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länger? Ihr müsst Euch täuschen, Meister Baader!«, sagte Jobst. »Ich bin zwar arm im Beutel …«, begehrte Hus auf, »… aber nicht ganz so arm im Kopf, wie Ihr denkt! Auch wenn ich weniger Erfahrung habe als Ihr, so erkenne ich doch einen Toten, wenn ich einen sehe!«

      Baader sagte achselzuckend: »Machen wir uns nichts vor – an dieser Frage sind schon erfahrenere Männer verzweifelt. Sonst gäbe es keine lebendig Begrabenen … Ich wünschte, ich wäre sicherer in solchen Dingen, denn ich dachte zuerst wie Ihr … doch jetzt? Nennt es ein Wunder … von mir aus! Aber sie haben wieder zu atmen begonnen, und da ich nicht an lebende Leichname oder Untote oder Wiedergänger glaube, kann dies nur bedeuten, dass sie vom Rauch zwar tief bewusstlos waren, als wir sie aus dem Trümmerhaufen fischten, aber hernach … ihre Lebensgeister wieder zu ihnen gefunden haben. Jetzt röcheln sie wieder, beginnen zu fabulieren … Ihr Geist scheint wie umnebelt. Sie reden irre, wohl vom Rauch vergiftet. Aber sie leben! Überzeugt euch doch selbst …«

      Das ließ sich keiner zweimal sagen. Alle eilten in die Stube, um die Totgeglaubten leibhaftig-lebhaft zu sehen.

      »Welch ein Glück!«, sagte Jobst zu Baader. »Wenn sie inmitten dieses Sturzbaches aus Steinen, Lehm und Balken überlebten, dann stellt ihr Beispiel selbst das des Vogels Phönix in den Schatten, der bekanntlich aus der Asche eines Feuers unbetroffen hervorging. Die beiden aber, Volpi und Bartholdi, wurden ja überdies noch durch eine Knochenmühle gedreht …«

      Von drinnen kamen Jubelrufe.

      »Ungläubige – dachtet ihr, ich machte Scherze?«, flüsterte Baader, schwach lächelnd, während er sich aus der bereitstehenden Kanne Bier nachschenkte. Er folgte den anderen nach nebenan. Aus der Totenkammer war unversehens eine Krankenstube geworden. Jobst unternahm gerade den Versuch, die beiden ins Leben Zurückgekehrten durch exzessive Einflößung von Bier rascher an die Oberfläche zu ziehen. Sie lagen nebeneinander auf dem nackten Boden. Jetzt wurden rasch Decken untergeschoben.

      »Wir verfrachten Euch gleich in Eure Betten – zuvor aber müsst Ihr uns sagen, was Ihr drinnen gesehen habt!«, sagte Jobst.

      Volpi genoss das Bier, als hätte er bis dahin nie welches getrunken. Die Bilder schwankten – diese vermeintlichen Menschenköpfe etwa hatten noch immer die Neigung, ins Große und Kleine abzudriften …

      Jobst drängte sich eben wieder mit dem Labsal spendenden Krug in sein Gesichtsfeld und fragte: »Habt ihr die Schwalbe gefunden? Ist sie tot?«

      Er dachte schneller, als er sprechen konnte, aber das war wohl immer so. Volpi musste erst noch einen Schluck Bier trinken, dann konnte er Jobst Auskunft geben.

      »Fanden die Dame … und ihren Liebhaber, denke ich. Aber ob sie tot waren?« Vor seinem inneren Auge lief wieder die grauenvolle Verwandlung ab. »Mein Geist narrte mich … Die beiden Verkohlten, anfangs so tot wie nur je zwei Stämmchen Totholz im Feuer, entwickelten zuletzt ein seltsames Eigenleben …«

      »Leben? Meint Ihr, dass die verkohlten Leiber sich beim Absturz bewegten?«

      »Nein, schon vorher … Sie redeten, bekamen wieder Gliedmaßen, wo zuvor nur abgebrannte Stummel waren.«

      »Das waren die bösen Wetter, die Euren Geist vernebelten!«, sagte Baader.

      »Dann haben sie auch meine vernebelt, denn mir erschienen sie auch, diese lebenden Leichname, sie griffen nach mir …«, stöhnte Bartholdi nun, sich ebenfalls am Bier erfrischend.

      »Eigenartig«, sagte Volpi, »ich kenne solche Gesichter aus Berichten über Vergiftungen durch Fliegenpilze, Tollkirschen, Bilsenkraut … Die Eindringlichkeit der Bilder wurde stets hervorgehoben. Vielleicht hatte die Hausfrau einen Speicher voller Kräuter, der verbrannte, und dessen Nachwirkung wir spürten?«

      Bartholdi, schwarz wie kaum ein Mohr je sein mochte, schlug sich gegen die Stirn, sodass ein helles Zeichen blieb, wie ein umgekehrtes Kainsmal: »Es könnte im Bier gewesen sein, das wir ausgetrunken haben!«

      Volpi stöhnte: »Ihr habt … Du hast Recht. Aber das sollte leicht zu entscheiden sein. Schließlich haben wir es noch in uns!«

      »Wie meinst du das?«, fragte der Großarchivar.

      Baader lachte. Er schien bereits zu ahnen, was der geschwärzte Gelehrte beabsichtigte.

      »Nun, ganz einfach: Wenn etwas im Abschiedstrunk der beiden war, so haben wir es noch im Urin. Und bei der Untersuchung des Urins bin ich erklärtermaßen Fachmann!«

      »De urinis!«, sagte Bartholdi mit dem Strahlen plötzlicher Erkenntnis.

      Jetzt lachten sie alle. Volpi indes war ins Nachdenken versunken.

      »Wenn es so war, erlebten die beiden glücklich-unglücklich Vereinten genau das, was wir erlebten. Erst Trübungen des Gesichts und falsche Vorstellungen, dann erstarb ihnen gänzlich die Wahrnehmung. Es kam zu einer Lähmung, zu einem Scheintod oder doch zu einer Art todesähnlicher Starre. Wir erlebten zuletzt die Unfähigkeit, uns zu bewegen oder zu reagieren. Tödlich in Situationen wie der im brennenden Haus.«

      Es schauerte Volpi bei dem Gedanken, sie hätten ihn möglicherweise lebendig begraben. Und Bartholdi auch …

      »Meint Ihr den Zustand vor oder nach dem Beilager … vorher wäre es in der Tat auch tödlich …«, warf Baader ein. »Tödlich für die Lust!«

      »Euren Witz in Ehren, aber ich meine durchaus danach … Mir fällt ein, dass vor allem der Stechapfel Wirkungen wie die erlebten zeitigt – wenn man zu viel davon genießt. Zur Anregung setzt man ihn in Wein an. Doch das beim Bereiten des Extraktes eingesetzte Quantum entscheidet über die Stärke. Sie tranken ihn sicher zur Verschönerung des Beilagers, aber es war zu viel, daher verfielen sie nach der Extase in diese Todessteife.«

      »Soll das heißen, Ihr vermutet, dass es ihre Absicht war, das zu trinken?«, fragte Jobst.

      »Bei allen Hurenwirten bekommt ihr dieses oder ein ähnliches Gesöff, auch bei den Storchern, Quacksalbern und Schreiern auf dem Markt! Meistens aber ist es Wein und kein Bier, worin es angesetzt wird … Müsste man in Erfahrung bringen, wie es der rote Jakob verkauft«, sagte Baader.

      »Bei dem gibt es das nur im Wein …«, sagte Jobst träge, und alle grienten, da sie sich Goslars Haupt-Bordellbetreiber, die verführerische Lupa und den ehrbaren Wandschneider und Rat Jobst nebeneinander vorstellen mussten.

      »Wer zur schönen Lupa geht, hat es nicht nötig, ein anregendes Gepantsch zu trinken«, sagte Jobst, und die anderen nickten und sprachen dem Stobeken’schen Bier zu. Der Sohn der toten Schwalbe war Brauer.

      »Lupa?«, fragte Volpi schwach.

      »Hört«, sagte Baader, »was Euricius Cordus über sie schrieb!«, und er rezitierte:

       Wann immer du, Lupa, mir dich zeigst in deiner Pracht, stellst all deinen Schmuck am Leib du zur Schau! Haarband, Stirnreif, Brusttuch, Goldgehänge und Gürtel, am Hals ein Geschmeide und an den Fingern Ringe, Amethyst, Karneol, Saphir, Rubin, Opal und Chrysopras … Deine großen Brüste regen sich unterm Busentuch. Aus Frankreich ein Schleier umzaubert dein volles Haar. Wie du mich all das leise lächelnd gering schätzen siehst, sagst du: „Solche Kleinode besitzt sie nicht, deine Frau!“ Das gebe ich dir zu … Doch hat sie auch einen Mann nur, die Ärmste, und diesem allein will sie gefallen.

      Volpi hatte wohl zugehört und registrierte das beifällige Lachen der Anwesenden. Doch im Augenblick war er mit den Gedanken woanders.

      »Die Türen waren zu. Die beiden wollten nicht gestört werden. Ob sie sich den Trank beschafft oder selbst bereitet hatten, wer weiß? … Möglicherweise wollten sie sich gar umbringen …«

      »Durch Gift oder durch Feuer? Oder durch beides in Verbindung?«, fragte Bader, und es klang leicht höhnisch. »Bevor man so viel vermutet, ist tatsächlich erst einmal der Giftnachweis gefordert.« Er trat gebieterisch vor die Liegenden. »Darf ich den Herren die Proben abverlangen, damit wir sie Johann Kohler schicken können, dem Apotheker, dem alten Lurch? Er hat Euer Buch sicher, Herr Volpi, aber für alle Fälle solltet Ihr mir die Prozedur noch

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