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das Gefühl, irgendwie bedroht zu werden.

      »Heiko hat bei deinem Vater um deine Hand angehalten«, berichtete Astrid mit großer Zufriedenheit. »Er musste heute dringend nach Österreich, aber morgen ist er bestimmt zurück, und dann wird er dir alles selbst sagen.«

      Es schien, als habe Sissi überhaupt nicht begriffen, was die Stiefmutter ihr mitgeteilt hatte. In ihrem hübschen schmalen Gesicht regte sich nichts. Auch die blauen Augen blieben traurig und ausdruckslos.

      »Freust du dich nicht?«, erkundigte sich Astrid Langenburg leicht gekränkt. »Heiko ist ein junger Mann, der allen Mädchen gefällt. Du müsstest stolz sein, dass seine Wahl ausgerechnet auf dich gefallen ist. Er ist ein charmanter Unterhalter und ein brillanter Sportler.«

      »Was hat Vater gesagt?«, erkundigte sich Sissi interesselos.

      »Er ist einverstanden und wünscht euch viel Glück. Heiko gefällt ihm.«

      »Er kennt ihn nicht. Deshalb …« Sissi lehnte sich mit dem Rücken gegen die raumhohe Fensterscheibe.

      »Was willst du damit sagen?« Unruhig spielte Astrid mit einem wertvollen Jadeanhänger, den sie an einer langen goldenen Kette um den Hals trug.

      »Dass ich Heiko nicht heiraten kann.« Sissi nahm all ihren Mut zusammen und sah ihre Stiefmama an.

      »Das ist doch nicht dein Ernst!«

      »Ich liebe ihn nicht.«

      »Als ob das das Wichtigste wäre.« Aufatmend lehnte sich Astrid Langenburg zurück. Es war ihr bis jetzt immer gelungen, die Stieftochter für ihre Pläne zu überreden. Diesmal würde es nicht anders sein. »Auch die größte Liebe vergeht viel rascher, als du glaubst. Sie nützt sich im Alltag ab, und plötzlich existiert nichts mehr von ihr. Was bleibt, ist die Vernunft. Glaub mir, es ist vernünftig, Heiko zu heiraten. Als Volkswirt versteht er etwas von Unternehmensführung, und darauf kommt es an.«

      »Ich möchte überhaupt niemals heiraten«, erklärte Sissi und dachte dabei an Frank. Ihm hatte sie Treue geschworen, und dieses Versprechen würde sie nicht brechen.

      »Das ist typisches Jungmädchengeschwätz. Heute so, morgen so. Du hast doch neuerdings deine Liebe zu Babys entdeckt. Wie willst du dieser Neigung nachkommen, wenn du nicht heiratest?«

      Der Gedanke, den kleinen Tim ins Spiel zu bringen, war Astrid eben erst gekommen. Doch er war bestimmt nicht schlecht. Wahrscheinlich barg er sogar den Schlüssel, dieses Gespräch erfolgreich zu beenden. Sie musste nur geschickt vorgehen.

      Sissi schien zu überlegen. Verträumt sahen ihre blauen Augen in unendliche Ferne.

      »Glaub mir, ich verstehe dich«, meinte Astrid in mütterlichem Ton. »Gerade deshalb rate ich dir zu einer baldigen Heirat.«

      »Du meinst, dass ich dann Tim zu mir nehmen könnte?«, fragte Sissi hastig.

      Astrid Langenburg hatte mit dieser Frage gerechnet. Trotzdem tat sie überrascht. »Eigentlich dachte ich an ein eigenes Baby. Aber wenn dir an dem Findelkind so viel liegt, ließ sich bestimmt darüber reden. Soviel ich weiß, werden Waisen gern in junge Familien vermittelt.« Sie hütete sich zu erwähnen, dass Tim vorerst überhaupt nicht adoptiert werden konnte. Das würde Sissi erst nach der Hochzeit erfahren.

      »Und du glaubst, dass es Heiko erlauben würde?« Sissis Atem ging rasch. Das, was die Stiefmutter eben angedeutet hatte, war für sie wie ein Lichtstrahl in finsterer Nacht. Es war für sie der Weg aus einer aussichtslosen Situation.

      »Heiko ist so verliebt in dich, dass er dir ganz bestimmt keinen Wunsch abschlagen kann«, antwortete Astrid scheinheilig. Heimlich nahm sie sich vor, ihren Neffen dahingehend zu beeinflussen, es abzulehnen, Tim in seiner Familie aufzunehmen. Doch das durfte er Sissi freilich erst nach der Hochzeit sagen. Heiko würde schon alles richtig machen. Er war ein Partner, auf den Astrid sich verlassen konnte.

      Sissi sah sich in Gedanken schon mit dem Baby auf dem Arm. Sie wollte den Kleinen hegen und pflegen, wollte ihn von Herzen lieb haben. Dieser Gedanke hatte für sie so viel Verlockendes, dass die damit verknüpfte Bedingung, Heiko zu heiraten, ganz nebensächlich wurde.

      »Wann glaubst du, dass wir heiraten können?«, erkundigte sich Sissi rasch. Ihre Gedanken eilten bereits weiter. Sie würde als erstes das Kinderzimmer einrichten. In Weiß und Blau. Oder Rot? Mochten Kleinkinder nicht am liebsten leuchtende Farben? Eine Menge lustiger Stofftiere würde sie auch aufstellen. Sie würde mit Tim spielen, mit ihm lachen und ihn trösten, wenn er Kummer haben sollte.

      »Es freut mich, dass du so vernünftig bist.« Unbewusst rieb sich Astrid die Hände. »Wenn wir gleich morgen das Aufgebot bestellen, dauert es ungefähr vier Wochen. Es wird bestimmt eine tolle Hochzeit werden, Sissi. Wir werden im Fürstenberg-Hotel feiern und nur Leute mit Rang und Namen einladen. Es soll ein Ereignis werden, von dem man noch lange sprechen wird. Das Brautkleid kaufen wir bei Colbert in Paris. Er wird es extra für dich entwerfen. Bei deiner Figur wird ihm bestimmt eine Traumschöpfung einfallen.« Natürlich dachte Astrid dabei auch an sich selbst. Colbert würde auch für sie ein aufsehenerregendes Kleid entwerfen. Man würde sie um die Rolle der Brautmutter beneiden.

      »Wenn ich nun doch Heiko heirate und wenn ich dir die Gestaltung der Feierlichkeiten ganz überlasse, hast du doch sicher nichts dagegen, dass ich gleich nachher nach Sophienlust hinüberradle?«, erkundigte sich Sissi schüchtern. Die eitlen Pläne ihrer Stiefmutter waren ihr völlig gleichgültig. Um so mehr dachte sie an den kleinen Tim. Fast zwei Wochen lang hatte sie ihn nicht gesehen. Die Sehnsucht nach ihm wurde mit jeder Minute größer.

      »Du willst mich mit all der Arbeit, mit allen Vorbereitungen allein lassen?«, brauste Astrid auf.

      »Es ist ja nur heute. Bitte!«

      Astrid Langenburg dachte daran, dass es besser war, Elisabeth jetzt nicht zu verstimmen. Die Enttäuschung, die nach der Hochzeit folgen würde, würde noch bitter genug für sie sein.

      »Gut. Aber ich möchte dich dringend bitten, in Sophienlust keine Märchen zu erzählen. Am besten ist es, du vermeidest jedes Gespräch. Es könnte unsere Pläne negativ beeinflussen. Ich hoffe, du verstehst mich.«

      Sissi verstand die Stiefmama nicht, aber das war ihr auch gar nicht so wichtig. Um zu Tim zu kommen, hätte sie in diesem Augenblick alles versprochen. Gehorsam wie ein Kind nickte sie. »Ich werde nur mit Tim sprechen. Er kann ja nichts weitererzählen.« Sie lächelte glücklich. Endlich durfte sie ihr Kind wieder in die Arme schließen. Über den Preis, den sie dafür bezahlen musste, machte sie sich keine Gedanken.

      *

      Frank schloss für einen Augenblick erschöpft die Augen. Dann drückte er entschlossen auf den Klingelknopf.

      Es dauerte lange, bis eine kleine weißhaarige Frau öffnete. Sie hatte ein runzliges Gesicht und kleine stechende Augen. War das die Frau, die seinem Sohn in die Welt geholfen hatte, ihn gleich darauf für tot erklärt und Frau Langenburg übergeben hatte? Waren dies die Räume, in denen seine geliebte Sissi die schwersten Stunden ihres jungen Lebens verbracht hatte?

      Franks Unruhe steigerte sich. Er hätte die Frau am liebsten beiseite gedrängt, um in ihrer Wohnung nach Beweisen zu suchen. Doch er blieb ruhig stehen und fragte freundlich: »Darf ich Sie kurz sprechen, Frau Hebling? Es handelt sich um Ihren Beruf als Hebamme.«

      Die alte Dame, die schon lange nicht mehr in ihrem Beruf arbeitete, fühlte sich geschmeichelt. »Kommen Sie von einer Zeitung?«, fragte sie interessiert und ließ Frank eintreten.

      »Nein. Ich habe ein ganz privates Interesse.« Frank sah sich rasch um. Es war nicht besonders sauber hier.

      »Hausbesuche sind aus der Mode gekommen. Die jungen Frauen entbinden alle in der Klinik.«

      »Aber es gibt doch auch Fälle, die sich Ihrer ganz persönlichen Betreuung anvertrauen.« Frank schob einen Berg ungebügelter Wäsche beiseite und nahm unaufgefordert auf der altmodischen Couch im Wohnzimmer Platz.

      »Sehr selten«, krächzte Frau Hebling verbittert.

      »Um so besser werden Sie

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