betrieb arbeiten. Wir hätten uns einen Arzt oder Lehrer in der Familie gewünscht.“ Büchner holte tief Luft und drückte seine Frau enger an sich. „Aber wenn er glücklich ist, soll es uns recht sein. Na ja, ich hab Gero von Torbens Anfrage erzählt und er sagte, klar gebe er der eingebildeten Westmann-Hof Nachhilfe, das Geld könnte er für den Führerschein und sein Auslandsjahr in Australien gebrauchen. Er will zu den Goldsuchern und sehen, ob er fündig wird und als Millionär zurückkommt.“ Büchner lachte. „Mehr haben wir nicht über die Familie zu erzählen. Weißt du noch etwas, Dinchen?“

      „Nein. Ich kenne die Westmann-Hofs eigentlich auch nicht. Nur was man sich im Dorf erzählt, dass sie eingebildet sind, nicht grüßen, oft beim Bäcker oder Schlachter anschreiben lassen und auf den letzten Drücker bezahlen, trotzdem die Nase in den Wind recken und ihr Hausmädchen unfreundlich behandeln. Die arme Ruth, sie ist alleinerziehend mit einem zweijährigen Sohn und auf das Geld ihrer Arbeit angewiesen. Wenn sie könnte, wäre sie bei den Westmann-Hofs längst weg.“

      „Ja, ich denke“, Inka sah zu Mark, „dass wir vorerst alles haben. Oder hast du noch eine Frage?“

      „Nur noch, wo Sie, Herr Büchner, und Sie, Frau Büchner, sowie Ihr Sohn sich gestern zwischen einundzwanzig und zweiundzwanzig Uhr aufgehalten haben?“

      „Wir waren alle drei zu Hause und sind unsere Urlaubs­pläne für das nächste Jahr durchgegangen.“

      „Wo wird es hingehen?“

      „Nach Schweden, mit dem Wohnmobil. Vier Wochen. Im April.“

      „Ihr Sohn fährt mit?“

      „Nein. Er hat einen Flug mit Freunden nach Mallorca gebucht. Zwei Wochen Ballermann, solange dort noch Party erlaubt ist. Wird ja immer weniger. Die Spanier beschweren sich. Ist ja auch verständlich, so wie sich die Touristen da am Ballermann daneben benehmen. “

      „Wir finden Ihren Sohn in der Werkstatt?“

      „Da gehe ich von aus“, sagte Büchner. „Aber verraten Sie uns nach der netten Plauderei endlich, warum die Mordkommission auftaucht, wenn es nur um Nachhilfestunden geht?“

      „Der Biologielehrer Hendrik Schubert ist gestern am Lopausee von Schülern aus dem Amelinghausener Gymnasium tot aufgefunden worden. Er wurde ermordet.“

      „Hendrik Schubert. Der nette Biologielehrer ist tot. Wie schrecklich. Wer hat das getan?“

      „Das versuchen wir herauszufinden.“

      „Aber Gero hat da sicher nichts mit zu tun. Er ist bereits aus der Schule und gestern war er hier bei uns.“

      „Das mag stimmen, Frau Büchner, dennoch müssen wir jeder kleinsten Information nachgehen.“

      Nadine Büchner nickte schwach und nahm die Visitenkarte entgegen, die ihr Inka reichte.

      „Die Westmann-Hofs haben uns Lügen bezüglich ihrer Tochter und der Beziehung zu Gero aufgetischt“, sagte Inka, als sie den schmalen gepflasterten Weg der Reihenhaussiedlung zur Straße hin verließen.

      „Hmhm. Die wollten Gero Büchner als Alibi ihrer Tochter verkaufen, dabei läuft bei denen nichts, zumindest wenn wir den Büchners glauben.“

      „Ich halte die Aussage der Eheleute für verlässlich. Fahren wir in die Werkstatt und fragen den Sohn. Mal sehen, ob wir mit unserer Menschenkenntnis richtigliegen. Die Weiler suchen wir am Nachmittag auf, nachdem wir Hannas Möhreneintopf verputzt haben.“

      Gero Büchner stand unter einem auf der Hebebühne hochgefahrenen Wagen in der Werkstatt Büchner & Sohn in Amelinghausen, drei Straßen von seinem Zuhause entfernt.

      „Herr Büchner?“ Inka trat an den Mechaniker heran und zeigte ihren Ausweis.

      „Ja.“ Der Mechaniker im Blaumann drehte einen blonden Haarschopf unter dem Auto hervor.

      „Könnten wir Sie kurz sprechen?“

      Gero Büchner nickte. „Klar“, sagte er, dann an eine Kollegin gewandt: „Konni, machst du für mich weiter?“ Er reichte einer sportlichen Brünetten in einem ebensolchen Blaumann den Hammer und die Stableuchte, wischte sich an einem Lappen die ölverschmierten Hände ab und sagte: „Gehen wir ins Büro.“

      „Herr Büchner, wir hörten, Sie sind mit Marlene Westmann-Hof befreundet“, begann Inka und setzte sich mit Mark auf die angebotenen Holzstühle vor einen Schreibtisch. Das Holz war vergilbt und Unmengen schwarze glänzende Flecken übersäten die äußere Optik. Ein Stapel Papierakten lag neben einem Computer. Ein Monstrum aus den Achtzigerjahren, das die Hälfte des Schreibtisches einnahm. Schrauben und kleinere Motorenteile sowie ein grünes Wählscheibentelefon quetschten sich an die linke äußerste Ecke des Tisches. Inka fröstelte. Im Büro war es eiskalt. Sie zog den Reißverschluss ihrer Jacke unter den Hals.

      „Ich gebe Marlene Nachhilfe in Mathematik, mehr nicht. Befreundet kann man dazu kaum sagen. Aber damit ist in vier Monaten Schluss.“

      „Warum?“

      „Weil ich mein Geld für meine Auslandsreise zusammengespart habe. Aber das werden Ihnen meine Eltern erzählt haben.“ Er schmunzelte.

      „Dass Sie nach Australien zu den Goldsuchern wollen, ja.“

      „Meine Eltern sagten, Hendrik ist ermordet worden. Ich war es nicht, sollte das der Grund Ihres Besuches sein. Ich war mit meinen Eltern zu Hause. Was nicht unbedingt ein verwendbares Alibi ist. Aber ich bin seit zwei Jahren aus der Schule. Ich hab mit Hendrik nichts mehr zu tun. Warum also sollte ich ihn umbringen?“

      „Schlechte Noten oder Streit wären da ein Motiv. Und auch nach zwei Jahren können Rachegelüste …“

      „Nein. So ein Quatsch“, unterbrach Büchner. „Ich stand in Bio auf Zwei und Streit gab es zwischen uns nicht. Er war ein super Lehrer. Ich fand ihn klasse.“

      „Marlene soll ein wenig in ihn verliebt gewesen sein. Haben Sie davon etwas mitbekommen, Herr Büchner?“, wechselte Inka das Thema.

      „Alle Mädchen standen auf Hendrik. Zumindest alle aus der Oberklasse. Und ein wenig, bei Marlene?“ Gero Büchner grinste. „Die war krass hinter Hendrik her, was ich so mitgekriegt hab.“

      „Was haben Sie mitgekriegt?“

      „Na, das mit den Einladungen nach New York, Wochenendtrips nach Rom und Paris. Marlene ist bekannt und unter unseren Kunden sind auch Schüler aus dem Gymnasium. Schräg, die Tante. Aber Geld hat sie wohl trotzdem noch genug.“

      „Wohl noch genug?“, hakte Mark nach.

      „Ja, inzwischen wird’s eng für die Westmann-Hofs. Aber auch das hab ich nur gehört. Angeblich mussten sie Insolvenz anmelden. Ihre Superklinik an der Rothenbaumchaussee läuft nicht mehr so gut, nachdem sie in den Schlagzeilen standen.“

      „Erklären Sie uns das genauer, Herr Büchner.“

      „Ein Arzt, ob der Westman-Hof oder ein anderer aus der Klinik, hat Mist gebaut. Ich hörte, es ging um eine Straffung, also eine Hodensackstraffung, damit die Dinger, na ja …“ Er zögerte kurz. „Jedenfalls soll da unten jetzt alles schief sitzen.“ Trotz des Ernstes seiner Aussage schmunzelte Büchner. „Ein Hamburger Schauspieler, den Namen hab ich vergessen, der sich in der Klinik die Nase hat richten lassen, war ebenso unzufrieden. Und einige weitere Patienten haben den Westmann-Hof

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