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Buchela strikt abgelehnt. Der Tag ist kurz. Sie kommt schon zurecht.

      Als erstes fällt ihr ein, dass die Frau in der Schlange vor dem Geschäft gefragt hat, ob sie etwas zu verkaufen hätte. Deshalb biegt sie in die Hafenstraße ein, um zu sehen, ob dort auch heute wieder Menschen warten.

      Sie sieht einen Pulk Frauen, alte, junge, graue Gesichter, die unter dicken Wolltüchern hervorlugen. Buchela bleibt auf der gegenüberliegenden Straßenseite, um die Schlange beobachten zu können, während sie weiter Richtung Innenstadt wandert.

      »Mädche, häss de jätt ze verkoufe?«, ruft tatsächlich eine Frau herüber.

      Buchela wechselt die Straßenseite. »Wann macht denn der Laden auf?«

      Die Antwort auf ihre Frage ist ein ungläubiges Lachen.

      »Do bess wol noch nit lang he, wat? Dä Lade määt op, wenn et jet ze verkoufe jitt und un määt zo, wenn nix mieh do es. Wann? Dat weiß kejn Sou. Mejnste söns däte mer he dr janze Daach eröm stonn un friere? Häste nu jät ze verkoufe odder nit?«

      »Spitzen«, sagt Buchela und hebt das Tuch an, das sie über den Korb gedeckt hat.

      »Spitzen!«, die Frau lacht schon wieder, diesmal etwas höhnisch.

      »Dat es nix für uns. Mr sin fruh, wemmer jet ze bieße han.«

      »Aber bestimmt gibt es auch welche, die Geld haben.« Buchela lässt nicht locker. Sie betrachtet die Frau genauer. Die Alte hat starke dunkle Brauen, die fast über der Nasenwurzel zusammenwachsen.

      »Sicher«, antwortet sie.

      »Und wo wohnen die?«, hakt das Mädchen jetzt nach.

      »Wenn de wigger dr Ring lans jejs. Irjenswann küsde zo denne Villas.«

      Buchela sieht der Frau in die braunen Augen. Die Alte hält dem Blick nicht stand und schielt wieder auf die Spitzen. »Darf ich die ens aanpacke?«

      Buchela fühlt sich unbehaglich. Sie schüttelt eilig den Kopf und deckt das Tuch über den Korb. »Die werden nur schmutzig und dann kann ich sie nicht mehr verkaufen. Danke für ihre Auskunft.«

      Sie geht in Richtung Norden, folgt immer dem Rhein. Soll sie besser die Nebenstraßen benutzen? Oder ist es sicherer, sich da zu bewegen, wo Verkehr herrscht? Sie entschließt sich, auf der belebten Straße zu bleiben, und geht schnell, weil sie sich warm laufen muss. Die Kälte kriecht von den Füßen die Beine herauf. Da hilft auch die Wolljacke nichts. Der Wind streicht ihr kalt durchs Gesicht und weht das schwarze Haar wie Krähenflügel über die Wange.

      Sie geht schon eine halbe Stunde und hat den Dom hinter sich gelassen, als ihr Zweifel kommen. Vielleicht ist der Auskunft der Alten gar nicht zu trauen und sie läuft in eine völlig falsche Richtung? Aber kurz hinter dem Deutschen Platz sieht sie linker Hand die ersten Bürgerhäuser mit Stuckverzierung und wendet sich vom Rhein ab. Sie geht unter großen kahlen Platanen, auf denen Schneereste hängen, an Gartenmauern und Gittern vorbei. Sie zögert. Aber was soll schon passieren? Sie ist eine Zigeunerin und hat schon als Mädchen an den Haustüren gestanden. Es wird nicht anders sein als früher. Nur dass sie nicht Engelsüßchen auf dem Arm trägt und dass sie tatsächlich etwas zum Verkaufen hat und nicht betteln muss. Sie öffnet ein schmiedeeisernes Törchen und geht über den Plattenweg durch den Vorgarten zum Haus. Die Glocke schlägt hell an. Es dauert nicht lange, da öffnet eine Frau mit weißer Schürze.

      »Wat willste?«, herrscht sie Buchela an.

      »Ich habe Spitzen.« Buchela hebt das Tuch über ihrem Korb kurz an, um ihre Waren zu zeigen.

      »Bruche mer nit«, sagt die junge Frau. »Jank wo anders hin.« Aber Buchela zögert. Sie sieht in die Augen der Frau. Traurige Augen. Augen, die gerötet sind. Deshalb ist sie also mürrisch.

      »Nu maach schon!« Die junge Frau blickt sie zornig an.

      Buchela wendet sich ab, dann dreht sie sich aber noch einmal um. »Es ist nicht so, wie sie denken«, sagt sie da.

      Gerade will die junge Frau ihr die Tür vor der Nase zuschlagen, als von oben aus dem Haus eine Stimme zu hören ist. »Wer ist denn da eigentlich?«

      Die Frau ruft zurück. »Ejn will he Spetze verkoufe. Ich han jesaat, ihr broot nix!«

      Aber da kommt bereits eine ältere Dame vorsichtig die Treppe herunter. »Woher weißt du, dass ich keine Spitzen kaufen möchte?« Die junge Frau zuckt mit den Schultern. »Also, misch dich nicht in so was ein und frag das nächste Mal, ehe du jemanden wegschickst. Zeig mal her!«, fordert die Dame Buchela auf. Die zieht das Tuch von ihren Waren. »Damasttischdecken. Barmer Spitzen. Perlmuttknöpfe«, sagt sie etwas unsicher.

      »Eine Damasttischdecke!« Die Hand der Dame greift in ihren Korb und zieht das weiße Tuch heraus. »Wunderschön das Rosenmuster. Was kostet die?«

      Die Frage bringt Buchela in Verlegenheit, denn sie hat sich über die Preise noch kein Bild gemacht. Gestern hat sie für das Stück Schinken die Leinen- und Damastdecke zusammen bekommen.

      »Ich geb dir einen Viertelschinken«, kommt die Dame ihr nun zuvor. Dafür kann Buchela mindestens zwei neue Decken auf dem Schleichmarkt bekommen. Das Geschäft läuft gut an. Als die ältere Dame sich ins Haus zurückzieht, bleibt Buchela noch stehen.

      »Was willste noch?«, fragt die Hausangestellte.

      »Es ist nicht so, wie Sie denken«, wiederholt Buchela. »Ihr Verlobter liebt sie.« Erstaunt blickt das Dienstmädchen die Zigeunerin an. Die dreht sich um. »Wiedersehn«, grüßt sie über die Schulter.

      Mit einem leichten Korb ist Buchela aus der Buttergasse aufgebrochen. Spätnachmittags ist er schwer. Das machen die Kartoffeln und Rüben. Es wird schneller dunkel, als sie hofft. Dabei hat sie geplant, im Hellen zu Hause sein. Sie geht eilig.

      Über dem Rhein stehen feuchte Schwaden, die im Halblicht die Uferlinie der gegenüberliegenden Seite unsichtbar machen. So undurchdringlich wie die Nebel, die über dem Wasser hängen, kommt ihr die letzte Nacht vor.

      Über den Nebel schiebt sich das Bild der Erinnerung an einen Sommertag im Wald. Wie sie über Holzstämme springt und über den Bach. Wie sie an der Böschung ausrutscht und das gesammelte Holz auf den Boden fällt. Wie sie die Wiese erreicht, wo der Wagen steht. Wie sie »Mama!«, ruft. »Mama, wo ist Anton?«

      Dabei hat sie alles gewusst. Schon damals.

      Von nun an wechselt ein Tag, an dem Buchela auf dem Schwarzmarkt ihre Naturalien gegen Spitzen, Knöpfe, Kurzwaren aller Art, Tischdecken und Bettzeug eintauscht, mit einem Tag, an dem sie hausieren geht. Was an Lebensmitteln übrig bleibt, davon leben Mama und Buchela. Pepito erhält seine Miete in Form von Naturalien. Kartoffeln kann sie ihm bald nicht mehr liefern, die gibt es kaum mehr. Sie bringt Rüben und manchmal ein rheinisches Schrotbrot, das aus Maiskorn gebacken ist.

      All die vergangenen Jahre ist sie nicht so viel Zeit allein gewesen wie nun auf ihren Wegen durch die Stadt. Sie entdeckt neue Stadtteile: die Neustadt im Norden und auch im Süden. Manchmal läuft sie bis Marienburg oder sie macht sich nach Lindenthal auf.

      Sie läuft und läuft. Sie läuft wie benommen durch die Straßen. Sie vermeidet es, Menschen anzusehen und blickt stur auf den Weg. Manchmal will sie nur ihre Ruhe, wenn sie nach Hause kommt. Sie rettet sich ins Bett. Wenn sie Glück hat, lässt die Mutter sie in Frieden. »Komisch bist du geworden«, murmelt die manchmal.

      Die Mutter dagegen verkriecht sich in ihren Erinnerungen.

      »Weißt du noch, Buchela? Weißt du noch, wie schön es war, wenn wir in Honzrath standen? Die schönen Buchen und der Bach an dem Platz und wie Tatta gespielt hat. Nie nicht werden wir so was Schönes wieder erleben.«

      »Mama«, sagt Buchela ärgerlich. »Wer sich nichts Schönes mehr vorstellen kann, der kriegt es auch nicht. Also hör schon auf. Irgendwann ist der Krieg zu Ende. Und lass mich in Ruhe.«

      »Aber was ist mit Tatta?«

      »Ich weiß nicht«, antwortet Buchela.

      »Aber

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