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nur einen weiß gestrichenen Stahlhelm und breite Schultern.

      „Hallo – ja, das ist ja der Röttger!“

      „Jawohl, Herr Unteroffizier – vom Lehrgang zurück. Bin grad noch so durchgekommen.“

      Willi und der Unteroffizier Kurt Lehmann, Gruppenführer im Pionierzug, begrüßen sich herzlich. Lehmann ist einer der wenigen Aktiven der Kompanie und hat das Deutsche Kreuz in Gold und etliche Auszeichnungen mehr am Rock.

      „Röttger, Sie Pechvogel, was haben Sie sich bloß für ’nen miserablen Anreisetag ausgesucht! Warum sind Sie nicht noch ein paar Tage in Nowe Miasto geblieben?“

      „Nee – danke, Herr Unteroffizier –, mir hat’s gereicht. Da ist mir unser Gammelverein schon lieber.“

      „Der Iwan ist zum Angriff angetreten.“

      „Wo?“

      „Überall. In Baranow geht’s rund. Nicht mehr lange, dann werden auch wir was zu tun kriegen.“

      In der Ferne rumpelt starker Kanonendonner. Bei Baranow muss es sein. Rechts des Bunkers geht Infanterie vor.

      „Ob wir wieder ’nen Rückzieher machen werden?“, fragt Willi misstrauisch.

      Lehmann zuckt die breiten Schultern. „Wenn wir noch die alte Garnitur wären, Röttger … aber Sie wissen ja, was hier alles rumgurkt in der Gegend. Lauter ältere Herren, von den jungen Dachsen und den halben Krüppeln erst gar nicht zu reden, mit denen wir den Krieg gewinnen sollen. Es ist ein Jammer.“

      „Ist beim Pionierzug noch alles da?“, fragt Willi.

      „Ja – noch alles da. Auch Ihr Freund Sailer. Der wird sich freuen, wenn er hört, dass Sie wieder da sind. Ich gehe jetzt zu unserem Bunker rüber, Röttger. ,Haus Sonnenblick‘ wohnen wir.“ Lehmann grinst.

      „Wie sinnig“, grinst auch Willi und lehnt das Gewehr an die Schneemauer.

      „Los“, sagt Lehmann, „melden Sie sich jetzt beim Alten zurück, und warten Sie dann hier, bis der Sailer kommt. Ich schick ihn her. Wir liegen ’n Ende von hier weg … auf dem zweiten Hügel links drüben.“

      „Dammich“, murmelt Willi, sich umschauend. „Nu ist doch mein Wäschebeutel weg – so ein Mist … so ein verfluchter Mist.“

      „Sie Heini! Wie kann Ihnen so was passieren!“, schimpft Lehmann.

      „Hab ihn bei der Rennerei verloren“, murmelt Willi. „In der Stadt irgendwo … oder schon vorher. Nein, so ein Mist! Ich könnte mir vor Wut in den Hintern beißen!“

      „War was Wichtiges im Wäschebeutel?“, fragt Lehmann.

      „Na klar“, grient Willi. „Schnaps und Zigaretten. Aufgespartes.“

      „Sie gehören mit Katzendreck erschossen, Röttger“, stellt Lehmann fest und schüttelt den Kopf. „Wie kann man Schnaps und Zigaretten … nee so was, nee so was …“

      Lehmann schiebt ab und verschwindet auf dem Trampelpfad. Willi würgt den Ärger hinunter und ordnet Mantel und Koppelsitz; dann stolpert er die Bunkertreppe hinab.

      Eine Tür ist nicht vorhanden. Eine steif gefrorene Zeltbahn verdeckt den Eingang. Dahinter hört man hohl klingende Stimmen. Ein Fernsprech-Apparat klingelt.

      Der Obergefreite Willi Röttger betritt den Gefechtsstand der fünften Kompanie.

      Der Raum ist niedrig und riecht nach frischem Mörtel und Tabakrauch. Von der Decke herab baumelt eine Karbidlampe. Ein Tisch steht in der Mitte, auf dem eine Landkarte liegt. Vor den beiden breiten Schießscharten stehen niedrige Plattformen aus Brettern, auf denen je ein MG 42 postiert ist. Daneben liegt ein Haufen gegurtete Munition.

      „Obergefreiter Röttger meldet sich vom Sonderlehrgang aus Nowe Miasto zurück!“ Willi steht so ähnlich wie stramm und blinzelt in das grelle Licht.

      „Aaah – der Röttger ist wieder da!“, ertönt eine sanfte Männerstimme, und Oberleutnant Drechsler kommt um den Kartentisch herum: ein gepflegt aussehender älterer Herr im fußlangen Mantel, gelbem Wollschal, Hornbrille und mit rosigem Gesicht. Die fünfte Kompanie führt er seit Oktober vorigen Jahres. Von Kriegsführung hat er wenig Ahnung, da er erst vor acht Monaten vom Ladentisch seines in Mühlhausen befindlichen Textilgeschäftes weg zur Wehrdienstleistung einberufen wurde.

      Oberleutnant Drechsler ist schon Großvater, ein gütiger. Mit derselben Güte behandelt er auch seine Kompanie. Man nennt ihn – wenn er es nicht hört – deswegen auch Opa. Das EK eins an seiner Brust stammt aus dem Ersten Weltkrieg.

      „Na, wie war’s, Röttger?“, fragt Drechsler den Obergefreiten und reicht ihm freundlich die Hand.

      Willi bekommt einen laschen Händedruck zu spüren und sagt: „Prima, Herr Oberleutnant.“

      Auch der Leutnant kommt heran: ein blutjunges Kerlchen, blass und schmal wie ein Handtuch.

      „Sie kommen zur rechten Zeit, Röttger!“ Es klingt fröhlich. „Nun ist es bald so weit, und Sie müssen sich in die Heldenbrust werfen.“

      Wie albern! Ob es auch dieser Junge tun wird?

      „Viel Neues hinzugelernt, mein Sohn?“, erkundigt sich der gemütliche Herr in Uniform.

      „Jede Menge, Herr Oberleutnant. Leider muss ich Ihnen aber den Verlust meines Wäschebeutels melden.“

      „Das ist nicht so wichtig, Röttger. Hauptsache, Sie sind wieder da.“

      Da ertönt aus dem Hintergrund des Bunkerraumes ein Bierbass. „Ja mei, der Röttger Willi is aa wieder da vom Lehrgang in Nowe Miasto.“

      Der Bierbass gehört Unteroffizier Emil Huber, der als Hauptfeldwebel Dienst tut und am Rockärmel die Kolbenringe trägt. Huber ist von Beruf Pferdemetzger, wiegt über zwei Zentner, hat ein wohl genährtes Gesicht und trägt einen grauen Schnauzer unter der Kartoffelnase. Er ist Münchner, und ihm gehen Weißwurst und Bier genauso ab wie seine geliebte Vaterstadt. Lauter gemütliche Leute sind das, mit denen man bestens auskommen kann und die sich redliche Mühe geben, eine aus Magenkranken, Rheumatikern und sonstigen Genesenden bestehende Kompanie zu führen. Wie sie sich bewähren werden, wenn der Russe anrennt, ist für Willi ungewiss.

      Er muss berichten, wie es in Nowe Miasto war. Dann spricht er von dem Bombenangriff und dem Chaos in Rawa.

      Die Mienen werden ernst. Oberleutnant Drechsler nickt nur.

      „Na, die Russen sollen bloß kommen“, sagt Leutnant von Zinnenberg, „denen werden wir schon einheizen.“

      Das Telefon rasselt.

      Drechsler nimmt den Hörer auf, meldet sich mit dem Decknamen der Kompanie, horcht und nickt ein paar Mal.

      „Jawohl“, sagt er dann und klappt leicht die Hacken seiner dicken Filzstiefel zusammen, was einen dumpfen Ton erzeugt. „Ende.“

      Der Hörer klappert auf den Apparat zurück.

      Oberleutnant Drechsler reibt sich mit Daumen und Zeigefinger die Nase; dann sagt er mit dramatischer Schwere:

      „Meine Herren, der Feind ist aus allen Brückenköpfen heraus zum Angriff angetreten.“

      Schweigen.

      Huber zwirbelt nervös an seinem Schnauzbart. Leutnant von Zinnenberg tritt an den Tisch und beugt sich über die Karte; dann legt er die gepflegte Hand darauf und sagt:

      „Wir werden unsere Stellungen halten … wir haben die Besten. Er soll nur kommen!“

      O du lieber Augustin, denkt Willi und verlässt grüßend den Bunker.

      Als er die schmale Treppe hinaufsteigt, taucht oben eine Gestalt auf und breitet die Arme aus.

      „Willi! Alter Kumpel! Servus!“

      „Mensch, Emmes – Hundling! Knallkopp!“

      Die beiden Freunde umarmen sich.

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