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Das kalte Licht. Ludger Bollen
Читать онлайн.Название Das kalte Licht
Год выпуска 0
isbn 9783863935436
Автор произведения Ludger Bollen
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Er war glatt rasiert, aber auch ein Bart hätte wohl nicht vermocht, ihn älter wirken zu lassen als er nach Jahren zählte. Das in der Mitte gescheitelte, hellblonde Haar reichte ihm, wie es weithin üblich war, bis über die Schulter herab. Als einzige Besonderheit hatte Ulrich es sich zur Gewohnheit gemacht, von den Schläfen ausgehend zwei kleine Strähnen zu schmalen Zöpfen zu flechten, und diese unsichtbar am Hinterhaupt zusammenzubinden. Aber weder Eitelkeit noch eine der vielen Modetorheiten, die sich auch seiner Generation bemächtigt hatte, waren der Grund hierfür, sondern einzig das Gefühl, es sei allzu lästig, sich beim Schreiben fortwährend das ungebändigte Haar aus den Augen streichen zu müssen. Auch schwor er, es habe ihn ein ums andere Mal davor bewahrt, die noch feuchte Tinte auf halb geschriebenen Briefen zu verschmieren.
Seine dunkle Kleidung war von so gewöhnlicher Art, als wolle er damit noch unterstreichen, dass sein Platz im Haus eine recht abgelegene Schreibstube war, fern der Diele, wo sich alle begegneten. Einzig die feinen, fingerlosen Wollhandschuhe, die er zur Arbeit übergestreift hatte, hätte man auffällig nennen können: Tatsächlich schätzte er sie als überaus nützlich, da sie ihm beim Schreiben in der kalten Stube doch die Hände wärmten.
Eilert betrachtete den Empfänger seines Briefs mit leiser Verwunderung, da er nunmehr gewahr wurde, wie jung dieser war. Es machte ihn in seinen Augen zu etwas Besonderem, da er es gewohnt war, Nachrichten zu überbringen an Männer, die reif und welterfahren wirkten und die nach Jahren nicht selten seinem Großvater gleich kamen.
„Eilert hier hat dir einen wichtigen Brief zu übergeben“, stellte Johann Hesenius den Jungen vor.
Während dieser nunmehr zum dritten Mal die Grüße seines Auftraggebers, des ehrenwerten Kaufmanns Hermann Lengsdorp, entbot, nahm Ulrich recht zögerlich den Brief an sich, als sei er etwas, das in Wahrheit nicht nach dem Willen des Absenders, sondern durch eine zufällige Laune des Schicksals ausgerechnet in seine Hände gelangt sei. Er betrachtete ihn sorgfältig, doch war es unübersehbar sein Name, welcher auf der Deckseite des gefalteten Blatts prangte. So verdrängte er alle Fragen, die ihn bestürmten, erbrach das Siegel von dunkelrotem Wachs und entfaltete den Bogen.
Ambrosius, der auf leisen Pfoten herbeigeeilt war, kaum dass er Ulrichs Schritte auf der Treppe gehört hatte, strich um dessen Schuhe und Strümpfe herum, was ihm für gewöhnlich mit anhaltendem Fellkraulen gelohnt wurde, doch diesmal warb er vergeblich, und da ihn auch sonst niemand beachtete, leckte er nur planlos eine Vorderpfote und zog mit beleidigter Miene ab, während Ulrichs Blick auf dem Papier ruhte und er die darin geschriebene Botschaft las. Es waren nur wenige Zeilen, die da lauteten:
„Mein hochverehrter junger Herr!
Wir, Hermann Lengsdorp, Kaufmann zu Lissabon, Brügge und hierselbst zu Hamburg und nach dem Willen des Rats Delegierter für auswärtige Handelsfragen unserer Stadt, ersuchen Euch in dringlicher Angelegenheit um Beistand und erbitten eine nicht geringe Gefälligkeit, eingedenk eurer vorzüglichen Kenntnis der medizinischen Wissenschaft, von welcher wir wohl vernommen haben.
So lautet unser Wunsch, Ihr möget einwilligen, den Leichnam eines zur gestrigen Nacht unglücklich Verstorbenen eurer Anschauung zu unterziehen. Doch wird es notwendig sein, die Angelegenheit rasch anzugehen, so dass Ihr Euch zur dritten Nachmittagsstunde zum Eingang des Neuen Zeughauses am Ellerntor begeben müsst. Mögt Ihr dieser unbotmäßigen Eiligkeit zum Trotz meiner Bitte willfahren, so wollt Ihr mir dies bitte durch Eilert, unseren Überbringer, kund tun!“
Während er die stumm aufgenommene Botschaft im Geiste nachklingen ließ, reichte Ulrich den Brief mit nachdenklicher Miene weiter an seinen Vater. Nicht nur wäre es unschicklich gewesen, daraus zwischen ihnen ein Geheimnis erwachsen zu lassen, vielmehr betraf die Nachricht in gewisser Weise auch ihn, denn wollte Ulrich der Bitte nachkommen, so musste seine Arbeit im Kontor wenigstens für heute ein Ende finden.
Und während nunmehr Johann Hesenius den Brief las, wandte sich Ulrich an den jungen Eilert: „Es ist hierin von einem Toten die Rede. Weißt du von diesem oder von weiteren Umständen, die dein Herr dem Brief nicht anvertrauen wollte, wohl aber vielleicht … nun, sagen wir einem treuen Boten?“
„Nein Herr, ich kann Euch nichts weiter berichten, als dass er mir das Schreiben aushändigte, welches ihr gerade gelesen habt, und dass er mir auftrug, nicht zu säumen, da die Angelegenheit große Eile hat. Schließlich bin ich auch gehalten, eure Antwort so geschwind als möglich zu überbringen.“
Ulrich fand nichts Unaufrichtiges in Eilerts Worten, doch wusste er auch, wie sehr Verschwiegenheit unter Sendboten als besondere Tugend galt, und so beschloss er für sich, ob dem Jungen nicht doch ein wenig mehr zu entlocken sei als solch karge Auskunft. Als angehender Arzt hatte er die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die ihm ihre Leiden anvertrauten, zugleich mit wichtigen Auskünften hierzu hinterm Berg hielten, meist aus Scham über ihre ungesunden Lebensgewohnheiten. Doch endete die Heimlichtuerei, wenn man ihnen unerwartet eine Einzelheit nannte, die sie als ihr sicher geglaubtes Geheimnis wähnten, nun aber plötzlich entblößt sahen. Es waren meist nur Kleinigkeiten, die er nach der Beschaffenheit der Haut oder dem Zustand der Augen des Menschen ihm gegenüber erriet oder die ihm auf andere Weise ungewollt mitgeteilt wurden, doch hielt man diese dem Erzählenden vor Augen, so führte Erschrecken unweigerlich dazu, dass der Betreffende sich entlarvt wähnte und fortan aufrichtiger antwortete.
So blickte Ulrich dem jungen Eilert geradewegs in die Augen und dann warf er, wie nebenbei, etwas ein, dass seine Gewissheiten erschüttern musste: „Nun, zumindest wissen wir, dass dein Herr dir diesen Brief nicht zuhause ausgehändigt hat.“
In das offene Gesicht des Jungen trat tiefes Erstaunen: „Wo… woher wisst Ihr davon?“
„Er schrieb diese Zeilen mit fremder Feder und Tinte, an einem ungewohnten Ort, vermutlich in einer recht unbequemen Ecke im Rathaus, und überdies war er wohl selbst sehr in Eile, als er den Brief aufsetzte“, fuhr Ulrich ungerührt fort, die eingeworfene Frage scheinbar überhörend.
Die Verblüffung des jungen Boten wuchs in der Tat mit jedem Wort, das er hörte, und mit ungläubiger Miene blickte er auf den jungen Mann an der Treppe, der die Dinge auf eine für ihn rätselhafte Weise durchschaute. Bei alledem wusste er Ulrichs forschende Art aber in keiner Weise unhöflich zu nennen. Es war vielmehr eine ruhige Gewissheit in dem, was er gesagt hatte und überdies schwang in seinen Worten wie selbstverständlich der Wunsch mit, er, Eilert, möge mit eigener Schilderung entweder bestätigen, was gesprochen war oder, ihm zum Widerspruch, die eigentliche Begebenheit so mit allen Einzelheiten zu schildern, wie er sie erfahren hatte.
Und tatsächlich, wiewohl Ulrich ihn mit keinem Wort bedrängt hatte zu reden, nannte Eilert nunmehr Einzelheiten, die ihm zuvor nicht eingefallen wären, weil man über die persönlichen Belange seines Herrn einfach Stillschweigen bewahrte.
„Es ist alles wahr, was Ihr sagt. Aber zuerst müsst Ihr wissen, dass mein Herr, der doch zu den großen Kaufleuten der Stadt zählt, wahrhaft viele Verpflichtungen hat und in allerlei Ausschüssen und Versammlungen zugegen sein muss. Selbst im Rat sucht man vor den Sitzungen oft seine Meinung einzuholen. An diesem Tag müssen es noch mehr solcher Beratungen als üblich gewesen sein. Den ganzen Morgen über war es eine seltsame Unruhe