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geschrumpft. Jene Teile, die an Deutschland grenzten, wie Basel und Bern, befanden sich noch unter der Kontrolle des Kaisers. Doch alle Gebiete, die an Frankreich angrenzten, entzogen sich seinem Einfluss. Die deutschen Kaiser fanden sich damit ab. Sie verzichteten zwar nicht förmlich auf ihren Anspruch auf das Königreich, doch nach Konrad IV., der 1254 starb, führten sie den burgundischen Königstitel nicht mehr.

      Die politische Zersplitterung sollte sich weiter beschleunigen, doch dieser gängige Begriff wird den komplizierten Prozessen, die sich hier vollzogen, nicht gerecht. Denn nachdem die überkommenen staatlichen Einheiten zusammengebrochen waren, entstanden neue Gebilde, häufig unter Missachtung bestehender staatlicher Grenzen. Heiraten, Brautgaben, Eroberungen und Nachlässe führten zu einer ständigen Abfolge von Zusammenschlüssen, Trennungen und Neugründungen. Der typische burgundische Graf war nicht mehr der Herr über ein direktes Lehen, das einem Oberherrn unterstand. Häufiger war er das Oberhaupt einer Reihe von Gütern, Titeln und Ansprüchen, die im Laufe von Generationen durch die vereinten Bemühungen der Ritter, der Frauen, Kinder und Anwälte seiner Familie entstanden waren.

      Bei den burgundischen Pfalzgrafen beispielsweise wurde das ursprüngliche Erbe wiederholt von einem politischen Bereich in einen anderen weitergegeben und durch Heirat von einer Familie zu einer anderen: Im Jahr 1156 fiel es an das deutsche Geschlecht Hohenstaufen, 1208 an das bayerische Haus Andechs und 1315 an das französische Königshaus. Jedes Mal fügte der Begünstigte die Titel und Besitztümer seiner Ehefrau seinen eigenen hinzu, wobei er manchmal den früheren Oberherrn anerkannte, manchmal auch nicht. Für adelige Stammbaumforscher trat 1330 ein wichtiges Ereignis ein, als Jeanne III. von Frankreich, die Gemahlin des Herzogs des französischen Burgund, von ihrer Mutter den Anspruch auf die zum Heiligen Römischen Reich gehörende Freigrafschaft Burgund erbte. Das französische Herzogtum und die deutsche Grafschaft standen damit vor einer dauerhaften Vereinigung. Im Zuge der verwirrenden burgundischen Erbfolge (siehe unten) bemühte sich Margarete, die Freigräfin von Burgund (1310–1382), eine Tochter des französischen Königs, diesen Zusammenschluss zu beschleunigen. Im Jahr 1366 begann sie, ohne besonderen rechtlichen Grund, in ihren Urkunden und Dokumenten den Begriff »France-Comté« (sic) zu verwenden und ließ die traditionelle Bezeichnung »Grafschaft Burgund« fallen. (Damit griff sie das Beispiel von Rainald III. auf, der sich als franc comte bezeichnet hatte.) Die mittlerweile etablierte Bezeichnung »Franche-Comté« entstand eindeutig erst nach Margaretes Tod. Das war das Königreich Nr. VII. auf der Liste von Bryce.86

      Die Mitte des 14. Jahrhunderts war in Europa eine schwierige, turbulente Zeit. Im Jahr 1348 wütete der Schwarze Tod, und dies war bei Weitem nicht der letzte Ausbruch der Beulenpest. Frankreich stand vor dem Hundertjährigen Krieg mit England, und im Heiligen Römischen Reich herrschte Aufruhr wegen der Goldenen Bulle von 1356, durch die ein neues Grundgesetz für das Reich eingeführt und die Modalitäten der Königswahl neu geregelt wurden. Infolge der Spaltung der Kirche gab es einen Papst in Rom und einen Gegenpapst in Avignon. Die wenigen verbliebenen Teile des Königreichs Burgund waren oft zwischen den Nachbarstaaten umkämpft. Darüber hinaus brachen gleichzeitig im Königreich Frankreich, im Herzogtum Burgund und in der Freigrafschaft Burgund langwierige Erbfolgekrisen aus.

      Dabei ist es hilfreich, wenngleich zu Beginn klargestellt wird, dass drei verschiedene Frauen den Namen »Margarete von Burgund« verwendeten und dass drei verschiedene Männer »Philipp von Valois« genannt wurden. Einer von ihnen, der auch unter dem Namen Philipp von Rouvres (1347–1361) bekannt ist, löste die Krise aus, als er 1361 bei einer Wiederkehr der Pest vorzeitig starb, ohne seine Ehe vollzogen zu haben. Hätte er länger gelebt, hätte er mühelos seine eigenen Ansprüche auf das Herzogtum und jene seiner Gemahlin auf die Freigrafschaft durchsetzen können. Stattdessen fielen seine sämtlichen Titel an konkurrierende Anspruchshalter. Dazu kam, dass der französische König Johann der Gute das Erstgeburtsrecht missachtete und, wiederum aus politischen Gründen, das Herzogtum Burgund für seinen vierten Sohn beanspruchte.

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      Erwartungsgemäß sorgte die Entstehung des neuen Staatswesens, das nur dank der gleichzeitigen Schwäche von Frankreich wie von Deutschland möglich geworden war, für heftige Konflikte. In Frankreich löste sie einen erbitterten und langwierigen Bürgerkrieg zwischen zwei Adelsgruppierungen aus, den »Bourguignons« und den »Armagnacs«, deren Auseinandersetzungen bald vom Hundertjährigen Krieg überlagert wurden. Die Bourguignons setzten sich für gute Beziehungen sowohl zu den Nachfolgern von Philipp dem Kühnen als auch zu den englischen Verbündeten Burgunds ein. Die Armagnacs, die sich als französische Patrioten verstanden, verurteilten die Aktivitäten des abtrünnigen Herzogtums und die verräterische Allianz mit dem englischen Erbfeind. Von 1418 bis 1436 beteiligten sich burgundische Truppen an der englischen Besetzung von Paris. Die Deutschen, durch ihre eigenen Streitigkeiten hoffnungslos zersplittert, waren außerstande, einzugreifen, bis schließlich in den 1430er-Jahren die Ära der Habsburger begann. Niemand, vielleicht mit Ausnahme der Mitarbeiter der Reichskanzlei, erinnerte sich noch daran, dass das Königreich Burgund offiziell noch nicht erloschen war. Unterdessen hatten die Herzöge und Grafen freie Hand.

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      Nur vier Herrscher regierten die Staaten von Burgund im Verlauf des 14. und 15. Jahrhunderts: Philipp der Kühne/Filips de Stoute (reg. 1364–1404), Johann Ohnefurcht/Jean sans Peur/Jan zonder Vrees (reg. 1404–1419), Philipp der Gute/Philippe le Bon/Filips de Goede (reg. 1419–1467) und Karl der Kühne/Carles le Téméraire/Karel de Stoute (reg. 1467–1477). Die niederländischen und flämischen Historiker haben natürlich eigene Bezeichnungen gefunden. Bei der Auflistung jener Herrscher, die zugleich Herzog und Graf waren, werden auch die nichtburgundischen Grafen von Flandern und Artois berücksichtigt. Zu den burgundischen Landen gehörten aber nicht nur die beiden Burgund sowie Flandern und Artois. Karl der Kühne beispielsweise besaß 15

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