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Der Bataillonsmelder im schweren Kradmantel, den Stahlhelm über den Unterarm gehängt, stand neben dem Offizier, auch Spieß Witt und Feldwebel Danzer umringten den Tisch.

      Lorenz, von keinem beachtet, fing gerade die Worte des Oberleutnants auf:

      »Na also, Herrschaften, dann können wir ja zusammenpacken. Danzer, sorgen Sie dafür, dass die Züge Bescheid kriegen. Aus den Stellungen wird möglichst geräuschlos abgerückt, verstanden? Sammeln vor dem Gefechtsstand. Abmarsch der Kompanie Punkt vierzehn Uhr.«

      In diesem Augenblick schwoll ein Dröhnen an, das schnell näherkam.

      »Flieger!«, brüllte jemand.

      Die Gestalten am Kartentisch duckten sich. Lorenz presste sich gegen die Wand und rutschte an ihr nieder. Dann bebte für ein paar Augenblicke das ganze Haus. Die Menschen hielten den Atem an. Gleich musste es krachen!

      Das russische Jagdbomber kam im Tiefflug über Laksa hinweg, flog im grauen Regendunst eine Schleife, kehrte noch einmal zurück, und dann pfiff es in der Luft.

      Die Bombe barst hinter dem Dorf. Fehlwurf! Das Dröhnen verlor sich, erstarb im Grau des Himmels hinter dem karelischen Wald.

      Im Gefechtsstand wurde es wieder lebendig, man lachte, man redete durcheinander.

      »Der hat nur mal nachgeschaut, ob wir noch da sind«, sagte jemand.

      Lorenz fragte den Kompanieschreiber Heimann, ob Post eingetroffen wäre.

      Der schüttelte den Kopf und meinte: »Post? Was brauchen wir Post, Mann! Wir rücken ab, das ist viel wichtiger!«

      Jetzt trat Spieß Witt heran.

      »Na, Bua?«, grinste er Lorenz an. Witt war Münchner und sprach ein unverfärbtes Bayerisch. »Was stehst rum und hältst Maulaffen feil, ha? Hast net g’hört, dass wir abrücken ?«

      »Um vierzehn Uhr, Herr Hauptfeldwebel?«

      »Um vierzehn Uhr«, nickte Witt. »Und koa Minuten später. Der Zug fährt pünktlich ab!«

      »Jawohl, Herr Hauptfeldwebel!« Lorenz strahlte.

      »Kehrt marsch!«, befahl Witt. »Nimm deine Füß in d’ Hand und sag deiner Gruppe, dem Teichmann, Bescheid, dass er seinen Sommersitz aufgeben kann und mit Sack und Pack hier zum Abmarsch eintrifft!«

      Der untersetzte Mann mit dem roten Metzgergesicht ließ Lorenz stehen und wandte sich an die in Bewegung geratenen Strippenzieher und Nachrichtenleute. Es ging also weiter! Lorenz freute sich darüber. Der verregnete Tag hatte beträchtlich an Tristheit verloren.

      Lorenz verließ den wie ein Bienenkorb summenden Gefechts- und Schreibstubenraum. Draußen holte er tief Luft und schaute vergnügt in den schnürenden Regen. Bei der Feldküche stand ein Haufen Landser, und Gschrei gab noch immer das Essen aus. Ein Planwagen mit zwei pitschnassen, mageren Zossen davor, schleppte sich mühsam durch die verschlammte Wasserlandschaft der Dorfstraße. Dahinter folgten ein zweites und drittes Fuhrwerk.

      Jetzt kam der Kradmelder heraus, setzte den Stahlhelm auf, trat seine Maschine an und fuhr, die bestiefelten Beine von sich streckend, dem nördlichen Dorfausgang zu. Das Wasser aus den Pfützen spritzte hoch auf, rutschend verschwand die Maschine.

      Vierzehn Uhr Abmarsch! jubelte es in Lorenz. Raus aus diesem Drecknest, das auf keiner Karte eingetragen ist! Endlich marschieren! Bloß weg! Nach Norden hinauf! Über die Grenze zurück! Dort kann einem ja nicht mehr viel passieren!

      Für Lorenz war es sonnenklar, dass man Richtung Norden marschieren würde; durch Finnland, in dem nicht mehr geschossen und gestorben und wo man von keinen Jabos mehr belästigt wurde! Und auch von keinen Heckenschützen!

      Lorenz ging rasch auf die andere Straßenseite hinüber, dann ein Stück weiter, bis ein morastig gewordener Fußweg zum Waldrand abzweigte.

      Der Kanister Graupensuppe am Rücken wärmte angenehm, der Regen prasselte auf die umgehängte Zeltbahn. Lorenz pfiff leise vor sich hin und dachte an die letzten beiden Kriegsjahre. In Narvik war er zur 3. Kompanie gestoßen, vom Ersatzhaufen kommend. Bald hatte er sich in den Kameradenkreis eingelebt und marschierte mit, tat seine Pflicht wie jeder andere, kämpfte, darbte, hoffte und wusste, dass alle Strapazen und Ängste umsonst gewesen waren; er wusste es, seit die Finnen die Waffen gestreckt hatten.

      Lorenz wunderte sich darüber, dass er es den Finnen nicht einmal krumm nahm, dass er ihnen diesen Entschluss nachsah. Er kannte viele Finnen, er mochte dieses kleine, tapfere Volk und verstand, warum es die Waffen niederlegte. Es hatte wenigstens den Mut, mit diesem Irrsinn aufzuhören, es wollte nicht verbluten, das Hemd war ihm näher als der Rock!

      Lorenz wich schwärzlichen, glucksenden Wasserlachen aus und streifte an triefenden Büschen entlang, von denen das Laub blätterte. Er war diesen Weg oft gegangen, bei Hitze und Kälte, bei Tag und Nacht. Rechts hinter den Büschen, in die der Regen prasselte, lag der Wald, dicht und filzig, mit schmalen Pfaden, die zu den Stellungen führten.

      Dort drinnen ertönten Stimmen, Kommandos. Man hatte den Befehl zum Abrücken schon erhalten und baute ab.

      Jetzt ploppte es weiter hinter dem Wald. Lorenz blieb stehen und horchte mit aufgesperrtem Mund. Jetzt kamen sie an, die Brocken: Piiiiiiauuuuu … wumm … rrrrreng! Drei Einschläge in der Nähe des Dorfes!

      Sie haben es in die Nase gekriegt, dass wir abhauen, dachte Lorenz. Sie wollen uns noch ein wenig die Freude vermiesen! Er lachte und stolperte weiter.

      An der Pfadkrümmung traf er mit der Gruppe Hengst zusammen. Mit Sack und Pack kam sie heran.

      »Mensch, Lorenz, wo musst du noch hin?«

      »Zum Teichmann. Fressen bringen und den Abmarschbefehl!«

      »Na, dann beeil dich, Mann! Los, geh zur Seite, sonst überfahren wir dich!«

      Sie gingen lachend vorüber und verschwanden mit klappernden Geräuschen auf dem dampfenden Pfad.

      Der Weg endete auf einer kleinen Lichtung, die Lorenz noch überqueren musste. Drüben, hinter dem niedrigen Buschstreifen, lag der Bunker »Waldmaus«. Die Lichtung war mit gelbem Gras bewachsen, das der Regen plattgelegt hatte, in der Mitte stand der Torso einer Kiefer, die von einer Granate zersplittert war. Ringsum lagen die zerfetzten Äste, schon rötlich gefärbt in den langen Nadeln. Im Umkreis gähnten ein paar Granattrichter, in denen sich das Regen- und Grundwasser angesammelt hatte.

      Lorenz blieb stehen. Vor dieser Lichtung hatte er schon immer Angst gehabt. Es wollte ihm vorkommen, als benützten die roten Artillerieoffiziere den hoch aufragenden Kiefernstamm als Grundrichtungspunkt für ihre Geschütze, als Punkt, der sich ausgezeichnet zum Einschießen eignete.

      Jedes Mal, wenn Lorenz diese Lichtung überqueren musste, überkam ihn die Ahnung, dass dieses freie Stück karelischen Landes ihm zum Schicksal und Verhängnis werden sollte.

      Auch jetzt beschlich ihn wieder diese düstere Ahnung, den Gefreiten aus dem Emsland, den einzigen Sohn des Heidebauern Felix Lorenz. Aber er zögerte nur ein paar Augenblicke lang und sagte sich: »Unsinn, es passiert nichts! Ich muss rüber und Teichmann Bescheid sagen, dass abgerückt wird! Vorwärts also! Zwei Jahre und zwei Monate ist alles gut gegangen, warum soll jetzt etwas schief gehen?«

      Er fing zu traben an. Die Graupensuppe im Kanister gluckerte warm und hohl am durchschwitzten Rücken, die ausgetretenen Nagelschuhe des Gefreiten spritzten ins nasse Gras, seufzten, plumpten mit dumpfer Eile über die Lichtung hinweg.

      Er lief geduckt, mit eingezogenem Genick; der Stahlhelm rutschte ihm in die Augen, das Seitengewehr klirrte gegen den am Koppel wippenden Feldspaten.

      Plopp-plopp-plopp, ertönte es rechts hinter dem Wald.

      Abschussfeuer! schoss es Lorenz durch den Kopf. Schnell rüber!

      Hiiiiiau-wumm-rreng! Dicht vor der rennenden Gestalt sprang der grelle Blitz auf. Lorenz rannte mitten in ihn hinein.

      Als die schwärzliche Detonationswolke verraucht und vom Wind von der Lichtung getrieben war, lag der Kanister Graupensuppe am Buschrand.

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