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dieser Männer ist selbst unter den Vieren eine Ausnahmeerscheinung. Er besitzt eine weitere besondere Fähigkeit, einen Schatz, der an das Leben des Individuums gebunden ist: Er ist der lebende Prophet, der höchste Meister der Katharer mit der Fähigkeit der Zukunftsschau. Es ging also nicht nur darum, eine alte Schrift, an der schon mehrere Seher gearbeitet haben, in Sicherheit zu bringen, sondern speziell diesen Menschen, um dessen Fähigkeit zu bewahren mit der Aufgabe, sie weiterzureichen. Man vermutet, dies sei Amiel Aicart gewesen.

      Nun wird man sich wundern, dass ein Mensch, der in die Zukunft schauen kann, sich im vollen Bewusstsein der Ereignisse in eine derart lebensbedrohliche Situation begibt. Dies ist schwierig zu verstehen: Einem derartigen Meister hat die Existenz das allerhöchste Geschenk gemacht, was in einem Menschenleben nur denkbar ist. Mehr und Höheres gibt es einfach nicht auf dieser Erde. Der Meister ist durch den Zugang zur Allgegenwart ganz und gar erfüllt und vollendet. Deshalb ist er jederzeit bereit, glückselig seinen Körper zu verlassen, denn er weiß, wohin seine Seele geht. Seine einzige Aufgabe ist, aus großem Mitgefühl für seine Mitmenschen heraus, sie weiterhin zu lehren und zu begleiten, ihnen in ihrem Leben zu helfen und wenn es sein muss, mit ihnen zu sterben.

      An den Ereignissen, die auf die Menschen zukommen, kann er nichts ändern, obwohl er diese im Voraus kennt. Er wird schweigen über das, was er sieht, wenn es bitter ist, oder wird es verschlüsselt prophezeien. So wird er das schlimme Ende der Belagerung des Mont Ségur gesehen haben, auch seine eigene gelungene Flucht, sodass er so lange wie möglich bei seinen geliebten Mitmenschen bleiben konnte. Die Fähigkeit der Prophetie wurde mit der Person des Amiel Aicart in Sicherheit gebracht, sowie die Möglichkeit, wieder einen Schüler an diese Fähigkeit heranführen zu können. Ein Schüler dieses Meisters erlangte diese Meisterschaft der Prophetie und reichte sie ebenfalls insgeheim weiter.

      Abb. 1: Mont Ségur, Pyrenäen.

      Die letzten Tage

      Vergeblich hatten die Katharer auf Hilfe von außen gehofft, um sich gegen 1.000 Belagerer zu verteidigen. Sie haben nun keine Wahl mehr. Es steht fest, dass sie sich ergeben müssen. Am Tag vor der geplanten Flucht der vier Katharer feiert die Gemeinschaft in Anwesenheit ihres Großmeisters des höchsten Grades, Amiel-Aicart, die letzte Manisola, das Fest, an dem das Consolamentum, der Paraklet, gespendet wird, das einhergeht mit der Erhebung zum Perfekti, dem Vollkommenen. So werden auch erstaunlicherweise katholische Soldaten, die für die Katharer gekämpft hatten, zu Bonhommes geweiht.

      Die vier Männer werden auf ihren Auftrag vorbereitet und mit überlebenswichtigen Dingen ausgestattet. Sie nehmen Abschied und begeben sich etwa am 28.02.1244 in der Morgendämmerung auf die lebensgefährliche Klettertour und seilen sich vom Mont Ségur ab.

      Nachdem sie wohlbehalten den Berg verlassen haben, sich in sicherem Abstand vom Mont Ségur befinden, kann die Kapitulation am 2. März 1244 erfolgen. Die vier Flüchtlinge erfüllen inzwischen ihre Mission und wandern auf dem Weg vom Mont Ségur Richtung Osten nach Quillon, über Le château de Coustaussa, der Gotenstadt Rennesle Château, bis nach Salza. Dort verliert sich ihre Spur. Amiel Aicart soll später insgeheim in der Höhle von Lombrives im Arriége-Tal weiterhin als Bischof amtiert haben. Nach der Kapitulation folgt die Wahl: Entweder die Katharer schwören ihrem Glauben ab und werden katholisch oder sie werden auf dem Scheiterhaufen lebendig verbrannt. Die katholische Kirche verbrennt nun 225 gläubige Christenmenschen, Männer und Frauen bei lebendigem Leib. Genauso wie Jesus dem Kinderschlächter Herodes entkam, so entkamen auch die vier Männer mit dem Schatz der Katharer vom Mont Ségur und blieben verschont von dem anschließenden Massaker auf dem Scheiterhaufen.

      Dieses Kreuzfahrerheer der katholischen Kirche bestand nicht aus Kriegern mit einem Ehrenkodex, nämlich Tempelrittern, sondern aus den schlimmsten Räubern und gedungenen Mördern, ein Heer von Verbrechern. Das Morden geht auch nach der Beendigung der „Kreuzzüge“ ungebremst weiter. Selbst nach der Kapitulation der Katharer auf dem Mont Ségur 1244 ist noch Jahrhunderte lang kein Ende der Verbrechen der katholischen Kirche abzusehen.

      Das blühende Leben, die gesamte Kultur, das Geistesleben und die Wirtschaft in Südfrankreich werden auf grausamste Weise ausgelöscht und das Land wird in eine Wüste verwandelt.

      Kapitel 3

      Das Unentschuldbare

      Tötet sie alle

      Damit hatte die katholische Kirche ihren Blutdurst noch nicht befriedigt. Die Verfolgung Andersdenkender breitet sich über ganz Europa aus. Mit besonderer Aufmerksamkeit und unterstützt von Denunzianten rottet die Kirche alle erreichbaren Wissensträger, Gelehrten und Hochbegabten aus, auf dass niemand irgendein geistiges Erbe entwickeln und entfalten, oder Gelerntes, Entdecktes weitergeben kann. Geistiges, schriftlich niedergelegtes Gedankengut wird konfisziert und unwiederbringlich vernichtet. Das Verfahren der Inquisition muss von dem Delinquenten selbst finanziert werden. Und wenn sein Vermögen nicht ausreicht, hat die Verwandtschaft zu zahlen. Besonders moralisch und religiös hochentwickelte, geistig freie Menschen mit eigener Intelligenz und materiellem Besitz sind von jeher der Kirche ein Dorn im Auge. Selbstständiges Denken ist noch heute absolut unerwünscht.

      Um nun die Katharer besser verfolgen und vor allen Dingen auch wirklich restlos ausrotten zu können, wurde die Inquisition 1231/32/33 in die Hände des 1214/15 genau zu diesem Zweck neugegründeten Dominikanerordens gelegt, der nun freie Hand für seinen Glaubenswahn erhält. In den Ketzerkreuzzügen wird alles umgebracht, was der kirchlichen Macht und Habgier im Wege steht, Unwissende und harmlose Analphabeten, Alte und Kinder sowie alle Verdächtigen oder eben unterschiedslos alles, was lebt, wird dahingemordet. Die Besitztümer der Ermordeten werden von den Mördern geraubt und ansonsten von ihren Auftraggebern einverleibt.

      Auf Befragung, woran denn die Rechtgläubigen im Kampf gegen die Ketzer zu erkennen seien, soll der päpstliche Legat und Abt des Klosters Citeaux, Arnaud-Amaury, zu Beginn des ersten Ketzer-Kreuzzuges am 22. Juli 1209 den Slogan ausgegeben haben: „Tötet sie alle! Gott wird die Seinen schon erkennen.“ Mit unvorstellbarer Grausamkeit wird daraufhin im Blutbad von Béziers die gesamte Bevölkerung von 15.000 bis 20.000 Menschen abgeschlachtet, Männer, Frauen, Kinder, Babys, alte Leute und Tiere werden auch nicht verschont.

      Niemand auf dieser Erde kann der katholischen Kirche für diese riesige Schuld die Absolution erteilen.

      1210 lässt Simon de Montfort, ein Nordfranzose und Anführer der päpstlichen Mörderscharen, in Bram 100 Katharer verstümmeln. Ihnen werden Nase und Ohren abgeschnitten, die Zunge mit einer Zange herausgerissen. 1211 gibt er den Befehl, in Lavaur 400 Katharer öffentlich zu verbrennen. In der Grotte von Lombrives in Ussat les Bains, der größten und schönsten im Ariègetal in den Nordpyrenäen, werden 1328 510 Katharer lebendig eingemauert. 1578, also 250 Jahre später, wird die Grotte geöffnet. Die Gebeine der Toten sind noch heute im Tropfstein erhalten. Auf dem Boden der Höhle liegen sie Hand in Hand in großen Kreisen.

      Die Kirche ist blutbesudelt. Den Ketzerkreuzzügen folgt die Inquisition mit ihren Auswüchsen. Die Templer, eigentlich als Kreuzritter zusammengeschlossen, lehnen den Kampf gegen Christen als verwerflich ab und verweigern die Teilnahme an diesen drei Ketzerkreuzzügen (1209–1229 und 1243/44) gegen die Katharer.

      Rund 60 Jahre nach der Kapitulation der Katharer auf dem Mont Ségur, am sogenannten „schwarzen Freitag“, dem fatalen 13. Oktober 1307, lässt Philipp der Schöne von Frankreich, dem Templerorden gegenüber hochverschuldet, mit ausdrücklicher Genehmigung von Papst Clemens V. und aktiver Unterstützung der katholischen Kirche alle Templer verhaften, um sie vor die Inquisition zu bringen. Der Orden, der höchstes Kulturgut in der Zeit der Gotik hervorbrachte und die mittelalterliche Wirtschaft Westeuropas zu ungeahnter Blüte brachte, wird vernichtet. Die Scheiterhaufen lodern in Frankreich und die Beute, Land und Besitz der Templer, werden geteilt unter Philipp dem Schönen und dem Papst Clemens V. Die Reichtümer des Templerordens

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