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angeblich daran, daß Philip einen kleinen Krug Öl zwischen die Duchten gestellt hätte. Als sie ihn mehrmals fragten, war er allerdings nicht mehr sicher, ob das stimmte.

      „Schließlich haben die Jungens und Old Donegal nach Schätzen gesucht“, hatte Roger Brighton, der Takelmeister, erklärt.

      Was wirklich zutraf, war jetzt nicht mehr festzustellen. In diesen Stunden geriet der normale Ablauf von Wache, Glasen und Freiwache völlig durcheinander. Zur Zeit waren alle Seewölfe an Deck und spähten in alle Richtungen. Gary Andrews stand in der Ausgucktonne des Großmastes und starrte durch ein Spektiv.

      Rechts voraus tauchte die nächste Insel aus dem morgendlichen Dunst. Die Ufer wurden schärfer, das vage Grün der Vegetation verwandelte sich langsam in eine wirkliche Farbe. Die Schebecke steuerte auf das nördliche Ende der Insel zu.

      Das Wetter, die Sonne, die beiden kurzen Regenschauer und der Wind, der ohne Pause konstant wehte, versetzte die Seewölfe – und die Crew eines jeden anderen Schiffes, das hier zu dieser Zeit segelte – in eine trügerische Heiterheit.

      Das Wetter war einfach zu schön, um trüben Gedanken nachzuhängen. Dennoch dachten die Arwenacks unausgesetzt an die Insassen des Beibootes. Von dem herrlichen Wetter und der Wärme ließen sie sich nicht beeindrucken.

      Während ein paar Seewölfe weiterhin dem Sand mit Wasser und Lappen zu Leibe rückten, und zwar nicht nur an Deck, sondern auch in den versteckten Ecken und Winkeln, enterte Dan O’Flynn auf die Back, suchte mit dem Spektiv das Wasser ab und rief schließlich seine Beobachtungen aus.

      „Insel voraus!“ Er winkte nach achtern. „Es muß São Vicente sein.“

      „Verstanden, Dan!“ rief Hasard zurück. „Sonst siehst du nichts?“

      „Nein. Leider nicht, Sir.“

      Die Schebecke glitt schnell durch die Wellen. Hinter dem Heck zischte und gurgelte schäumend das Wasser. Die Blicke aller Seewölfe, die an Deck arbeiteten oder auch nur einfach dasaßen, glitten immer wieder über das Wasser. Sie wollten ein Wunder herbeizwingen. Sie stellten sich vor, ganz plötzlich und unvermittelt das Beiboot zu sehen und darin die drei Vermißten.

      „Weiterhin Ausschau halten. Nils?“

      „Sir?“ Nils Larsen stand am Ruder.

      „Zwei Strich nach Backbord abfallen. Klar?“

      „Aye, aye, Sir.“

      Ohne daß Hasard viel darüber geredet hätte, wußten sie’s alle: sie würden jede einzelne dieser vielen verdammten Inseln und das Meer zwischen ihnen absuchen. Es war unvorstellbar, daß die drei Männer ertrunken waren – oder daß der Sturm das Boot zerschmettert hatte. Längst war der Harmattan abgezogen. Ein von Wolken bedeckter Himmel spannte sich über dem riesigen Gebiet der Kapverdischen Inseln.

      Die Schebecke wich nach Norden aus. Der Wind würde die Seewölfe von Westen nach Osten um São Vicente herumführen.

      Die meisten Inseln dieses Archipels waren unbewohnt. Wenn es dennoch jemanden gab, der sich irgendwo auf der Insel aufhielt, so zeigte er sich nicht. Vielleicht waren entlaufene Negersklaven die einzigen Bewohner der öden Felsflächen und der Höhlen.

      Die „Barlaventos“, die Inseln über dem Wind, bildeten einen Bogen, der bei Boa Vista endete. Jetzt glitt die Schebecke auf die buchtenreiche Nordküste São Vicentes zu. Hinter der Brandung zeichneten sich in den Linsen der Kieker die Buchten ab. Auf dem Sand lag schwarzer Schatten. Auch diese Insel schien nicht bewohnt zu sein.

      „Vielleicht finden wir sie dort“, flüsterte Hasard und ging zur Back, um einen besseren Überblick zu haben.

      Felsen, kleine, vom Wind verformte Büsche, Bäume, die in Spalten und Vertiefungen wuchsen, unzählige Nester von Wasservögeln und steile Hänge waren hinter den Stränden und Riffen zu erkennen, gegen die das Meer flutete.

      Nirgendwo gab es Trümmer, Leichen oder gar ein unversehrtes Boot.

      Die Schebecke ging so nahe wie möglich heran. Fock und Besan wurden geborgen, sie segelten nur mit dem Großsegel. Langsam zogen die Ufer vorbei. Sie waren menschenleer.

      Das erste Monatsviertel März näherte sich seinem Ende.

      Hasard junior ließ das Messer achtlos fallen. Er hatte ins Dollbord die Kerbe geschnitzt, die wieder einem ereignislosen Tag von vierundzwanzig Stunden des verzweifelten Wartens entsprach.

      Die Tätowierung auf der rechten Schulter juckte. Hasard kratzte darüber und langte nach dem Krug, in dem noch ein winziger Rest Öl enthalten war.

      „Schön heiß, was?“ sagte Old Donegal Daniel O’Flynn heiser.

      Das Boot schaukelte in den Wellen. Das Notsegel aus zusammengeknüpften und mit Bändselgarn aneinandergehefteten Fetzen und Kleidungsteilen hatte gerade noch erkennbare Dreiecksform und blähte sich am Notmast.

      „Wird noch heißer. So wie gestern“, antwortete Hasard. Philip hockte achtern und hielt die Pinne. Über sein schwarzes Haar hatte er ein Tuch als Sonnenschutz geknotet. Das Hemd hing zerrissen und zerschlissen über seinen Oberkörper.

      „Nichts zu sehen“, sagte er leise.

      Sie waren erschöpft und durstig. Das letzte aufgefangene Regenwasser war längst getrunken. Es war an der Zeit, wieder mit der blinkenden Dublone zu fischen.

      „Nein, nichts“, erwiderte Hasard vom Bug her. Er rieb sich Schultern und Oberarme mit einigen Tropfen Öl ein. Wahrscheinlich hatte einer der Kameraden den Krug beim Nachfüllen der Laternen im Boot abgestellt und vergessen. Seewasser, Sonne und mangelnder Schutz ließen aus den kleinsten Verletzungen eitrige Geschwüre entstehen, wenn Süßwasser und Öl fehlten. Aber Seewasser war die einzige Möglichkeit, sich zu säubern und den Körper zu kühlen.

      „Wir treiben nach Süden, nicht wahr?“ fragte wieder einmal Old Donegal. In seinem verwitterten Gesicht zeigten sich graue und weiße Stoppeln.

      „Ja.“

      Der Hunger war nicht so schlimm wie der Durst. Der Himmel, an dem die Sonne selten genug hinter treibenden Wolken verschwand, zeigte sich von der grausamsten grellen Hitze. Sand und Salz auf dem Holz des Bootes glitzerten in der Sonne. Die Duchten waren knochentrocken, in den Rissen arbeitete es knisternd. Vor einem Tag hatten die drei Arwenacks ein paar treibende Kokosnüsse auffischen können. Sie tranken ebenso gierig die kühle Milch, wie sie das Fruchtfleisch herausschnitten und hinunterschlangen.

      Die Schalen, die sie mit dem Messer sauber in zwei Hälften geteilt und geglättet hatten, benutzten sie als Becher oder Schöpfkellen. Aus Langeweile hatten sie angefangen, Muster in die holzähnlichen Früchte zu schnitzen.

      „Ich werde angeln, Leute“, sagte Old Donegal.

      „Tu das“, gab Philip zurück. „Wenigstens Fische gibt’s genügend hier.“

      „Hoffentlich.“

      Die beiden jungen Männer suchten ununterbrochen mit ihren Augen die See ab. Ringsum erstreckte sich eine endlose Wasserwüste. Es gab nicht das geringste Anzeichen, daß sie bald Land anliefen oder eine Insel entdeckten. Aber die See konnte nicht nur vernichten, sondern gab auch hin und wieder etwas zurück. Bisher waren es ein Fisch gewesen, der Granddad beinahe das Leben gekostet hätte, ein paar Kokosnüsse und einige Trümmer Treibholz.

      Old Donegal befestigte die durchlöcherte Goldmünze wieder an dem Bändselgarn mit dem Haken. Roher Fisch, mit Meereswasser gesalzen, hielt sie zumindest am Leben. Das Fleisch enthielt Flüssigkeit und war eßbar. Es fehlte den drei schiffbrüchigen Schatzsuchern an allem, aber nicht am festen Willen, zu überleben.

      „Also denn“, knurrte Old Donegal mit trockenen Lippen und ausgedörrtem Gaumen.

      Sie wurden zwar von Tag zu Tag brauner, und die Kälte im englischen Kanal war ebenso vergessen wie die vielen Kämpfe und Zwischenfälle mit dem Konvoi der spanischen Schatzgaleonen. Aber was nutzte es, gesunde Bräune zu zeigen, wenn sie verdursteten und verhungerten? Old Donegal wirbelte das Garn über dem Kopf und

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