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bringt das Relief – als figurative Hypothese verstanden – den anschauenden Blick in eine Art fließende, gesetzmäßige, keinesfalls leicht zu beherrschende Bewegung. Es verändert seinen Charakter von Relief zu Relief. – Das Beispiel wäre zu vertiefen.111

      Abb. III/IV: dornach_19_41 und moskau_28. Fotografien von Achim Hatzius aus dem Zyklus »Deduschka«. © Achim Hatzius

      In seinem Vortrag auf dem Internationalen Kongress für Philosophie am 8. Mai 1911 in Bologna nennt Steiner alle Darstellungen des Geistesforschers »Hypothesen, regulative Prinzipien (im Sinne der Kant’schen Philosophie)« (GA 35, 129), die sich – er ist optimistisch – in der »sinnenfälligen Welt« schon immer bestätigen würden. Gleichzeitig zeigen die Entwicklungsschritte oder Stufen112 der Erkenntnis, die er als imaginative, inspirative und intuitive schildert, selber den Charakter hypothetisch vollzogener Erkenntnis. Als erste Stufe nämlich fungiert das innerliche Leben in einer symbolischen, sinnlich-figurativen Vorstellung (hier vom Hermes-Stab). Eine Vorstellung, die im eben entwickelten Sinn eine Hypothese darstellt, weil sie selber noch keine Erfahrung vermittelt, wohl aber auf Erfahrung hin orientiert ist.

      Wenn es nun gelingt, wie Steiner es als nächsten Schritt fordert, bei dieser imaginativ-hypothetischen Übung den sinnlichen Inhalt der Symbolvorstellung zurückzudrängen, dann tritt, so seine Schilderung, eine nächste Stufe des Erlebens ein, die Steiner hier »Selbsterfahrung« oder »inspirative Erkenntnis« nennt. Sie hat selbst wiederum eine hypothetische Vermittlungsfunktion, insofern sie noch keine eigene geistige Erkenntnis darstellt. Denn erst, wenn in einer weiteren Stufe auch dieses Kräfteweben selber zurückgedrängt werden könne, führe das zu einer Erfahrung. Sie sei möglich, trete aber nicht zwangsläufig ein. »Das Selbst wird nach dieser Unterdrückung entweder dem Leeren sich gegenüber finden … Oder aber es wird sich dem Wesentlichen der übersinnlichen Welt noch unmittelbarer gegenübergestellt finden als bei der inspirierten Erkenntnis. Bei dieser erscheint nur das Verhältnis einer übersinnlichen Welt zum Selbst; bei der hier charakterisierten Erkenntnisart ist das Selbst vollständig ausgeschaltet« (ebd., 130). Das sei die »intuitive« Erkenntnisart.

      Ich möchte auf diesem Hintergrund der drei von Steiner immer neu geschilderten Erkenntnisgesten vier Aspekte des Begriffs einer geisteswissenschaftlichen Hypothese unterscheiden. Der erste ist der gewöhnliche, den Steiner auch anführt und der geisteswissenschaftliche Aussagen in der Welt der Sinne und des alltäglichen Lebens als plausibel erweisen oder auch nicht erweisen mag. Auf dieser Stufe des schlichten Verständnisses von Hypothese ist zwar kein Entdecken oder eigenständiges Darstellen geisteswissenschaftlicher Inhalte möglich, wohl aber ein Nachvollziehen oder Verstehen (vgl. GA 82, 115; GA 152, 16; GA 264, 39). Wir befinden uns auf der großzügigen, Raum gebenden Ebene der Erzählung (1.). Der zweite Aspekt meint die Hypothese als symbolische Vorstellung oder Imagination (2.) verstanden, die, als aktive, tätige Annahme in die Dimension des Spirituellen einführt. Die dritte Form der Hypothese besteht in der Steigerung der zweiten Form insofern, als dass die sinnlichen Stützelemente zurückgedrängt werden und nur noch die innerlich strukturierte und strukturierende Tätigkeit als hypothetische, d.h. erfahrungsorientierte Struktur oder Abstraktion (3.) zurückbleibt. Die vierte Stufe schließlich wäre das »Aufhören« der Hypothese in der geschehenden Erfahrung.113 Sie entspricht (4.) dem aktiv vorbereiteten »Opfer des Intellekts« (GA 92, 23; vgl. GA 265, 27 ff.).114

      Erst hier erweist es sich, ob das, was als Hypothese aufgebaut wurde, auch tatsächlich zu einer substanziellen spirituellen Erfahrung führt. Zu einer spirituellen Erkenntnis, überdies, kommt es dann, wenn eine in diesem Sinn mehrfach gegliederte Hypothese nicht nur aufgestellt, innerlich belebt und modifiziert sowie der Erfahrung exponiert wird, sondern wenn sie auch in einem sich vollziehenden subtilen Erfahrungsprozess gegebenenfalls verworfen, zurückgedrängt, aufgelöst, aufgehoben, modifiziert und in dieser Weise »kohärent verformt« wurde. Diesen Prozess macht die spirituelle Erfahrung selber. Es zeigt sich. Hypothese ist, in der Konsequenz, für den Geistesforscher oder die Geistesforscherin sowohl ein Mittel, spirituelle Erfahrungen darzustellen, 115 als auch, sie einzuleiten und zu orientieren. Darstellungsfunktion und heuristische oder regulative Funktion der Hypothese erscheinen dabei wie zwei Seiten ein und derselben Sache. Regulative Hypothesen lösen sich in der Konsequenz auf; darstellende Hypothesen bilden sich in der Erfahrung neu. Hier liegt für einen Forscher in der historischen Situation Steiners die Bedeutung der theosophischen Literatur als Feld oder Steinbruch möglicher Hypothesen. Und hier zeigt sich nicht zuletzt die Funktion des Studiums als Ausgangspunkt eigenständiger Forschung.116

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      Es versteht sich, dass in diesen komplexen Vermittlungsprozess des Bildens und Entbildens von Hypothesen mannigfache Irrtumsmöglichkeiten eingebunden sind. Jede Hypothese selber stellt immer die Kehrseite eines möglichen Irrtums dar. Sie kann im Prinzip jederzeit durch die Erfahrung korrigiert und durch die Reflexion modifiziert werden. Deshalb vergisst Steiner in unserem Kontext nicht zu sagen, »im Einzelnen können selbstverständlich die Behauptungen der … Geistesforscher die größten Irrtümer enthalten« (GA 35, 129). Der Anteil der Irrtums- und Deutungsmöglichkeiten in der spirituellen Methode Steiners ist bislang wenig erforscht.117 Der hypothetische, oft auch oberflächliche und vielfach zeitgebundene Charakter seiner Aussagen wird besonders dort gerne übersehen und falsch eingeschätzt, wo man ihnen den fragilen Modus von Forschungsaussagen, Hypothesen oder potenziellen Fragen nimmt und sie als nicht deutbare, unendlich überlegene, fraglos aufzunehmende Mitteilungen oder Angaben eines »Hellsehers« – oder, in anderer Perspektive eines obskuren Charismatikers – auffasst. Seine Aussagen werden auf diesem Weg nicht nur verdinglicht und verfestigt; es wird auch ihre didaktische Vermittlungs-, ihre künstlerische Darstellungsfunktion und damit ihre erfahrungsbezogene Vorläufigkeit vernachlässigt. Es ist eine Funktion, die sich in den behandelten Aspekten der Hypothese auf doppelte Weise zeigt: in ihrer Geltungsfunktion als Behauptung, die einen Wahrheitsanspruch erhebt, aber unvermeidlicherweise sensibel, potentiell irrtumsbehaftet und erfahrungsbezogen-vorläufig bleibt; und in jener Art von Behauptung, die in sich, wenn sie gut ist, die Sensibilität erzeugt für das, wovon sie redet. Hypothesen also sind sensible Behauptungen.

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