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Meine Real Life Story. Philipp Mickenbecker
Читать онлайн.Название Meine Real Life Story
Год выпуска 0
isbn 9783863348328
Автор произведения Philipp Mickenbecker
Жанр Афоризмы и цитаты
Издательство Bookwire
Am nächsten Morgen kam er dann zu mir und erzählte, er hätte selbst nicht schlafen können in der Nacht. Er hätte Kopfschmerzen gehabt und sich Aspirin geholt. Das hat bei ihm zum Glück geholfen, und er könnte sich gar nicht vorstellen, wie es für mich gewesen sein muss, mit diesen krassen Schmerzen und ohne eine Möglichkeit, sie zu lindern.
Das hat mich so getröstet!
Ich schreib das auf, weil ich mich immer daran erinnern will, wie wichtig es ist, bei Menschen zu sein, denen es schlecht geht. Und wie sehr es einem helfen kann, wenn man weiß, dass es da einfach nur jemanden gibt, der mitfühlt.
Wenn man krank ist, fühlt man ganz anders als sonst. Man erlebt alles ganz anders. Und man schätzt alles viel mehr. Selbst ganz kleine Sachen. Jeden kleinen Besuch, bei dem man merkt, dass die Leute nicht aus Neugier gekommen sind, sondern weil sie einfach da sein wollen. Weil sie für mich da sein wollen. So will ich auch immer für meine Freunde da sein, für die da sein, denen es schlecht geht, die Hilfe brauchen. Den Unterschied zwischen denen, die aus Neugier kamen, und denen, die aus wirklichem Interesse gekommen sind, hab ich ganz deutlich gemerkt.
Ich glaube, man wird viel sensibler in so einer Zeit. Wir hatten ja viele Freunde in der Schule. Viele, die etwas von uns wollten, die mit uns befreundet waren, weil wir ihnen geholfen haben. Weil wir immer alle haben abschreiben lassen. Jeder wollte neben mir sitzen. Vor allem in den Arbeiten. Aber wenn man dann mal nicht mehr kann, wenn man anderen nichts mehr nützt, sieht alles ganz anders aus. Dann sind nur noch wenige da. Ganz wenige. Das sind die echten Freunde, auf die man sich verlassen kann. Und eigentlich die Einzigen, mit denen es sich lohnt, befreundet zu sein.
Nele kam immer wieder, mal allein, mal mit ihrem Bruder oder ihrer Schwester. Das Tolle bei ihr war, dass sie mich nicht dauernd gefragt hat, wie es mir geht, sondern einfach da war. Sie hat mich ganz normal behandelt und mir das Gefühl gegeben, dass ich trotz allem noch ein normaler Mensch war. Dafür bin ich ihr immer noch dankbar.
WENN SICH DIE BEHANDLUNG SCHLIMMER ANFÜHLT ALS DIE KRANKHEIT
Die Chemo macht mich fertig
Als Nächstes begann die Chemotherapie. Das bedeutet, dass man den Körper mit sogenannten Zytostatika vollpumpt – das ist quasi ein Gift, das vor allem die Tumorzellen schädigen soll, weil die eine besonders schnelle Zellteilung haben und damit empfindlicher sind. Trotzdem vergiftet man damit natürlich auch den Rest des Körpers gleich mit, und das ziemlich heftig.
Ich hatte mich vorher nie damit beschäftigt, was es heißt, Krebs zu haben, und was so eine Behandlung bedeutet. Und das war auch gut so.
Die erste Runde Chemo wurde mir verabreicht. Das Gift tröpfelte durch meine Venen in meinen Körper und ich spürte erstmal gar nichts. Doch am nächsten Tag kam es dann umso heftiger: extreme Übelkeit und Schwäche, krasseste Kopfschmerzen – es war wie der schlimmste Kater, den man sich vorstellen kann, nur dass der leider nicht mit Kaffee und Ruhe wieder weggeht, sondern immer schrecklicher wird.
Ich war so schwach, dass ich überhaupt nichts mehr machen konnte, als in meinem Bett zu liegen. Gerade für einen freiheitsliebenden Menschen wie mich die reinste Folter. Ich weiß noch, wie ich das Rollo an meinem Fenster ein bisschen weiter hochkurbeln wollte und es einfach nicht geschafft habe. Unter Aufbietung aller Kräfte hab ich die Kurbel einmal drehen können und musste mich erstmal wieder hinlegen und etwas erholen, bevor ich das Teil schließlich weitere zwei Zentimeter hochkurbeln konnte. Fünfmal ging das so, bis das Rollo oben war.
Gott sei Dank habe ich immer wieder Kraft und Ermutigung in der Bibel gefunden, in Stellen, die genau gepasst haben. Damals habe ich das auch alles in einem Buch aufgeschrieben, all diese Ermutigungen und Erlebnisse in der Zeit. Ich weiß nicht mehr, ob ich es später weggeschmissen habe, als ich nichts mehr von Gott wissen wollte. Jedenfalls finde ich es nicht mehr. Das war auf jeden Fall voll von schönen Erlebnissen mit Gott gewesen. Schade eigentlich.
Oft hat es mich einfach überwältigt, wenn ich draußen im Park war und mal wieder eine Ermutigung gebraucht habe. Dann habe ich meine kleine Bibel ausgepackt, und Gott hat immer zu mir gesprochen, immer so passend gesprochen, dass ich einfach überwältigt war, dass er sich um mich gekümmert hat. Gerade um mich, einen von über 80 Millionen Deutschen, der gerade in irgendeiner Klinik war, in der es doch so viel Leid und so viele verzweifelte Menschen gab. Ausgerechnet zu mir hat er gesprochen. Dann hab ich oft im Park gesessen und konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Nicht vor Verzweiflung, wie die anderen Patienten sicher dachten, die den bleichen Jungen auf der Bank gesehen haben. Sondern vor Glück, darüber, dass Gott gefühlt bei mir war.
Die meisten dieser Erlebnisse habe ich wieder vergessen. Aber eine Situation hat sich in meinen Kopf eingebrannt, die definitiv kein Zufall war. Ich meine, es gibt viele ermutigende Stellen in der Bibel, da kann es schon sein, dass man zufällig mal was Passendes aufschlägt. Aber das war echt krass.
Zwischen den Chemos durfte ich immer wieder nach Hause, und ich rechnete jederzeit damit, meine Haare zu verlieren – eine der üblen Nebenwirkungen, die das Gift mit sich brachte. Für mich war die Vorstellung nicht das Schlimmste, und trotzdem hatte ich gehofft, dass ich das nie erleben müsste. Eigentlich hätten sie mir schon längst ausfallen müssen, aber die Ärzte hatten mir gesagt, dass es tatsächlich nicht bei jedem passiert. Also hab ich insgeheim gehofft, dass ich zu denjenigen gehören würde, die ihre Haare behalten durften. Schon seit über drei Wochen empfing mich die Krankenschwester jedes Mal mit einem freudigen Lächeln, wenn sie mich sah und überrascht feststellte, dass ich immer noch alle Haare auf dem Kopf hatte.
Aber dann kam der Tag, an dem ich aufgewacht bin und mein Kopfkissen voller Haare war. Mein ganzes Bett war voller Haare. Ich konnte sie einfach so abnehmen, als würden sie nur auf dem Kopf liegen.
Trostsuchend hab ich wieder meine Bibel genommen. Ich hatte jetzt jeden Tag immer weiter im Neuen Testament gelesen. Und genau an dem Tag kam diese Stelle:
„Welchen Wert hat schon ein Spatz? Man kann zwei von ihnen für einen Spottpreis kaufen. Trotzdem fällt keiner tot zur Erde, ohne dass euer Vater davon weiß.
Bei euch sind sogar die Haare auf dem Kopf gezählt. Darum habt keine Angst!
Ihr seid Gott viel mehr wert als ein ganzer Spatzenschwarm.“
Matthäus 10, 29-31
Das hat mich wieder getröstet. Und auf einmal war es mir wirklich egal, mir hat es nicht mehr so viel ausgemacht, jetzt mit Glatze herumzulaufen. Wenn Gott sogar die Haare auf meinem Kopf gezählt hatte, konnte er sich auch darum kümmern, dass später wieder alle genauso wachsen würden.
Das Problem war daher nicht, dass ich plötzlich eine Glatze hatte. Aber an der Sache mit den Haaren hab ich erst so richtig gemerkt, wie krass diese Medikamente sind und dass sie den Körper so schädigen.
Meine Blutwerte rutschten natürlich in den Keller, ich bekam starkes Herzrasen – ein mega unangenehmes Gefühl, weil der ganze Körper dabei ständig in Alarmbereitschaft ist. Mein Gesicht war so aufgedunsen, dass ich mich selbst im Spiegel nicht mehr erkannte. Die ganze Zeit hatte ich so krasse Kopfschmerzen, dass ich wie benommen war und nur noch die Hälfte von dem mitbekam, was um mich herum passierte. Das Gift machte meine Haut und mein Bindegewebe kaputt, ich habe heute noch die Narben aus dieser Zeit. Auch meine Venen wurden durch die ständige Giftzufuhr irreparabel geschädigt. Und das war nicht der Tumor, der mir all das bescherte, sondern die Behandlung des Tumors!
Und dabei wurde mir noch gesagt, dass ich die Chemo „besser“ vertrug als viele andere, denen es sogar noch schlechter ging. Tatsächlich habe ich mich immer nach einer Runde Chemo einigermaßen gut erholt und konnte sogar wieder ein bisschen draußen herumlaufen oder Fahrrad fahren. Doch immer gerade dann, wenn sich das Leben so nach zwei Wochen wieder etwas erträglicher anfühlte, kam die nächste Chemo, und alles ging wieder von vorne los. Es war eine einzige Qual.
Als