Скачать книгу

Mitteln, wie persönlichen Gegenständen, so ziemlich alles aufspüren.

      Noir, ich muss es Noir sagen …, hallte ständig durch ihren Kopf, aber ihre Hände gehorchten ihr nicht. Fay wollte noch ein paar dieser wertvollen Seiten durchsehen, weil sie sehr neugierig auf den Inhalt war. Sie wusste nicht, dass Thomas Elwood ein Lexikon geschrieben hatte. Es musste sich um ein Unikat handeln!

      Ein breites Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Jetzt hatte sich der Ausflug hierher doch noch gelohnt.

      ***

      Loan hatte alles getan, um seine Bestie zu beruhigen, hatte vehement versucht, er selbst zu bleiben und einen klaren Verstand zu behalten. Zum Glück war es ihm gelungen. Nun befand er sich in einem Dämmerzustand, zusammengerollt auf dem kühlen Boden, und war kurz davor, einzuschlafen. Der harte Untergrund machte ihm in seiner Drachengestalt nichts aus, doch in seiner menschlichen Form bevorzugte er sein weiches Bett. Was würde er dafür geben, endlich wieder nachts darin liegen zu dürfen!

      Als er tapsende Schritte nackter Füße hörte, die sich schnell näherten, wusste er, dass Baxter im Anmarsch war – und zwar unbekleidet. Das bedeutete, dass er sich gerade noch in seiner Eichhörnchengestalt befunden hatte und ihm nun etwas Wichtiges mitteilen musste. Ansonsten würde er Loan nämlich nicht stören.

      Ob er Fay gefunden hatte? War sie womöglich noch hier?

      Loan hob den Kopf von seinen Pranken und schlug die Augen auf, gerade als Baxter auf ihn zulief. Wie die meisten Wandler schämte er sich seiner Nacktheit nicht, weshalb er keine einzige Stelle seines hageren Körpers bedeckte.

      »Es tut mir leid, wenn ich Sie störe, Herr«, sagte er atemlos, als er vor Loan hielt. »Aber ich bringe brisante Neuigkeiten über Miss Ravenwood! Ich habe sie durch das Fenster in der Bibliothek beobachtet und … sie ist geschwebt! Sie sah aus wie ein Engel. Sie kommt aus unserer Welt!«

      Loan war heilfroh, dass Fay nicht das Weite gesucht hatte. Er war so erleichtert darüber, dass er den zweiten Teil von Baxters aufgeregten Ausführungen erst nicht richtig verstanden hatte.

      Fay … war geschwebt? Wie ein Engel?

      Unruhig lief Baxter vor ihm auf und ab, wobei er sich ans Kinn tippte. »Was sie wohl ist? Ein himmlisches Wesen oder eine Fee vielleicht? Womöglich sogar eine Lichtelfe? Können die überhaupt fliegen? Eine Sylphe eventuell … Oh, ich bin schrecklich neugierig und würde sie am liebsten gleich fragen – was ich natürlich nicht tun werde, Herr.«

      Langsam sickerte in Loans Bewusstsein, wovon der Junge sprach. Wenn Fay aus seiner Welt stammte, machte das alles so viel einfacher! Er wollte am liebsten sofort zu ihr und ihr alles erklären! Doch er würde sich erst in einigen Stunden zurückverwandeln, und solange er sich in seiner Drachengestalt befand, war er zudem viel zu gefährlich.

      Auch seine Bestie hatte nun begriffen, dass Fay noch auf dem Schloss weilte, und drängte nach vorne. Sein Untier versuchte, sich von den Ketten loszumachen, stemmte sich in die Eisen und riss daran – glücklicherweise vergeblich. Sie gaben nicht einen Millimeter nach.

      Das machte sein Biest unglaublich wütend.

      Loan musste zu ihr! Fay durfte nicht gehen, denn sie war die Richtige. Er spürte es!

      Muss sie töten!, dröhnte die Stimme der Bestie in Loans Kopf. Sein Drache riss an den Fesseln, brüllte und tobte – schließlich versuchte er sogar, mit seinen großen, scharfen Zähnen eines der unnachgiebigen Glieder aufzubeißen.

      Loan dankte Mr Crumbs hervorragenden Schmiedekünsten und den stabilen Mauern. Fay war in Sicherheit.

      Baxter stand in einiger Entfernung vor ihm und hielt sich die Ohren zu. »Bitte beruhigen Sie sich, Herr! Miss Ravenwood ist morgen Früh bestimmt auch noch da und dann können Sie mit ihr reden!«

      Das Monster in ihm wollte nicht reden, sondern Blut kosten, ihr zartes Fleisch schmecken und sie zerfetzen.

      Loan spürte bei diesem Gedanken eine gewaltige Übelkeit in sich aufsteigen. Er war kein Mörder, und schon gar nicht würde er die Frau, die er als Gefährtin auserwählt hatte, bestialisch töten, nur weil ein schwarzmagischer Zauber auf ihm lag. Er war stärker als dieser Fluch. Musste es sein!

      »Bitte, beruhigen Sie sich doch!«, rief Baxter verzweifelt. »Miss Ravenwood könnte Sie hören!«

      Das war ihm egal. Sollte sie ruhig kommen. Er erwartete sie …

      Es gab ein leises »Plopp«, als würde etwas implodieren, und Baxters Menschengestalt transformierte sich von einer Sekunde zur anderen in ein Eichhörnchen. Sein Körper zog sich so schnell zusammen und rotbrauner Pelz schoss hervor, dass er eine Sekunde lang in der Luft zu stehen schien, bevor er auf seinen Pfötchen landete.

      Sofort stellte er sich auf die Hinterbeine, drückte die Vorderpfoten an den hellen Bauch und schaute Loan mit seinen schwarzen Kulleraugen zuckersüß an. Der Junge wusste ganz genau, dass er bei diesem Anblick jedes Mal lachen musste. So präsentierte sich ihm der Kleine immer, wenn Loan schlechte Laune hatte.

      Sein Untier zog sich zurück, beruhigte sich. Loan war froh, dass noch immer genug von ihm selbst in ihm steckte, sodass er den von Aurora verwunschenen Drachen meist irgendwie bändigen konnte. Doch so extrem schwer zu beherrschen wie heute war er noch nie gewesen. Das lag allein an Fay – und dem verfickten Fluch!

      Loan versuchte, sich abzulenken, indem er seinen quirligen Butler beobachtete, der nun in seiner Eichhörnchengestalt Kunststücke vollführte. Er stand auf einem Bein, wedelte wild mit dem puscheligen Schwanz, gab lustige, keckernde Geräusche von sich und probierte sogar einen Purzelbaum. Der ging jedoch gehörig daneben, sodass Baxter auf seinem pelzigen Rücken landete und alle viere von sich streckte. Doch er gab nicht auf und sprang auf die Beine. In einer Ecke fand er drei runde Steinchen und versuchte, diese wie ein Akrobat mit dem einen Pfötchen in die Luft zu werfen und mit dem anderen Pfötchen aufzufangen.

      Ein jonglierendes Eichhörnchen – wenn das mal keine Attraktion war!

      Loan lachte, und da er gerade ein Drache war, hörte es sich wie ein heiseres Knurren an. Baxter war wirklich eine Nummer für sich. Allein sein Wesen als Eichhörnchen-Wandler hätte ihn schon außergewöhnlich gemacht, aber seine Persönlichkeit war das wirklich Besondere an ihm.

      Loan hatte sich als Kind immer gefragt, wie es überhaupt möglich war, dass ein Mensch zu solch einem kleinen Geschöpf mutieren konnte, noch dazu so schnell. Zwar war Baxter ein relativ großes Eichhörnchen – zumindest im Gegensatz zu seinen echten Artgenossen –, aber es faszinierte Loan heute noch. Eine Erklärung hatte er in Thomas Elwoods Lexikon gefunden, das er aus der ehemaligen Bibliothek seines Vaters mitgenommen hatte. Darin stand, dass bei einer Wandlung immer Magie im Spiel war, bloß hatte auch die ihre Grenzen. Zwar konnte man die Naturgesetze etwas beugen, jedoch nicht unendlich. Wenn die Wesenform größer war als der menschliche Körper, wie bei Loan, gab es weniger Probleme. Bei der Wandlung in einen Drachen dehnten sich seine Moleküle aus, die Knochen wurden hohl, die Haut elastischer. Außerdem »saugte« er Materie aus seiner Umgebung ab, die seine Vorfahren nach ihrem Tod in dieser Welt zurückgelassen hatten. Die war überwiegend nötig, um seine schwarzglänzenden Schuppen zu bilden. Verwandelte sich Loan zurück in einen Menschen, gab er diese geliehene Materie wieder ab.

      Wandler, die sich in ein kleineres Tier transformierten, mussten genau den umgekehrten Weg gehen und überschüssige Materie »ablegen«. Das passierte in Form einer Aura – »Energiekörper« nannte es Thomas Elwood.

      Gewöhnliche Menschen und viele andere Wesen konnten diese Aura nicht sehen, Dämonen leider schon. Sie besetzten diese Energiekörper, um sich selbst eine neue Gestalt anzueignen oder gleich das Leben des Wandlers zu übernehmen, um unerkannt unter den Menschen zu wandeln. Auf diese Weise konnten sie den größten Schaden anrichten. Tötete ein Unterweltler dann den Wandler, der sich gerade in seiner Tierform befand, gehörte ihm dessen Körper für immer. Deshalb gab es auch fast keine Eichhörnchen-Wandler mehr auf der Welt.

      Baxters Familie hatte sich bei seinem Vater sicher gefühlt und gerne für ihn gearbeitet, weil Drachen diese Aura ganz schwach wahrnehmen konnten

Скачать книгу