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er Soldat wurde. Ihm hat er es zu verdanken, dass er jetzt in dieser Todesmaschine sitzt. Der Vater, Albert Ehlert, geboren im August 1894, dessen Vorfahren ihr Leben lang einen Bauernhof bewirtschaftet hatten, war schlank und groß, hatte dunkle Haare und erlernte früh in Ueckermünde bei einem »Stadtpfeifer«, bei dem er auch wohnte, die Instrumente Geige und Tenorhorn. In dieser Zeit bereitete sich das alte Europa auf seinen ersten großen Krieg vor.

      Wie Millionen andere wurde Albert Ehlert nach seiner Ausbildung 1913 in Stettin Soldat. Als Kriegsfreiwilliger nahm er am Weltkrieg gleich bei Kriegsbeginn teil. Kurzzeitig war er in Russland, sonst nur in Frankreich eingesetzt. Dort erlebte er das Grauen der Schlachten an der Somme, bei Verdun, am Winterberg und bei Reims. Seine Haare wurden grau. Das sahen Frau und Söhne bei seinem kurzen Fronturlaub 1916. Doch stellten sie keine Fragen. Albert gab sich verschlossen und schwieg. Außer über eine dramatische Begebenheit, einen Melderitt, bei dem sein Pferd durch neun Schüsse tödlich getroffen wurde, er aber unverletzt blieb, hatte er seinen Söhnen aus dem Krieg nichts zu erzählen. Auch blieb seine Anteilnahme am täglichen Geschehen auf ein Mindestmaß beschränkt. Es war, als habe er das zivile Leben verlernt. Trotzdem war der Urlaub schneller vorbei, als es den Söhnen lieb gewesen wäre.

      Albert Ehlert wurde nie verwundet, zumindest erzählte er nie von einer Verwundung. Aber gerade sein Schweigen über den Krieg weckte die Neugier der Söhne. Das Schweigen, das eine ganze Generation von Weltkriegssoldaten befiel, würde der Keim sein für den nächsten, den schlimmsten Weltenbrand aller Zeiten. Die Söhne wussten es nicht besser, als sie von der Nazi-Propaganda in das nächste Schlachthaus getrieben werden sollten.

      All das kommt dem jungen Piloten jetzt in den Sinn. Es ist, als habe er bereits stundenlang nachgedacht, als die Maschine für eine halbe Sekunde den Boden berührt, dann wieder leicht ansteigt. Gerhard verabschiedet sich ruhig von seiner Freundin Riele. Von ihr hat er einen Talisman, einen kleinen Elefanten aus Elfenbein, den er tagaus, tagein in der Uhrentasche seiner Hose mit sich führt. Er nimmt ihn in die rechte Hand, macht eine Faust um ihn herum, wie zum Schutz, stellt sich vor, wie die Russen Mühe haben werden, die tote Faust zu öffnen. Wenn er jetzt stirbt, will er etwas von Riele in den Händen halten, wenn er dann tot ist, will er es mit hinübernehmen.

      Die drei noch lebenden Männer in der waidwunden Maschine warten auf den großen Knall, einen Zusammenprall mit einem Baum, einem Haus. Jeder klammert sich an seinen Sitz. Vorne der Pilot, Gerhard Ehlert, unter ihm in der Glaskuppel der Beobachter, Oberfeldwebel Hanns Schlotter aus Frankfurt am Main. Hinter ihnen der Bordschütze, Willi Burr aus Heidenheim. Der kann den Blick vom toten Professor, dessen Leiche wie ein seltsames rotes Knäuel aus Knochen, Haut und Fliegerkombi aussieht, nicht abwenden.

      Nach dem Aufprall würde es sicher dunkel sein und still, unendlich still, denkt sich Ehlert. Dann hören sie ein lautes Schaben, Krachen und Klirren. Ein Ruck geht durch die Maschine, ein schrecklicher Ruck, der ihnen den Boden wegreißt. Nein, nicht den Boden, sondern die Glaskanzel unterhalb des Piloten – dort, wo der Bleistift das Tanzen einstellt und wo Schlotter in dieser Sekunde stirbt. Zuerst reißt es dem Oberfeldwebel beide Beine ab, dann zerquetscht der vordere Teil der Kanzel den Rest des leblosen Körpers und zieht ihn mit sich nach hinten. Der zerquetschte Schlotter und die zertrümmerte Do 217, sie gehören jetzt nicht mehr zusammen. Der lange Oberfeldwebel mit den scharfen Augen und der krummen Nase fällt bei Sarny auf einer grünen, vom Raureif feuchten Wiese. Hanni Schlotter mit ihren beiden Söhnen, Fritz, drei, und Max, erst ein knappes Jahr alt, werden den Mann, den Vater, nicht mehr wiedersehen. Nie mehr wiedersehen. Eine Glaskanzel ist sein Sarg geworden, und niemand kann je ein Kreuz an seinem Grab aufstellen, weil es keines geben wird.

      Um ihr Leben kämpfen derweil noch zwei andere. Der Torso der zertrümmerten Maschine gibt ihnen Schutz. Das Flugzeug, oder das, was davon noch über ist, schlittert über eine Wiese wie bei einer Schlittenpartie im bayerischen Winter. Doch den Überlebenden werden die Sekunden des Gleitens zu einer Ewigkeit des Grauens.

      Und dann? Dann geschieht nichts, einfach nichts. Stille stellt sich ein. Nur das leise Knistern der Feuer ringsum ist zu hören. Die große Glaskuppel ist nicht nur unter dem Pilotensitz abgebrochen, sondern auch direkt davor. Das rettet Ehlert das Leben. Wäre sie nicht abgerissen, hätte er das Flugzeug nicht verlassen können und wäre womöglich jämmerlich verbrannt. Der Pilot kann es nicht fassen, ist wie versteinert, als die Do 217 steht. Geistesgegenwärtig klettert er nach vorne aus der Maschine heraus. Er ist völlig unverletzt. Und irgendwie ist sein erster Gedanke ein wenig dumm: Gerhard, jetzt musst du zu Fuß nach Haus gehen. Der zweite Gedanke aber ist messerscharf: Weg von hier. Weg von den beinahe leeren Tanks mit dem hochexplosivem Gasgemisch und weg von den acht Blitzbomben, die sich noch an Bord befinden und die jeden Augenblick explodieren können. Ehlert rennt um sein Leben. Nach wenigen Sekunden trifft er auf Burr, der gerade seinen Fallschirm abschnallt. Dann laufen die beiden weg von der Absturzstelle. Nach zweihundert Metern schmeißen sie sich auf den Boden. Gleich wird das ganze Ding mit einem lauten Knall in die Luft gehen. Doch wieder passiert nichts. Still und leise brennt die Maschine vor sich hin. So wagen es die beiden, um das brennende Flugzeug herumzuschleichen. Sie suchen nach Schlotter, rufen leise den Namen des Toten, der sie nicht mehr hören kann. Schlotter ist verstreut über dreihundert Meter Absturzstelle. Gut, dass die beiden das nicht wissen. Ihr Mut hätte sie vielleicht verlassen. So aber verständigen sie sich mit kurzen, knappen Worten. Sie müssen weg hier, bevor die Russen kommen. Von der Do 217 bleibt nach ein paar Minuten nur mehr Asche.

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