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Front ohne Helden. Franz Taut
Читать онлайн.Название Front ohne Helden
Год выпуска 0
isbn 9783475544927
Автор произведения Franz Taut
Жанр Языкознание
Серия Zeitzeugen
Издательство Bookwire
Worum geht es im Buch?
Franz Taut
Front ohne Helden Im Schatten Stalingrads
Nach der Schlacht von Stalingrad zerschlägt die Rote Armee mit einem Großangriff die italienischen Reihen, was zu Chaos und Panik führt. In den fluchtartigen Rückzug der Verbündeten gerät eine deutsche Infanterie-Division. Sie wird aufgespalten, zerrieben, bis auf klägliche Reste zermalmt. Nur in einem kleinen Steppendorf hält sich noch ein verbissener Widerstand. Doch früher oder später müssen die Eingeschlossenen einen Ausbruch versuchen. Der Anschluss an eigene Einheiten gelingt, doch die Rote Armee lässt sie nicht zur Ruhe kommen …
Dieser Zeitzeugenroman beruht auf authentischen Erlebnissen des Kriegsteilnehmers Franz Taut, der selbst an der Ostfront verwundet wurde.
1
General Körner überprüfte die Abendmeldung, die ihm zur Abzeichnung vorlag. Der Ia hatte ihm soeben den Bericht über den ereignislosen Ablauf dieses 15. Dezember 1942 herübergebracht. Am bemerkenswertesten war ohne Zweifel, dass wiederum im Divisionsbereich keine Verluste eingetreten waren und dass keinerlei Munitionsverbrauch zu melden war. Und das tief in Russland, sechzig Kilometer südlich des Don, dort, wo der Strom, ostwärts Kalitwa, in zahlreichen Windungen nach Osten zur großen Schleife ausholte und runde fünfzig Kilometer westlich des Tschir, der, nach Süden und dann ebenfalls nach Osten und Südosten fließend, sich bei Werchnetschirskaja in den Don ergoss. Der Don und der Tschir bildeten in stumpfem Winkel die Front, wie sie im letzten Novemberdrittel, nach dem Erdrutsch bei der 3. rumänischen Armee, entstanden war. Etwa zweihundert Kilometer weiter im Osten war jene andere hufeisenförmige Frontlinie, in der sich die vom Russen eingekesselte 6. deutsche Armee, Teile der in alle Winde zerblasenen rumänischen 3. und Teile der 4. deutschen Panzerarmee festkrallten.
Stalingrad war die Hölle; jeder wusste es. In Schepetowka, dem Sitz des Stabes von General Körners Division, dagegen war es ruhig, so ruhig, wie die Meldung in der Hand des Generals es darlegte. Eine Ruhe freilich, an deren Fortbestand weder der General noch sein Ia, Major von Talvern, glaubte.
Der Meldung, die nichts Kriegsmäßiges berichtete, lag die von Tenente Cornalli, dem frisch eingetroffenen Dolmetscher und Verbindungsoffizier, verfasste Übersetzung ins Italienische bei. Erst vor drei Tagen war der Stab der »Fuchskopf«-Division nach Schepetowka gekommen und hatte sich im Schulhaus des von allen russischen Bewohnern verlassenen Ortes einquartiert.
Am frühen Morgen dieses 15. Dezembers war der Ia von seiner Fahrt zum Oberkommando der 8. italienischen Armee zurückgekehrt. Die italienischen Herren hatten hinsichtlich der weiteren Entwicklung der Lage Optimismus zur Schau getragen. Sie waren der Meinung, der Russe habe seine ganze Kraft zur Vernichtung der in Stalingrad Eingeschlossenen konzentriert und sei außer Stande, gleichzeitig auch am Don ostwärts Kalitwa offensiv zu werden. Ein Colonello allerdings, ein Oberst und Regimentskommandeur in einer der von Talvern besuchten Stellungen, Südtiroler aus der Gegend von Meran, hatte dem Ia unter vier Augen unumwunden seine Bedenken mitgeteilt. Bedenken, die Talvern ganz ähnlich schon vor Antritt seiner Fahrt zu den Italienern geäußert hatte.
Major von Talvern, Anton mit Vornamen, mittelgroß und schlank, zweiunddreißig Jahre alt, von einem Gutshof am Chiemsee in Oberbayern stammend, Monokelträger, Inhaber des Ritterkreuzes, Träger des Infanteriesturmabzeichens und der Nahkampfspange, war nicht nur ein fähiger Generalstäbler, sondern auch ein Mann mit dem Ruf schon fast legendärer Tapferkeit. Das Ritterkreuz war ihm im vergangenen Winter, bei Orel, verliehen worden. General Körner wusste, was damals geschehen war. In jenen Tagen hatte er als Oberst das Infanterieregiment 836 geführt. Der Russe war bis zu seinem Regimentsgefechtsstand durchgebrochen. Mit durchschossener Lunge hatte Körner gemeinsam mit den Resten der Stabskompanie den Gefechtsstand verteidigt. In letzter Stunde war Talvern, damals Hauptmann und Ic, mit einer aus Trossleuten, Nachrichtlern und Baupionieren zusammengewürfelten Eingreifreserve auf der Bildfläche erschienen und hatte die Lage bereinigt, wie es so schön hieß. Seither war Körner eng mit Talvern verbunden, mit Talvern, dem Windhund, der in der Ruhe- und Auffrischungszeit in Frankreich wie kein anderer hinter den Mädchen her war und zudem erstaunliche Mengen von Champagner, Cognac und Calvados konsumierte. Wenn er dann entsprechend in Stimmung war, lästerte er sträflich über alles, was das herrschende Regime und dessen Repräsentanten betraf. Mehrmals hatte der General seinen Ia in heikler Situation gedeckt.
Nun saß man, frisch aus dem milden Spätherbst des südlichen Burgund importiert, wieder in Russland, und niemand konnte sagen, was die nächste Zeit bringen würde. Zwar war im Süden, am Sal, Generaloberst Hoth mit der halbwegs aufgefüllten 4. Panzerarmee zur Entsetzung Stalingrads angetreten. Hoths Anfangserfolge waren beachtlich. Seine Armee näherte sich dem Aksaiabschnitt oder war schon darüber hinaus. Aber es gab Gerüchte, die, falls sie sich bewahrheiten sollten, eine entscheidende Wende bedeuten würden. Generalfeldmarschall von Manstein war von der Leningrad-Front zur Übernahme des Katastrophenabschnittes »Don« herangeholt worden. Es hieß, er habe Generaloberst Paulus, dem Oberbefehlshaber der in Stalingrad eingekesselten Verbände, nahe gelegt, mit der 6. Armee und deren Anhang, entgegen dem Befehl, auszubrechen. Manstein, hieß es, beabsichtige, Hitler an die Front zu rufen und in seinem Hauptquartier zu verhaften.
General Körner schüttelte den schmalen Kopf mit dem schütteren, stark ergrauten Haar. Hitler verhaften! Wenn damals, anno 16, als er als junger Oberleutnant vor Verdun lag, jemand geäußert hätte, S. M. solle verhaftet werden! Aber Hitler war nicht der Kaiser, wenn er auch wie dieser Oberster Befehlshaber aller Streitkräfte war.
General Körner fragte sich, ob an den Gerüchten, die Talvern vom italienischen Oberkommando mitgebracht hatte, etwas Wahres sei. Doch wenn dem auch so sein sollte, gab es immerhin nach wie vor eine unbekannte Größe in der derzeit völlig offenen Rechnung. Die unbekannte Größe waren Stärke und Verhalten des Gegners, dem auch jetzt wieder, wie vor seinem Großangriff gegen die Stellungen der Rumänen, eine undurchdringliche Nebeldecke zugute kam. Im Schutze solchen Nebels konnten unerkannt Armeen aufmarschieren. Die große Frage war nur, ob der Russe noch über derart bedrohliche Verbände verfügte. Im Führerhauptquartier, in Rastenburg, bestritt man es. Aber dort war man weit vom Schuss, viel weiter als in Schepetowka.
»Herr General.«
General Körner drehte den Kopf. Der Obergefreite Warnke, Fahrer und Ordonanz in Personalunion, war eingetreten. In lässiger Haltung stand er unweit der Türschwelle der dürftigen Unterkunft, der eine nackte, vom Aggregat mit Strom gespeiste Glühbirne ihr grelles Licht spendete.
»Herr Leutnant Walter wartet draußen«, sagte Warnke. »Er will die Abendmeldung abholen. Kann er reinkommen?«
»Er kann«, erwiderte Körner belustigt. Warnke war völlig unmilitärisch, aber er war zuverlässig, und das war wichtiger als übertriebenes Männchenbauen.
Leutnant Walter, der Gehilfe des Ia, kam herein und nahm die unterzeichnete Meldung entgegen. Kurz nachdem er sich entfernt hatte, klingelte das Feldtelefon. General Körner hob ab.
»Ja, was gibt es? Ach Sie sind’s, Talvern.«
Am anderen Ende, drüben, im knapp fünfzig Meter entfernten Schulhaus, sagte Major von Talvern: »Eine tolle Neuigkeit, Herr General. Vorn am Don, beim italienischen Bataillon ›Derrutti‹, ist ein russischer Überläufer aufgetaucht. Wenn man dem Überläufer Glauben schenken kann, steht ein Großangriff starker russischer Verbände unmittelbar bevor.«
»Wenn das zutrifft«, fuhr Talvern nach kurzer Pause fort, »kann es fürs Erste nur von Vorteil sein, dass das Artillerieregiment die schwere Batterie nach Lysselkowo vorgezogen hat. Fraglich ist allerdings, ob die Italiener der Batterie im Falle eines Russeneinbruchs oder – durchbruchs ausreichend Infanterieschutz geben können. Aus diesem Grund schlage ich als erste Maßnahme vor, dass wir die Pionierkompanie, die in Jeminowka liegt, sofort nach Lysselkowo in Marsch setzen.«
Der