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des Tieres kreuzte, beherzt zugegriffen und hielt nun zwischen seinen Händen das bebende Tier, welches im Nachklang des überstandenen Unheils einige Male den Kopf vor- und zurück streckte, um sich schließlich seiner Gefangenschaft zu ergeben.

      Marthe, die eben noch ein Bild des Jammers geboten hatte, strahlte über das ganze Gesicht und beschwor den so unverhofft aufgetauchten jungen Burschen, das Tier nicht wieder entfleuchen zulassen, was durchaus überflüssig war, da er behutsam aber fest die angelegten Flügel umschlossen hielt. Aber der glücklich überstandene Zwischenfall und ihr dankbares Gefühl für den, der ihr als rettender Engel erscheinen musste, vermengten sich umgehend zu einem munteren Redeschwall: „Haltet sie gut fest, junger Mann! Schön festhalten, es ist doch meine beste, … meine wahrhaft beste Legehenne! Nein, wirklich, ich weiß gar nicht, wie ich Euch danken soll! Ihr könnt Euch denken, die Straße ist ja so gar kein Ort für ein kleines Huhn.“

      Und sie begann sogleich eine ebenso bruchstückhafte wie ungeordnete Schilderung von Ereignissen, welche in ihrer unglücklichen Verkettung die Henne nicht nur irgendwie aus ihrem heimischen Verschlag, sondern gar durch das offene Küchenfenster hinaus auf die Straße getrieben hatte. Indem sie aber allerhand Überflüssiges in die Erzählung verwob und die Geschehnisse nicht in ihrer zeitlichen Reihenfolge erzählte, sondern so, wie sie ihr gerade einfielen, hätte selbst ein aufmerksamerer Zuhörer, als es der junge Vogelfänger war, aus ihrer Rede nur mit Mühe das Wesentliche heraushören können.

      Zweifellos hätte sie den Burschen, dessen unbekümmert offene, fast heitere Miene ihr zu gefallen wusste, inmitten des ganzen Trubels auch noch geherzt und umarmt, wenn er ihr nicht in leiser Abwehr das Huhn entgegengestreckt hätte, und so konnte sie nicht umhin, für einen Augenblick innezuhalten und das Tier entgegenzunehmen, um es sogleich zartfühlend an ihre Brust zu drücken.

      „All diese nutzlosen Gaffer“, empörte sich Marthe, „die ohnehin nur Maulaffen feilhalten können, und dann kommt Ihr und fangt das Tier so einfach und leicht. Aber sagt, wollt Ihr mich nicht zur anderen Straßenseite begleiten und auf ein Weilchen in meine Stube einkehren? Ihr mögt doch auf die ganze Aufregung hin gewiss einen Becher feinen Kräuterbieres?“

      Die Frage verschaffte dem jungen Burschen endlich Gelegenheit, das Wort zu ergreifen, und wiewohl es ihn verlegen machte, wehrte er die wohlmeinende Einladung doch mit Bestimmtheit ab: „Verzeiht mir, gute Frau, aber ich bin wirklich sehr in Eile. Doch wollt ihr mir gefällig sein, so sagt an, wo ich hier das Haus des Kaufmanns Johann Hesenius finde, da ich dort wichtige Dinge auszurichten habe“, und dabei rückte er, wie jemand, der Kostbares zu behüten hat, einen arg verrutschten Ranzen zurecht, welcher ihm mit einem breiten und etwas zu langen Ledergurt von der linken Schulter hinab und zur anderen Seite reichte.

      „Da tut Ihr recht daran, mich zu fragen“, entgegnete Marthe. Sie war, obschon ihre Einladung gerade ausgeschlagen wurde, vollkommen glücklich, da sie dem Jungen doch ihrerseits hilfreich antworten konnte, und sie wies ihm den Weg, viel gestenreicher und ausführlicher, als dies nötig gewesen wäre: „Seht nur, Ihr könnt gar nicht fehlgehen. Es ist das vorletzte Haus zur Linken, aber Ihr müsst wissen, dass dort der alte Harm im Kontor nicht mehr recht verständig ist. Auch hört er etwas schwer, drum sprecht nur besonders laut, und das Gescheiteste ist, Ihr fragt nur rundweg nach dem Kaufmann selbst für euer Anliegen!“

      Die letzten Worte musste sie ihm hinterherrufen, da er sich schon hastig bedankt hatte und davon eilte.

      Mit einem strengen Blick hingegen brachte sie den Herrn in schwarzem Tuch, welcher in Folge von Marthes Missgeschick gleichfalls gestolpert war, zum Schweigen, gerade als dieser die letzten Rübenreste von seinem Hut gelesen hatte und endlich den Unmut über seine verschmutzte Kleidung kundtun wollte. Nicht nur dass er, nachdem er sich wieder aufgerichtet hatte, kleiner war als sie: Nun, da sie aufrecht stand und ihre Würde wiedergewonnen hatte, flößte Marthe selbst gestandenen Kaufleuten Respekt ein: eine ebenso stämmige wie selbstbewusste Frau, die eben mit geschickter Hand die Enden ihrer Schürze verknotete, darin das gesprenkelte Huhn nun wie in einer Tasche vor ihrem Bauch untergebracht war. Etwas Unverständliches brummend, gab der Mann sein Vorhaben auf, wandte sich seinem Gefährten zu, und beide setzten endlich ihren Weg fort.

      Marthe war nicht für einen Aufenthalt im Freien gekleidet, aber Neugier und ein warmes Gefühl für den Jüngling, dessen Namen sie in der ganzen Aufregung vergessen hatte zu erfragen, bewog sie, weiterhin in der Kälte zu verweilen, während sie ihm hinterher blickte. Eine Spur von Entzücken war in ihr rundliches Gesicht gemalt, als sie sah, wie er sicheren Schritts die Langsameren überholte und es dabei noch geschickt verstand, einem entgegenkommenden Gespann auszuweichen.

      „Es ist kein Anstand mehr unter den jungen Leuten!“, ließ sich plötzlich, während sie so dastand, eine Stimme neben ihr vernehmen, oder besser neben und unter ihr, denn Gesche, eine Nachbarin, mit magerem, runzligem Gesicht, war nicht allein von kleiner Gestalt, der obere Teil ihres Rückens war buckelig und so verwachsen, dass gar kein Hals auszumachen war und ihr Kopf wie tief zwischen den Schultern versunken ruhte. So reichte die „Krumme Gesche“, wie sie überall genannt wurde, Marthe nicht einmal bis zur Brust. Sie führte eine Handschaufel und einen Eimer Asche mit sich. Planlos verteilte sie einen weiteren Scheffel auf dem festgetretenem Altschnee, doch war es wohl eher so, dass allein Lärm und Tumult sie auf die Straße gelockt hatten. Etwas Außergewöhnliches musste ihrer Aufmerksamkeit entgangen sein, und begierig hoffte sie darauf, dass Marthe nunmehr ihre Neugierde stillte. So suchte Gesche jedenfalls ein Schwätzchen zu beginnen, und da sie nur eben noch den eiligen Abschied des Jungen vernommen hatte, stimmte sie nun erst recht jenes Klagelied an, das man allzu oft von ihr hörte. „Ei, was gibt so ein junger Bursche unsereins doch für ungehobelte Antworten: keine Zeit, das geben sie vor, aber ich sage dir, Marthe, nicht an Zeit, an Anstand fehlt es ihnen!“

      Doch damit hatte sie den falschen Ton angeschlagen. „Sei still, Ge-sche“, wehrte Marthe ab. Mit zustimmendem Nicken begleiteten ihre Augen den Jüngling am fernen Ende der Straße, der nunmehr das von ihr angegebene Haus erspäht hatte, hinüberging, noch einmal kurz innehielt und dann schnurstracks im Eingang verschwand.

      „Ein vortrefflicher Junge“, seufzte sie für sich, „mein Jüngster wäre heute wohl in seinem Alter, wenn der Herrgott ihn nicht so früh zu sich gerufen hätte. So flink ist er auf den Beinen und so geschickt mit seinen Händen. Nein, da ist nichts von Überschwang und Unrast, und dann,“ sprach sie und blickte erstmals gänzlich zur Krummen herab, „was wissen du und ich schon, in welchen Angelegenheiten er gerade jetzt unterwegs ist?“

      Tatsächlich betrat nunmehr der Jüngling das Kaufmannshaus, dessen schlichte Fassade aus Backstein und hölzernem Fachwerk sich ganz und gar unauffällig in den Straßenzug fügte. Geschnitzte und ursprünglich wohl vergoldete Lettern über dem Eingangsportal nannten den Namen Johann Albert Hesenius nebst einer langen Jahreszahl in römischen Ziffern, die abzulesen er sich aber keine Mühe machte. Eine Türglocke ertönte beim Eintreten und er ließ, der Kälte wegen, die Tür sogleich wieder ins Schloss fallen.

      Wenn es draußen an Helligkeit mangelte, so war das Innere des Hauses zu dieser Stunde geradezu finster zu nennen. Als sich seine Augen an das matte Licht gewöhnt hatten, das durch zwei übereinander liegende Fensterreihen herein fiel, erblickte der Knabe eine Eingangsdiele, die man stattlich hätte nennen können, doch war sie, wenigstens im hinteren Teil, vollgestellt mit Truhen, Schränken und Regalen sowie dicht an dicht stehenden Fässern, so dass dort kaum mehr als einige Fuß breit der gekalkten Wände dahinter auszumachen waren. Eine sinnverwirrende Fülle von Waren, deren Verteilung wohl nur Eingeweihten begreiflich war, gab es hier zu entdecken. Rollen von Leinwand, Wachs- und Schiefertafeln unterschiedlicher Größe, Federmesser, Tintenhörner, Griffel und Spreizzirkel erblickte er ebenso wie Schüsseln, Töpfe und Humpen aus Steingut, Holzbretter und Gefäße von Zinn. Dazu reihten sich staubbedeckte Flaschen aneinander, deren Inhalt er so wenig erriet, wie er um die Bewandtnis der kleinen abgepackten Säckchen vor ihm wusste, die eine ordnende Hand zu einer stumpfen Pyramide gestapelt hatte. Für gewöhnlich diente der Eingangsbereich eines Kaufmannshauses mehr dem Empfang der kaufwilligen Kundschaft, und wenn man sich handelseinig wurde, so wurde die Ware anschließend aus den weiträumigen Lagerräumen dahinter herbeigeschafft, aber Johann Hesenius hatte die Diele nach seinen Erfahrungen umgestaltet, da er fand,

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