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schaut den Freund lächelnd an. „Hast Angst, Willi?“

      „Du nicht?“

      Emmes zuckt die Achseln. „Ich will net hier verrecken, Willi, ich will woanders sterben – daheim oder in meinen Bergen. Bloß net hier! Dös Land ist mir zu unheimlich, zu fremd. Und deshalb werd ich, wenn’s hart auf hart geht, genau aufpassen, was besser ist: Heldentod oder Weiterleben.“

      Willi schaut den anderen verwundert an. So hat Emmerich Sailer noch nie geredet. Er ist doch ein gescheiter Kerl, denkt Willi, er hat auch Recht. Keiner will hier sterben. Man muss sich dagegen wehren.

      Die Nacht weht heran. Es ist nicht mehr so kalt wie am Vortag. In den Bunkern herrscht bedrückte Stimmung.

      „Pionierzug – antreten!“, heißt es mitten in der Nacht.

      Fluchend rappeln die Soldaten sich aus den Decken, suchen ihre Klamotten zusammen und treten hinter dem Bunker an.

      Der dunkle Himmel zuckt und blitzt im Widerschein der feindlichen Mündungsfeuer.

      „Pionierzug – stillgestanden!“, ertönt die scharfe Stimme Sepp Lechners.

      „Danke“, antwortet das hohe Organ des jungen Leutnants . „Lassen Sie rühren, Lechner.“

      Die Soldaten ahnen, dass es mit der Nachtruhe vorbei ist. Und da sagt auch schon Leutnant von Zinnenberg:

      „Der ganze Zug rückt zum Bunkerbau aus. Melden Sie sich auf Höhe einhundertdreiundzwanzig, Feldwebel Lechner. Dort müssen noch schnell zwei Bunker fertig gestellt werden. Ist das klar?“

      Feldwebel Sepp Lechner stößt den Atem durch die Nase. Jetzt noch schnell zwei Bunker zu bauen, wo der Feind schon in Reichweite ist, mutet ein bisschen sinnlos an.

      „Hat denn das noch einen Zweck, Herr Leutnant?“

      „Ob Zweck oder nicht – das ist ein Befehl, Lechner“, erwidert der junge Leutnant nervös. „Der Major wünscht, dass auf der Höhe einhundertdreiundzwanzig noch zwei Bunker gebaut werden. So schnell wie möglich. Damit wird die linke Flanke unserer Kompanie noch zusätzlich verstärkt.“

      „Herr Leutnant“, sagt Lechner ruhig, „ich möchte darauf hinweisen, dass …“

      „Ich brauche Ihre Meinung nicht“, lautet die scharfe Erwiderung. „Rücken Sie jetzt ab.“

      „So ’n Blödsinn“, murmelt Lechner.

      „Was haben Sie gesagt?“, schreit von Zinnenberg; seine Jungenstimme überschlägt sich vor Erregung. „Wiederholen Sie das noch einmal, Feldwebel Lechner.“

      „Blödsinn, hab ich gesagt.“

      „Sie sind wohl verrückt geworden, Lechner!“

      „Es wäre kein Wunder, Herr Leutnant.“

      Die Soldaten feixen.

      Da schreit Zinnenberg: „Ich werde Sie zur Meldung bringen! Ich werde einen Tatbericht gegen Sie einreichen!“

      Lechner überhört die Drohung und wendet sich seinen Leuten zu: „Los, Jungs, holt die Klamotten her.“

      „Ich habe mit Ihnen gesprochen, Feldwebel Lechner!“

      „Ja, ja, schon gut, Herr Leutnant. Tun Sie, was Sie nicht lassen können.“

      „Morgen früh melden Sie sich beim Chef zum Rapport“, zischt Zinnenberg und geht davon.

      „So ’n Spinner“, sagt Willi ganz laut.

      Zehn Minuten später trabt der Pionierzug querfeldein. Vornweg stampft der hünenhafte Lechner. Unteroffizier Lehmann holt ihn ein und sagt:

      „Du, Sepp, wenn der Zinnenberg dir einen Tatbericht anhängt, dann werd ich sauer, dann …“

      „Ach Quatsch“, brummt der Feldwebel. „Mach dir keine Sorgen, Kurt. Wer weiß, was morgen ist.“

      „Ja, wer weiß“, murmelt auch Lehmann.

      Die im Gänsemarsch gehenden Gestalten verschwinden zwischen weißen Hügeln.

      Der Himmel bewölkt sich, die Nacht ist finster und voller dumpfer Geräusche.

      Trotz Dunkelheit und Frost werden halb links drüben auf dem lang gestreckten Hügelrücken in aller Eile noch zwei Erdbunker mit Decken und Stirnwänden aus Beton gebaut. Raupenfahrzeuge und organisierte Panjeschlitten haben das notwendige Baumaterial und Wasser in Fässern für die Betonmischung herangeschafft. Etwa ein Dutzend schweigsamer Polen arbeitet mit den Pionieren.

      Es ist eine harte Arbeit, in der man keinen rechten Sinn mehr sehen kann. Aber Befehl ist Befehl. Irgendjemand beim Bataillonsstab hat die Bauarbeit befohlen, um die von Süden nach Norden verlaufenden Hügel noch stärker zu befestigen. Keiner drückt sich vor der Arbeit, denn es ist bitterkalt, und müßiges Herumstehen duldet der Frost nicht.

      Die Zivilisten mischen Zement und Sand. Die Mischung muss sofort aufgeschüttet werden, da sie sonst zu Klumpen zusammenfriert.

      Willi und Emmes arbeiten nebeneinander.

      „Den Wievielten haben wir denn heute?“, fragt Emmes.

      Willi muss erst nachdenken.

      „Den Dreizehnten“, sagt er dann.

      „Na pfüati“, murmelt Emmes, „ausgerechnet der Dreizehnte.“

      „Abergläubisch?“

      „Dahoam wär ich’s net, aber hier schon.“ Emmes legt die Schaufel beiseite und steigt auf den Bunker. Von dort aus schaut er nach Osten.

      Das Land ist weiß und verflacht sich vom Fuße des Hügels weg. Eine schmale Straße läuft rechts des Hügels vorbei; sie kommt weit drüben aus einem Wald, hinter dem die Mündungsfeuer sowjetischer Artillerie zucken. Die Einschläge liegen aber weit links – irgendwo auf einer anderen Straße und in der Nähe eines polnischen Dorfes.

      „Na, Sailer“, sagt jemand zu Emmes; es ist Lechners Stimme, „was gibt’s? Sehen Sie was?“

      „Nein, Herr Feldwebel – noch nichts. Ich schätze nur die Entfernung bis zur russischen Ari ab.“

      „An die zwanzig bis fünfundzwanzig Kilometer werden es sein“, sagt Lechner.

      „Dann ist der Iwan bald da. Morgen vielleicht schon.“

      „Da ist der Zement noch nicht einmal hart“, murmelt Lechner. „Wir vertun nur noch Kraft und Geld. Und wofür, Sailer … sage mir, wofür? Sie sind doch Student, Sie können denken, und Sie haben auch zwei Augen im Kopf.“

      „Auf meine Meinung kommt’s net mehr an, Herr Feldwebel.“

      Lechner, elf Jahre Soldat, von Anfang an schon dabei, ist in Erregung geraten.

      „Sailer“, sagt er, „mir tut jeder Sack Zement Leid, den wir noch verbuttern. Und was ist nicht schon alles verbuttert worden in diesem Mistkrieg in Bunker und Befestigungen, Millionen und Millionen Säcke Zement von Kurland bis in die Karpaten! Und wo sind die Bunker heute? Hin sind sie. Der Russe hat sie. Weg für immer. Wir kriegen sie nie wieder zurück, Sailer – nie wieder! Und was hätten wir nicht alles von diesem Zement bauen können! Unsere zertepperten Städte daheim, unsere Häuser, die der Tommy und der Ami zu Klumpen gehauen haben! – Sehen Sie, Sailer, deshalb ist mir heute die Galle hochgekommen, als man uns zum Bunkerbau abkommandiert hat. Nicht der Zinnenberg mit seiner Eunuchenstimme hat mich aufgeregt, sondern der Befehl, Sailer – alle diese Befehle!“

      „Sie haben Recht, Herr Feldwebel“, erwidert Sailer, der die Erregung des verdienten Soldaten spürt und versteht. „Aber wir können’s net mehr ändern – wir müssen mitmachen, bis alles auseinander bröselt.“

      Lechner hat Sailers Arm gepackt und drückt ihn heftig.

      „Sailer, wissen Sie, was diese Hornviecher machen müssten? – Dort befestigen, wo wir am ersten September neununddreißig angefangen

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