Скачать книгу

unterbrach das Gespräch, da sie die Antwort bereits kannte: Es handelte sich um ein ganz entschiedenes Ja!

      »Wir hätten dich so oder so noch geweckt. Wir könnten dich dort draußen brauchen.«

      Kas war ein derart schlechter Zeitgobble, dass er die Zeit nur um etwa eine Minute zurückdrehen konnte. Aber eine Minute konnte einem oft genug das Leben oder die Frisur retten – je nachdem, worauf man größeren Wert legte.

      »Ihr wollt, dass ich einfach so da raus gehe? Ungeschützt? Vielleicht herrscht dort draußen nicht einmal eine richtige Atmosphäre«, vergewisserte Kas sich und trudelte in der Luft auf und ab. Die Bewegung wirkte sehr unentschlossen.

      Raumanzüge beziehungsweise lebenserhaltende Maßnahmen waren bei seiner Körpergröße nur als Sonderanfertigungen zu erwerben. Sonderanfertigungen waren extrem teuer. Selene hatte entschieden, es darauf ankommen zu lassen.

      »Du brauchst keine Atmosphäre zum Überleben«, erinnerte Selene ihn.

      Die Zeitgobbles hatten schon vor Erzeugung der künstlichen Atmosphäre auf dem Mond gelebt und auch danach. Sie brauchten keinen Sauerstoff und keine stoffliche Nahrung. Außerdem waren sie feuer-, wasser- und säurefest. In Notsituationen konnten sie die Zeit zurückdrehen. Die Zeitgobbles hatten das Überleben perfektioniert. Ironischerweise betrug ihre natürliche Lebensspanne nur wenige Jahre.

      »Jetzt hört beide auf zu jammern. Ich bin euer Kapitän.«

      Selene schlang ihr Haar zu einem Zopf zusammen und zog dann den Helm über den Kopf. Mit einem leisen Klacken rastete der Mechanismus ein und teilte ihr mit, dass sie sich nun in einem geschlossenen, autonomen System befand. Tief holte sie Luft. Ihr Atmen klang laut innerhalb des Helms. Geräusche von draußen wurden jetzt elektronisch übermittelt und von einem leisen Hintergrundrauschen begleitet, das man nie ganz loswurde, außer man hatte wirklich sehr, sehr viel Geld zur Verfügung.

      Mit einem kurzen Blick vergewisserte Selene sich, dass Naajab seinen Helm ebenfalls übergezogen hatte. Dann griff sie nach dem Rucksack, der bereits seit Tagen fertig gepackt neben der Schleuse wartete, und betätigte den Knopf, der die Rampe herunterließ. Der Boden senkte sich vor ihnen ab, und für einen kurzen Augenblick fragte Selene sich, ob das hier wirklich so eine gute Idee war.

      Sie waren blind einem Navigationsgerät gefolgt, das ihnen nicht einmal den Grund für ihre Reise verraten hatte. Und dann die Sache mit den Farben. Naajab hatte recht. Wie ein gutes Zeichen sah das sicherlich nicht aus. Aber im Universum gab es so viel. Planeten, deren Atmosphäre die Übermittlung von Schallwellen verhinderte und deren Bewohner daher nur telepathisch miteinander kommunizierten. Planeten, auf denen keine Pflanzen gediehen, aber die Steine wuchsen. Planeten, auf denen Politiker tatsächlich ihre Wahlversprechen hielten. (Ryalner konnten aufgrund kognitiver Verknüpfungen nicht lügen. Versuchten sie etwas auszusprechen, das sich nicht mit den Fakten in ihrem Gehirn deckte, starben sie augenblicklich an einem Aneurysma.) Warum sollte es also nicht auch einen Planeten geben, dessen Atmosphäre das Wahrnehmen von Farbpartikeln verhinderte? In den Online-Reiseführern hatte zugegebenermaßen nichts davon gestanden, aber vielleicht hatte man die Touristen nicht verschrecken wollen. Es machte schrecklich viel Arbeit, die Urlaubsfotos von Hand nachkolorieren zu müssen. Seit ihrem Aufbruch vom Mond waren Selene und Naajab auch schon auf anderen Planeten von Bord gegangen. Es gab keinen grundlegenden Unterschied, über den sie sich diesmal den Kopf zerbrechen musste.

      Die Rampe schlug mit einem metallenen Kratzen auf dem Boden auf.

      »Sag mal, haben wir auch irgendwelche Waffen dabei? Nur für den Fall«, wollte Naajab wissen.

      Selene trat auf die Rampe hinaus und klopfte auf den Schulterriemen ihres Rucksacks.

      »Natürlich. Nur für den Fall«, sagte sie.

      »Ich meine, richtige Waffen«, präzisierte Naajab. »Keine Lockenwickler.«

      Selene schnaubte, ohne sich zu Naajab umzudrehen. Seine Schritte hallten auf der Rampe wider und erzeugten ein hohles Scheppern.

      Er hatte ja keine Ahnung, was Selene alles mit Lockenwicklern anstellen konnte.

      »Und was ist mit dir? Du bist doch Polizist, solltest du nicht ausgerüstet sein?«, fragte sie geistesabwesend und kontrollierte die Anzeigen, die ihr in den Helm übermittelt wurden. Die Schwerkraft lag ein geringes Maß über dem, womit sie aufgewachsen war, doch der Anzug neutralisierte die Wirkung weitgehend. Sie konnte sich auf Shin K-T 131 frei bewegen, auch wenn sie einen Marathon besser vermeiden sollte. Außerdem war die Atmosphäre sauerstoffhaltig, was durchaus Sinn ergab, denn ihren Informationen zufolge war die heimische Spezies humanoid, was auf erdähnliche Bedingungen hatte schließen lassen.

      »Ich habe einen Taser dabei«, verkündete Naajab hinter ihr. »Aber er erzeugt maximal 200 Volt.«

      Ungläubig drehte Selene sich nun doch zu ihm um. Er stand noch immer auf der Rampe. Kas hatte das Raumschiff noch überhaupt nicht verlassen. Ihre Mannschaft bestand aus wahren Helden.

      »200 Volt? Das ist aber nicht viel«, vergewisserte sie sich.

      »Wasser leitet Strom«, erinnerte Naajab sie. »Es funktioniert besser, wenn der Betreffende nass ist.«

      Seufzend schüttelte Selene den Kopf, was sich mit dem Helm komisch anfühlte, da sich auch ihr Sichtfeld dadurch veränderte.

      »Vergessen wir das«, sagte sie und sah sich prüfend um.

      Naajab hatte die Liberty bis ans Ende der Landebahn gefahren und sie dort neben einigen anderen Raumschiffen geparkt. Der Parkplatz war nicht einmal überdacht. Selene zählte sechs weitere Schiffe. Nicht besonders viel, aber wenn sie zum Raumhafen hinüberblickte, erklärte sich so einiges. Sie hatte den Hafen auf dem Mond für klein gehalten. Dieser hier glich eher einer überdimensionierten Schulsporthalle. Er war ungefähr genauso gut in Schuss.

      Es war taghell, zwei Sonnen standen am Himmel. Ihr Licht war gleißend und weißer als das der Sonne in ihrem System. Sie glichen eher einer Neonröhre als einer Energiesparlampe.

      Außerdem war alles um sie her grau. Selene hatte das erwartet, aber ganz bestätigt sah sie ihre Theorie noch nicht. Sie standen auf einer Landebahn aus Asphalt und starrten auf die Außenseite eines schäbigen Gebäudes. Auf jedem anderen Planeten wäre die Szenerie wahrscheinlich ebenso grau gewesen.

      Mit einem letzten Blick auf die Anzeige löste Selene den Verschluss ihres Helmes und nahm ihn ab. Obwohl der Anzug eigentlich dazu gedacht war, ihren Körper zu schützen, fühlte sie sich darin eingeengt. Sie wollte die Umgebung mit all ihren Sinnen wahrnehmen können; dadurch fühlte sie sich sicher. Hinter einer Glasscheibe konnte ihr jederzeit etwas entgehen.

      »Bist du verrückt?«, fragte Naajab.

      Selene atmete ein paarmal probeweise ein und aus. Die Luft fühlte sich trocken an, wie die Luft in einem geschlossenen Raum mit einer Klimaanlage.

      »Ist vollkommen ungefährlich«, erklärte sie dann und warf Naajab den Helm zu.

      Er fing ihn auf und drehte ihn dann einen Moment zwischen den behandschuhten Händen, als suche er auf seiner Oberfläche nach einem Beweis für Selenes Erklärung.

      Schließlich machte er eine abwinkende Armbewegung und trat wieder ins Innere des Raumschiffes. Selene nutzte den Moment, um ihre Handschuhe abzulegen. Genau wie der Helm waren sie beim Erkunden einer neuen Umgebung bloß hinderlich.

      Als Naajab wieder zum Vorschein kam, hatte auch er Helm und Handschuhe abgelegt. Kas schwebte neben seiner Schulter in der Luft.

      »Auxie hat sich lange nicht mehr gemeldet, oder?«, fragte Naajab und blickte prüfend auf seinen Handrücken. Das violette Auge leuchtete nicht.

      »Ich denke, es ist ziemlich eindeutig, wo wir hinmüssen«, erwiderte Selene und nickte zum Hafen hinüber.

      »Also schön«, stimmte Naajab zu.

      Selene schloss das Raumschiff hinter ihnen ab, welches die Verriegelung mit einem kurzen Piepen bestätigte. Dann schritten sie an den übrigen Schiffen vorbei auf die automatische Tür an der

Скачать книгу