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bezweifelte zwar nicht, dass es ihm gelingen würde, sie zu besänftigen, aber es war besser, wenn niemand herausfand, dass er mit der Dame des Hauses Tee getrunken hatte.

      Die Dienstboten würden zweifellos die Nase rümpfen und ihn spüren lassen, was sie von seinem eingebildeten Verhalten hielten.

      Marlow. Er war Marlow. Er durfte nicht vergessen, dass er einfach nur Marlow war und niemand sonst.

      Er kippte die Teeblätter aus der Kanne und tauchte die Kanne ins Spülwasser. Warum hatte er ihr von seiner Familie erzählt? Zugegeben, er hatte nicht alles erzählt. Die Verwandten in Derbyshire waren weit entfernte Verwandte mütterlicherseits. Die Tante und der Vetter, die in London wohnten, waren viel näher mit ihm verwandt, aber sie erwähnte er nie.

      Meistens versuchte er zu vergessen, dass es sie überhaupt gab.

      Wenn es sie nicht gäbe, wäre sein Leben viel leichter. Wenn sein Vetter nicht wäre, wäre er nie nach Frankreich gegangen. Dann hätte er nie die Welt der Spionage betreten und würde bestimmt nicht die Stiefel eines Herzogs putzen.

      Was bedeutete, dass er auch nie mitten in der Nacht mit Lady Miranda Tee getrunken hätte. Und das wäre wirklich schade.

      Mit einem Lächeln hinterließ er die Küche so, wie er sie vorgefunden hatte. Niemand würde etwas von dem mitternächtlichen Tee ahnen.

      Während er zur Bibliothek zurückging, arbeitete sein Verstand auf Hochtouren. Er ließ jede Einzelheit ihres Gesprächs Revue passieren und versuchte herauszufinden, was sie zu ihren Worten veranlasst und wie sie reagiert hatte. Warum hatte sie ihn eingeladen, mit ihm Tee zu trinken? Er hatte eine zweite Tasse aufs Tablett gestellt, da er die Kanne hatte leeren wollen, wenn sie wieder zu Bett gegangen war. Er hätte nie damit gerechnet, dass sie ihn einladen würde, sich zu ihr zu setzen.

      Sein Blick fiel auf den kleinen Schreibtisch. Als er mit dem Tee zurückgekommen war, hatte sie sich eilig erhoben. Hatte sie etwas versteckt?

      Vor Grauen zog sich sein Magen zusammen. Solange nicht das Gegenteil bewiesen war, stand jedes Mitglied des Haushalts unter Verdacht, aber er hatte nie ernsthaft in Erwägung gezogen, dass Griffith oder jemand aus seiner Familie hinter dem Verrat stecken könnte.

      Und wenn er sich irrte?

      Er verdrängte den Gedanken daran, dass er Miranda charmant und großmütig fand, und sah mit professioneller Ruhe die Papiere auf dem Schreibtisch durch. Briefe an Familienmitglieder und Angehörige des englischen Adels interessierten ihn wenig. Hier fand er nichts Ungewöhnliches. Außerdem war die Post das Erste, was das Kriegsministerium durchsuchen ließ.

      Er zog die Brauen hoch, als er ganz unten in dem Stapel ein blaues Blatt Papier entdeckte. Es war schief gefaltet, so ganz anders als die präzise gefalteten Blätter der anderen Briefe, und es stand keine Adresse darauf.

      Er faltete den Zettel auseinander und traute seinen Augen kaum. Sie schrieb dem Herzog von Marshington? Ihm stockte der Atem, als er den Brief las. Sie schrieb dem Herzog nicht nur. Sie schüttete ihm ihr Herz aus. Der Brief ließ auf eine enge Beziehung schließen.

      Er sank aufs Sofa und starrte in die tanzenden Flammen des Kaminfeuers. Das veränderte alles.

      4

       Obwohl sie in dieser Nacht nicht viel Schlaf bekommen hatte, starrte Miranda hellwach zur Zimmerdecke hinauf, als die Sonne ihre ersten Strahlen zwischen den Vorhängen hindurchsandte. Warum konnte sie nicht ein wenig länger schlafen? Sie musste heute nirgends hinfahren und hatte keine wichtigen Termine, die sie einhalten musste. Das war das Schöne am Leben auf dem Land: Sie konnte frei über ihre Zeit verfügen.

      Sie gönnte sich den Luxus, kräftig zu gähnen, während sie aufstand und nach dem Glockenzug griff. Dann trat sie in der Hoffnung, dass die Lichtstrahlen, die schon ins Zimmer drangen, einen schönen Morgen ankündigten, ans Fenster. Ein warmer, strahlender Sonnentag begrüßte sie, als sie den grünen Brokatstoff zur Seite zog. Sie blickte zum Himmel hinauf, sah aber keine Anzeichen dafür, dass Regen bevorstand. Keine einzige Wolke war am weiten Blau zu sehen.

      Als hinter ihr jemand vernehmlich hüstelte, wandte sie das Gesicht vom Fenster ab und sah, dass ihre Zofe Sally das Zimmer betreten hatte.

      „Guten Morgen“, begrüßte Miranda sie, bevor sie noch einen letzten Blick auf die schöne Landschaft warf.

      „Guten Morgen, Mylady.“

      Miranda wandte sich vom Fenster ab, während Sally ein cremefarbenes Tageskleid bereitlegte. Cremefarben. Was ihr angesichts ihres Teints auch nicht viel besser stand als Weiß. Mit einem Seufzen trat sie vor, um sich für den Tag ankleiden zu lassen. Vielleicht könnte sie später hinausgehen und mit Georgina einen Spaziergang machen. Bis dahin würden jedoch Stunden vergehen, da ihre Schwester nur selten vor dem Mittagessen zu irgendeiner körperlichen Aktivität bereit war.

      Sally steckte gerade die letzte Haarnadel an ihrer Frisur fest, als ein leises Klopfen ertönte. Neugierig ging Miranda zur Tür, während Sally das Nachthemd und den Morgenmantel wegräumte. Wer kam schon so früh am Morgen zu ihr?

      Möglicherweise ihre Mutter mit einem letzten Rat oder einer letzten Ermahnung. Oder Georgina, die so aufgeregt war, dass sie noch gar nicht geschlafen hatte? Die Haushälterin käme nur zu Miranda, wenn ein Notfall vorläge.

      An den Kammerdiener ihres Bruders hatte sie nicht einmal ansatzweise gedacht, aber genau dieser stand jetzt vor ihr. Er war korrekt gekleidet, sein Auftreten war professionell, und man sah ihm überhaupt nicht an, dass er sich die Nacht damit um die Ohren geschlagen hatte, in der Bibliothek Stiefel zu polieren.

      „Oh! Marlow!“, sagte Miranda. Sie steckte den Kopf aus der Tür und schaute nach links und rechts, als erwarte sie, noch jemanden auf dem Korridor zu sehen. „Ist etwas mit dem Herzog?“

      „Nein, Mylady. Er schickt mich, um Sie zu bitten, so bald wie möglich zu ihm in sein Arbeitszimmer zu kommen.“

      „Tatsächlich?“ Miranda runzelte verwirrt die Stirn. Seit wann sandte Griffith wegen persönlicher Angelegenheiten seinen Kammerdiener los und nicht irgendeinen einfachen Diener?

      „Ja, Mylady.“ Marlow verbeugte sich korrekt und machte Anstalten zu gehen. Doch dann hielt er inne und drehte sich noch einmal zu Miranda um. „Außerdem wollte ich Ihnen mitteilen, dass ich die Briefe aufgegeben habe, die Sie in die Bibliothek gelegt hatten. Seine Durchlaucht hatte heute Morgen eine dringende Korrespondenz. Deshalb habe ich Ihre Post auch gleich aufgegeben.“

      „Oh!“ Miranda strich mit der Hand über die Rüschen ihres Tageskleids. Waren alle Kammerdiener gegenüber den anderen Mitgliedern der Familie so hilfsbereit? Herbert hatte sich nie die Mühe gemacht, ihre Briefe aufzugeben oder sich um jemand anderen als um Griffith und gelegentlich um Trent zu kümmern, aber andererseits war er bei Mirandas Geburt auch schon älter gewesen.

      „Danke“, sagte sie. „Der Herzog ist in seinem Arbeitszimmer, sagten Sie?“

      Marlow nickte, wandte sich ab und schritt auf dem Flur davon. Miranda verließ ihr Schlafzimmer und folgte ihm. Als sie zwei Schritte weit gekommen war, blieb Marlow abrupt stehen und drehte sich um. Er warf ihr aus seinen grauen Augen wieder einen seiner durchdringenden Blicke zu.

      „Kann ich Ihnen helfen, Mylady?“

      Miranda errötete leicht. Warum kam es ihr nur so vor, als hätte er die Oberhand in dieser „Beziehung“? Es bestand doch kein Grund, verlegen zu sein. Immerhin war sie die Dame des Hauses und er nur ein Bediensteter. Nach dem vertrauten Gespräch in der Nacht musste sie sowohl sich selbst als auch Marlow an diese Tatsache erinnern. „Nein danke, Marlow. Das war alles.“

      Marlow zog die Brauen leicht hoch, nickte aber und setzte seinen Weg fort.

      Miranda errötete stärker. Das war alles? Sie wand sich innerlich, als sie daran zurückdachte, wie hochmütig sie geklungen haben musste. Was war mit ihr los? Sie schüttelte den Kopf und schritt den Korridor entlang.

      Als sie ihn eingeholt hatte, warf er ihr einen kurzen Seitenblick zu. Miranda wandte den Kopf und sah ihn an, aber ihre Beine bewegten

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