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vertrat der päpstliche Gesandte die Ansicht, dass das Kaiserreich lediglich ein päpstliches benefizium sei, also ein freiwilliges Geschenk, über das der Papst weiterhin verfügen könne. Dadurch riskierte er, wie ein Historiker bemerkte, dass einer der anwesenden Herzöge des Reiches ihm mit seiner Streitaxt den Schädel spaltete, denn mit dieser Aussage stellte er die unbestrittene Autorität des Kaisers eindeutig infrage. Doch der Erzbischof von Besanz wie auch einige Grafen aus der Region kamen dadurch wohl auf neue Ideen.

      Die Pfalzgrafschaft Burgund – die diesen Namen aufgrund ihrer Lage an der nördlichen Grenze des Königreiches erhalten hatte – war ein sehr wichtiges Gebiet. Graf Rainald III. (gest. 1148) hatte hier bereits vergeblich ein eigenes kleines Reich aufzubauen versucht. Nachdem er die Grafschaft Mâcon im benachbarten französischen Herzogtum Burgund geerbt hatte, hatte er sich zum Freigrafen (franc comte) innerhalb des Heiligen Römischen Reiches erklärt. Doch die kaiserlichen Behörden billigten diesen Schritt nicht und beschlagnahmten zur Strafe einen Großteil von Rainalds Gütern. Aber dann heiratete Kaiser Friedrich Barbarossa Rainalds Tochter und die Erinnerung an Rainalds »Freigrafschaft« lebte weiter.74 Im Jahr 1178 gelang es dem Erzbischof von Besanz, einem Enkel von Rainald III., durch Verhandlungen seinen Bischofsitz in eine Reichsstadt umzuwandeln, die von ihren Lehenspflichten gegenüber dem Pfalzgrafen befreit wurde. Das war ein wegweisender Präzedenzfall. Einige Jahrzehnte später ging der Bischof von Basel noch einen Schritt weiter und schuf ein »Fürstbistum«, das nicht nur über seinen Bischofssitz herrschte, sondern auch über die nahe gelegenen beschlagnahmten Güter von Rainald III.75

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      Auch große Teile der künftigen Schweiz wurden aus dem zum Heiligen Römischen Reich gehörenden Königreich Burgund herausgeschnitten. Anfang des 13. Jahrhunderts wanderten Bauern aus dem Gebiet des Bischofs von Sion im Valais nach Graubünden im Osten. Die Einwanderer brachten Brückenbautechniken mit, machten die Schöllenenschlucht für Reisende passierbar und ermöglichten den Zugang zu dem bedeutsamen Handelsweg über den Gotthard-Pass nach Italien. Im August 1291 gelobten die Männer von Uri, Schwyz und Unterwalden, die Mautstellen am Pass betrieben, dass sie sich jeder Einmischung von außen widersetzen würden. Dies gilt als Gründungsakt der schweizerischen Eidgenossenschaft.76

      Die Provence löste sich durch eine Reihe von Heiraten von Burgund. Im Jahr 1127, in der ersten Phase, hatte die letzte Bosoniden-Erbin ihre Rechte ihrem aus Barcelona stammenden Ehemann abgetreten und dadurch die Kontrolle über das Territorium einer Macht außerhalb des Heiligen Römischen Reiches übertragen. Im Jahr 1246 brachte die letzte katalanische Erbin der Provence dieselbe Mitgift in ihre Ehe mit einem angevinischen Gemahl ein, was den Anfang einer Linie von Grafen darstellte, die Vasallen des französischen Königs waren (siehe dazu S. 200).77

      Die Erosion setzte sich fort. Im ersten Viertel des 13. Jahrhunderts eroberten die Franzosen während des Kreuzzugs gegen die Albigenser die Languedoc und fassten dadurch auf dem rechten Ufer der Rhône Fuß. Unter König Ludwig dem Heiligen (reg. 1226–1270) begannen sie mit der Einrichtung eines Außenpostens an der Mittelmeerküste bei Aigues-Mortes, was zur Gründung eines Kreuzfahrerhafens führen und ihre Kontrolle über das untere Rhône-Tal festigen sollte.78 Im Jahr 1229 gelang es Agenten des französischen Königs, den Bischof von Vivarium (Vieviers) zu stürzen und einen französischen Brückenkopf am Fuße der Cevennen zu errichten.79 Das Comtat Venaissin auf dem gegenüberliegenden Ufer, das seinen Namen von der kleinen Stadt Venasque ableitete, wurde von seinem kinderlosen Eigentümer 1274 als Geschenk dem Papst hinterlassen. Die Enklave Avignon innerhalb des Comtat wurde 1348 an einen im Exil weilenden Papst verkauft.80 Die benachbarte Grafschaft Aurasion (Orange) genoss den Status eines autonomen Fürstentums unter den Grafen von Baux, die bekannt wurden durch ihre Auseinandersetzungen mit den Grafen der Provence, die sogenannten »Bausseneque-Kriege«. Ihre Hinterlassenschaft fiel schließlich an das französische Haus Chalon.81

      Lugdunum (Lyon), die bedeutendste Stadt im Rhône-Tal, entwickelte sich unterdessen zu einer herausragenden Handelsmetropole. Mit ihren Jahrmärkten, die von zahlreichen italienischen Kaufleuten besucht wurden, bildete sie eine Drehscheibe des Handels zwischen dem nördlichen und dem südlichen Europa. Zunehmend jedoch begann sich Frankreich auch aus strategischen Gründen für die Stadt zu interessieren. Im 13. Jahrhundert war Lyon vor allem ein sehr bedeutender Erzbischofssitz. Hier fanden zwei Kirchenkonzile statt. Auf dem Konzil im Jahr 1245 wurde Kaiser Friedrich II. exkommuniziert und abgesetzt. Am zweiten Konzil in Lyon im Jahr 1274 nahmen 500 Bischöfe teil. Die Päpste leiteten diese Konzilien persönlich, und 1305 wurde Papst Klemens V. in Lyon gekrönt. Wahrscheinlich war es kein Zufall, dass der Erzbischof von Lyon, Béraud de Got, der Bruder des neuen Papstes war.

      Die Absetzungsbulle von Papst Innozenz IV., in der die Exkommunikation von Friedrich II. bekräftigt wurde, nahm kein Blatt vor den Mund:

      … Wir können seine Ungereclitigkeiten niclit länger dulden, ohne Christus schwer zu beleidigen, und der Druck unseres Gewissens zwingt uns, ihn gerecht zu bestrafen. Um seine anderen Vergehen beiseite zu lassen, vier äußerst schwere Verbrechen hat er begangen, die mit keiner Ausflucht zu leugnen sind. Er hat mehrfach Meineid geleistet; er hat den Frieden … zwischen Kirche und Reich … willkürlich gebrochen; er hat sogar das Sakrileg begangen, Kardinäle der heiligen römischen Kirche sowie Prälaten und Kleriker … anderer Kirchen gefangensetzen zu lassen, die auf dem Wege zum Konzil waren …; auch der Ketzerei wird er nicht aus zweifelhaften oder geringfügigen, sondern aus schwerwiegenden und eindeutigen Gründen verdächtigt … Daher haben wir offengelegt, dass der genannte Fürst, der sich des Kaisertums, der Königreiche und aller Ehre und Würde so unwürdig erwiesen hat und der wegen seiner Ungerechtigkeiten von Gott verworfen wurde, damit er nicht regiere und nicht herrsche, befangen und verworfen ist aufgrund seiner Sünden … Wir zeigen dies an und entheben ihn … kraft unseres Urteils und kraft apostolischer Autorität verbieten wir streng, dass irgendjemand ihm fürderhin wie einem Kaiser oder König gehorcht … Diejenigen aber, denen in diesem Reiche die Wahl des Kaisers zusteht, sollen in freier Wahl einen Nachfolger bestimmen … Gegeben zu Lyon, am 17. Juli (1245), im dritten Jahr des Pontifikats.82

      Ein solches Dokument hätte niemals formuliert und verlesen werden können, wenn der Kaiser auch nur noch begrenzten Einfluss in dieser nominell nach wie vor zum Reich gehörenden Stadt ausgeübt hätte.

      Lyon dagegen wurde von inneren Machtkämpfen zerrissen und hatte daher französischen Ränkespielen nicht viel entgegenzusetzen. Der Erzbischof befand sich ständig im Streit mit den Grafen von Lyonnais-Forez und mit den Patriziern der Stadt. Als die Franzosen zuerst den Grafen auf ihre Seite zogen und dann auch die reichen Bürger, geriet der Erzbischof in eine aussichtslose Lage. Im Jahr 1311 nahmen französische Truppen die Stadt ein, ohne auf Widerstand zu stoßen. Der Erzbischof durfte seinen Ehrentitel »Primas der Gallier« behalten, doch die Macht ging auf eine Stadtverwaltung aus gewählten Konsuln über, die ihre Maßnahmen von den Franzosen billigen lassen mussten.84

      Die Dauphiné, für die sich Frankreich ebenfalls interessierte, kontrollierte die Straße nach Italien über den Mont Cenis. Doch die Grafen von Albon/Vienne, die Grenoble und die Umgebung des Passes besaßen, hielten sich bis 1349, als sie ihr Gebiet schließlich in einer privaten Transaktion an den König von Frankreich verkauften. Fortan wurde der Titel des Sohnes des Königs und Thronfolgers, des »Dauphin«, von diesem Territorium abgeleitet (ob es weiterhin de

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