Скачать книгу

niemals das Wasser reichen könnte. So genau wusste eigentlich keiner, warum der Fritz ausgerechnet auf den Sepp so besonders giftig war, mehr noch als auf alle anderen. Im Müller Sepp hatte er wohl eine große Projektionsfläche für seine gesamte Aggression und Lebensunzufriedenheit gefunden. Warum das so war, fragte sich eigentlich keiner der Feuerwehrler. Männer machten sich da ja nicht so viele Gedanken über die Gründe einer Antipathie wie das andere Geschlecht, also die Frauen. Er kann ihn halt nicht leiden – Punkt.

      Bettina und Maria hingegen hatten diese problematische Beziehung einmal bei einem Kaffeekränzchen aus der Ferne »aufgearbeitet« und kamen zum Resümee, dass vermutlich der ursächliche Grund der gewesen sein musste, dass Fritz eigentlich auch Feuerwehrkommandant werden wollte. Schon immer. Er sah sich auch fast am Ziel seiner Träume, damals bei der letzten Wahl im Feuerwehrhaus vor über fünf Jahren. Allerdings war zu dieser Zeit der Sepp seit ein paar Jahren wieder in Unterfilzbach sesshaft geworden und mit seiner Art bei den Dorfbewohnern gleich auf große Sympathie gestoßen. Sepp hatte sich gleich recht schnell wieder tatkräftig bei der Feuerwehr engagiert, wie auch schon zu seiner Jugendzeit. Und eben bei dieser legendären Versammlung mit Neuwahl hatte dann ausgerechnet der Brandl Fonsi den Sepp als Kommandanten vorgeschlagen. Eigentlich war die Wahl vom Kronschnabl ja fast schon sicher gewesen, aber mit Sepps Kandidatur hatte keiner gerechnet, nicht mal er selber.

      Aber den Sepp musste man einfach mögen und zack, war er Erster Kommandant und Fritz eben nur Zweiter. Und seitdem war der Kronschnabl nicht gerade ein Sympathisant vom Müller. Es war so ungefähr wie bei der Berta und dem Hansi. Die ganze Situation steigerte sich stetig, weil es eben kein klärendes Gespräch gab, so wie das Frauen machten, bevor sie sich dann meistens heulend in die Arme fielen, nachdem sie die Streitpunkte bei einer Flasche Prosecco diskutiert hatten. Das fehlte eben bei Sepp und Fritz, mutmaßten die zwei Freundinnen Bettina und Maria, als sie ihre psychologischen Untersuchungen abschlossen. Hansi hatte diesem Frauengespräch amüsiert gelauscht und mit der typischen Sichtweise eines Mannes großes Unverständnis über derartige Herangehensweisen des weiblichen Geschlechts an etwaige zwischenmenschliche Probleme geäußert.

      »Also wenn es da ein Gespräch geben sollte, dann höchstens eins mit einer zünftigen Rauferei. Reden bringt einen da nicht mehr recht weiter«, war sein Kommentar beim damaligen Kaffeeplausch.

      Wenn Fritz auf den heutigen »wundervollen« Gretl-Nachruf von Sepp angesprochen wurde, entgegnete er nur genervt: »Ja du liebe Zeit, und so was findet ihr auch noch gut? Herrschaften, das ist der Kommandant! Das ist ja fast wie a weinerliches Weiberleut, wie sollen denn da die Männer von der Feuerwehr Respekt haben?«

      Fritz beeindruckte es gar nicht, dass Sepp alle so beeindruckte. Er warf ihm laufend tötende Blicke zu, was aber den Ersten Kommandanten nicht weiter störte. Er hatte sich inzwischen längst damit abgefunden und nahm das Ganze mit seiner typischen stoischen Ruhe hin.

      Ein unerwarteter Gast kam etwas verspätet im Rollstuhl in den Dorfwirtssaal hereingerollt. Der Weiderer Erwin hatte sich auf eigene Verantwortung selbst aus dem Krankenhaus entlassen, weil es ihm zum einen dort schon furchtbar fad war und zum anderen das »freie« Dorfwirt-Schweinerne und ein zünftiger Leichentrunk lockten. Der Erwin ging natürlich wie selbstverständlich davon aus, dass der Sepp sich um ihn kümmern würde, als ihn die Krankenschwester hereinschob und dann fluchtartig den Raum verließ.

      Natürlich sorgte der Erwin mit seinem Auftritt im Rollstuhl sofort für Aufsehen. Das Mitleid war groß und er wurde nur so überschüttet von Genesungswünschen, was er natürlich dankend und theatralisch annahm. Jedoch hielt er sich dann gleich einmal an Sepp und ließ sich an dessen Tisch rollen. Sofort bestellte er in seinem unnachahmlich »freundlichen« Beamtenton einen deftigen Schweinebraten und eine Halbe Bier.

      »Musst du denn keine Medikamente nehmen, Erwin? Ich weiß jetzt nicht genau, ob das nach deiner Operation schon so gut ist mit dem Alkohol und dem fetten Schweinernen«, fragte Sepp wie immer fürsorglich.

      »Geh, geh, das passt schon, Sepp. Kümmer du dich nicht um mein Bier, ich weiß schon, was ich tu.«

      Der Weiderer Erwin war im Prinzip für seine einundsiebzig Jahre sehr fit, wenn man von seinem momentanen Rollstuhl einmal absah. Er war zwar schon vor zweiundzwanzig Jahren in den krankheitsbedingten Ruhestand geschickt worden, aber bei dem Knochenjob eines Postboten war das ja kein Wunder, dass so was einen Körper auszehrte, erzählte Erwin allen, die dies infrage stellten.

      Der Frührentner konnte sich nach seiner Pensionierung absolut auf sich selber konzentrieren und erholte sich dann auch recht schnell wieder von der postalischen Sklavenarbeit. Trotz seiner Arbeitsunfähigkeit im Postdienst konnte er nach kontinuierlichem Training jährlich zu einer Alpenüberquerung mit dem Mountainbike aufbrechen. Außerdem widmete er sich gerne dem Unterfilzbacher Gemeinderat, dem er schon einige Jahre angehörte. Und in vielen Vereinen war er ebenfalls aktiv. Da kam er wenigstens unter die Leut‘. Schließlich war er in der letzten Legislaturperiode auch noch zum ehrenamtlichen Zweiten Bürgermeister gewählt worden. Da kam er nicht nur unter die Leut‘, sondern bekam bei Goldenen Hochzeiten oder runden Geburtstagen sogar noch regelmäßig etwas Warmes zu essen. Für einen alleinstehenden Herren eine wunderbare Sache. Er trat allerdings dann vor ein paar Monaten von all seinen politischen Ämtern zurück, als er kurzzeitig einmal den Ersten Bürgermeister vertreten sollte, während dieser in Untersuchungshaft saß – aber das ist eine andere Geschichte. Den Rücktritt begründete er mit seinem angeschlagenen Gesundheitszustand. Da er aber dann bald darauf zu seiner alljährlichen Alpenüberquerung aufbrach, überlegten die Unterfilzbacher, ob er mit seiner »angeschlagenen Gesundheit« vielleicht seine geistige Verfassung gemeint haben könnte.

      Inzwischen war es schon Abend geworden und im Dorfwirtssaal saß nur noch der harte Kern der Trauergemeinde. Manche wirkten nicht mehr ganz so traurig, aber trotzdem etwas angeschlagen, zumindest sprachlich und feinmotorisch. So ein langer Tag mit Freibier hinterließ halt auch beim stärksten Feuerwehrler seine Spuren.

      Es hatten sich zwei Schafkopfrunden gebildet und eine Handvoll ratschende »Zuschauer« gesellte sich um die Spieler. Die Schaulustigen bei einem Schafkopf bezeichnete man in Bayern auch als »Brunzkartler«. Auf gut Deutsch bedeutete das: Wenn einen der Spieler die Blase drückte, dann gab es quasi Ersatzmänner an Ort und Stelle, die den Stammspieler dann in der Zeit seines Toilettengangs vertraten. Der korrekte Aufruf dazu hieß dann: »He, kannst du a mal aufsitzen?«

      Unter den »Brunzkartlern« waren der Sepp – und somit auch der Erwin –, der Karl Brandl, der Fritz Kronschnabl, der Hansi und der Ashanti. Ja, richtig gelesen – der Ashanti. Das bedarf vielleicht ein klein wenig der Erklärung: Eigentlich wurde der Ashanti als Alois Amberger in Unterfilzbach geboren. Zu seinem exotischen Neu-Namen kam er, als er vom Versicherungsvertreter zum Yoga- und Kamasutra-Guru umgesattelt hatte, angeblich in einem indischen Aschram. Nun war der Ashanti zwar eigentlich eine gute Haut, aber halt eine besonders faule. Ein Lebemann, der es nicht unbedingt so sehr mit körperlicher Arbeit hatte und sich seinen Lebensunterhalt lieber von treuen Fans schenken ließ. Im Gegenzug »schenkte« Ashanti der Menschheit gerne viele Lebensweisheiten, extremistische Esoterikratschläge und wenn‘s grad pressierte auch einmal eine kurze Handauflegung gegen die schlechten Schwingungen und für gutes Karma. Nach seiner beruflichen Selbstfindung war er schließlich im Altenheim »Zum ewigen Licht« als Senior-Life-Coach gelandet, was im Prinzip mit einem Unterhaltungsanimateur für betagte Herrschaften gleichzusetzen war. Eine Hausmeisterwohnung war bei diesem Job inklusive, was dem glücklosen Ex-WG-Bewohner Ashanti sehr entgegenkam. Dass er dabei auch im Winter den Schneeräumdienst vor der Seniorenresidenz zu erledigen hatte, beziehungsweise im Sommer für die Mäharbeiten verantwortlich war, verdrängte er die meiste Zeit über sehr gekonnt. Zur Not bat er dann wieder einmal den gutmütigen Sepp um Hilfe. Ashanti hatte in den vergangenen zwei Jahren für reichlich Wirbel in Unterfilzbach gesorgt, aber auch das waren lange Geschichten. Inzwischen war es recht ruhig um den Esoterik-Guru geworden und es schien, als hätte er seine Bestimmung im Altenheim gefunden.

      Der bierlaunige Ideenreichtum im Dorfwirtssaal brachte nun an diesem Abend die Erkenntnis zutage, dass es im Prinzip noch keine Evakuierungspläne für die Seniorenresidenz im Falle eines Notfalls wie Brand oder Ähnlichem gab. Alle Anwesenden waren der Meinung, dass dies absolut eine Aufgabe für einen Senior-Life-Coach

Скачать книгу