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Andererseits gibt es klare Gemeinsamkeiten, die bei den meisten Personen mit ASS gefunden werden wie z. B. bestimmte soziale Auffälligkeiten (Lord & McGee, 2001). Die Schwere der Symptome sowie das Profil der Fähigkeiten variiert von erheblicher Beeinträchtigung bis zu einem fast normalen Verhalten. Wahrnehmungsstörungen, Kommunikationsauffälligkeiten, Defizite im Sozialverhalten sowie das Intelligenzniveau zeigen in der Gruppe der Betroffenen eine erhebliche Bandbreite von sehr subtilen Störungen bis zu erheblicher Beeinträchtigung.

      Wie der Begriff »Haus« eine ganze Vielfalt von Gebäuden miteinschließt (z. B. Hochhaus, Bungalow, Villa, Hütte), so umfasst der Begriff »Autismus« viele Varianten und Facetten. Ein Mensch mit Autismus kann ein selbstständig lebender Arbeiter, Angestellter, freischaffender Künstler oder Akademiker sein, er kann aber auch ein Mensch sein, der nicht sprechen kann, nie gelernt hat, sich selbst zu versorgen und der lebenslang Hilfe benötigt. Andererseits haben Menschen mit Autismus auch eine Reihe gemeinsamer Merkmale. Im Folgenden wird versucht, diese Gemeinsamkeiten aufzuzeigen ebenso wie Interventionen, die wie ein Schlüssel zu einer ganz bestimmten Tür bzw. einer ganz speziellen Verhaltensauffälligkeit passen.

      Autismus-Spektrum-Störungen umfassen verschiedene Störungsbilder

      Images Frühkindlicher Autismus

      Images Asperger-Syndrom

      Images Rett-Syndrom

      Images Desintegrationsstörungen

      Images Unspezifische Entwicklungsprobleme

      Die Diagnose des Autismus beruht auf Verhaltensbeobachtungen und Interviewdaten und erweist sich in vielen Fällen als recht komplex. Da es bislang nur unzureichende biologische Marker gibt, passt sich die Diagnose dem jeweiligen Wissens- und Forschungsstand an und ist daher ein »work in progress« (Lord & Jones, 2012).

      So beruhen deutschsprachige Diagosen meist auf der Internationalen Klassifikation von Krankheiten (ICD-11), die in der elften Version vorliegt. Hier werden seit 2019 Betroffene mit starker Beeinträchtigung (ehemals »Kanner-Syndrom«) und geringerer Beeinträchtigung (ehemals »Asperger-syndrom«) sowie Menschen, die unter »PDD-NOS« (= Pervasive Developmental Disorder not otherwise specified«) leiden, unter der Diagnose »Autismus-Spektrum-Störung« (Abk: ASS) zusammengefasst. Hierbei wird spezifiziert, ob es sich um ein Syndrom mit oder ohne Sprache und mit oder ohne intellektuelle Beeinträchtigung handelt (Lai et al. 2014).

      Im anglo-amerikanischen Raum hat sich ebenfalls der Begriff »Autismus-Spektrum-Störungen« durchgesetzt. Hier dominiert das Diagnostische und Statistische Manual (DSM-5), das derzeit in der fünften Version vorliegt. Die neue DSM-5-Klassifikation betont das Kontinuum der Autismus-Störung und verzichtet auf die Bezeichnung »Asperger-Syndrom«. Da dieser Begriff derzeit jedoch diskutiert wird und ICD-10 (International Classification of Disease, www.autimus-online.de) im deutschsprachigen Bereich immer noch dominiert, wird im Folgenden weiter vom unteren Bereich der Autismus-Störung als »frühkindlicher Autismus« und dem oberen Ende als »Asperger-Syndrom« oder »hochfunktionalem Autismus« (High-Functioning-Autismus, Abk.: HFA) gesprochen (Wing, Gould & Gillberg, 2011; https://www.cdc.gov/ncbddd/autism/hcp-dsm.html). Auch weiter wird diskutiert, ob sich das Asperger-Syndrom signifikant von dem klassischen Autismus und vom High Functioning Autismus (Abk: HFF) unterscheidet (Kamp-Becker et al. 2010; Noterdaeme, M., Wried, E. & Höhne, C., 2009).

      Eine umfassende Diagnose durch spezialisierte Psychologen, Psychiater oder Neurologen ist in jedem Fall notwendig, um das Krankheitsbild von ähnlichen Störungen abzugrenzen. Hierzu gehören zum Beispiel Hospitalismus, Enzephalitis, frühkindliche Schizophrenie, Lesch-Nyhan-Syndrom, Angelman-Syndrom, geistige Behinderung oder Wahrnehmungsstörungen (im Hinblick auf die ausführliche Differentialdiagnostik siehe Remschmidt, 2000; Bormann-Kischkel, 2009).

      Die im Folgenden aufgezeigten Methoden und Übungen sind zum Teil auch für Individuen mit anderen tiefgreifenden Entwicklungsstörungen geeignet, müssen jedoch abgewandelt werden. Für die Planung von Therapien ist jedoch im Allgemeinen nicht die diagnostische Zuordnung wichtig, sondern das individuelle Kind mit seinen Fähigkeiten und Problemen.

      Für das diagnostische Vorgehen ist bei Verdacht auf Vorliegen von ASS folgende Übersicht hilfreich.

      Diagnostik bei Verdacht auf ASS

      1.2.1 Besteht eine Autismus-Spektrum-Störung?

      Images Auffälligkeiten im Sozialverhalten

      Images Auffälligkeiten in der Kommunikation und Sprache

      Images Wiederholendes und stereotypes Verhalten sowie eingeschränkte Interessen

      1.2.2 Wie ist der Entwicklungsstand und die Intelligenz?

      Images Normal oder verzögert

      Images Spezielle Defizite und Fähigkeiten

      Images Intelligenzprofil

      1.2.3 Welche zusätzlichen Probleme bestehen?

      Images Organische Auffälligkeiten, z. B. Hören und Sehen

      Images Schlafprobleme, Essensprobleme o. ä.

      Images Aufmerksamkeitsstörungen

      Images Sensorische und motorische Auffälligkeiten

      Images Emotionale und kognitive Probleme

      1.3 Welche frühen Anzeichen gibt es?

      Images Warnzeichen

       1.4 Was ist für die Prognose von Kindern mit ASS wichtig?

      1.4.1 Fähigkeits- statt defizitorientiertes Vorgehen

      Die Diagnose einer autistischen Behinderung wird im Wesentlichen durch Beobachtung und Fragebogenerhebung durchgeführt. Im Rahmen des neuen Spektrum-Ansatzes werden aber verstärkt genetische Risikofaktoren, Biomarkers und die Familiengeschichte mit einbezogen.

      Erste Hinweise auf autistische Symptome im Alter von 18 bis 24 Monaten gibt bereits die Beobachtungs- und Interviewliste für Autismus bei Kleinkindern, die sog. CHAT-Liste (Checklist for Autism in Toddlers – Checkliste für Autimus bei Kleinkindern) und ihre

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