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Entführung ins Glück. Kristi Ann Hunter
Читать онлайн.Название Entführung ins Glück
Год выпуска 0
isbn 9783961224432
Автор произведения Kristi Ann Hunter
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Sie stürmte wieder die Treppe hinauf, während sie sich ein Schreckensszenario nach dem anderen ausmalte. Hatte er ihn wirklich abgeschickt? War das überhaupt möglich? Sie kannte die Adresse des Herzogs von Marshington nicht. Und sie hätte nicht gedacht, dass überhaupt irgendjemand seine Adresse kannte, bis Griffith erwähnt hatte, dass er gelegentlich Nachrichten von ihm erhielt.
Was bedeutete, dass sich irgendwo in Griffiths persönlichen Unterlagen eine Adresse befand, an die ein Brief für den Herzog von Marshington geschickt werden konnte.
Miranda fürchtete, vor Panik fast zu ersticken.
Sie rannte an ihrer eigenen Zimmertür vorbei zu Griffiths Räumlichkeiten. Er würde sich nach ihrem Ausritt auch umziehen. Es war also sehr wahrscheinlich, dass sich der Kammerdiener in seinem Ankleidezimmer befand. Sie wollte schon unangemeldet hineinstürmen, als ihr einfiel, dass Griffith vielleicht noch nicht präsentabel war. Abrupt blieb sie stehen. Sie wollte sowohl ihrem Bruder als auch sich selbst diese Peinlichkeit ersparen.
Sie lehnte die Stirn an die Wand und atmete schwer und hastig ein. Die Hand zu einer Faust geballt, an der die Fingerknöchel weiß hervortraten, klopfte sie an die Tür.
Einige Augenblicke später wurde diese geöffnet und der Kammerdiener stand mit einem schmutzigen Stiefel in der Hand vor ihr. „Mylady?“
Miranda wurde von seinen quecksilbergrauen Augen in ihren Bann gezogen. Sie blinzelte, um sich wieder auf ihr eigentliches Anliegen zu konzentrieren. „Haben Sie meine Briefe wirklich abgeschickt?“
„Natürlich, Mylady. Seine Durchlaucht sagte, seine Post müsse so schnell wie möglich abgesendet werden. Deshalb habe ich die Briefe gleich am Morgen weggebracht.“
Miranda schloss verzweifelt die Augen. „War auch ein blauer Brief darunter?“
„Ja, Mylady. Ich habe mir erlaubt, die Adresse zu vervollständigen, damit er sofort abgeschickt werden konnte.“
Miranda schlug wieder die Augen auf und sah, dass Marlow sie unauffällig von Kopf bis Fuß musterte und ihre alles andere als salonfähige Aufmachung betrachtete. Sie sah vermutlich aus, als hätte sie den Verstand verloren. Griffith war ähnlich zerzaust zurückgekommen, aber bei einem Mann sah man darüber hinweg. Oh, diese lästigen Vorstellungen darüber, wie eine Dame auszusehen hatte!
Sie legte verzweifelt den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke. Das Stuckmuster verschwamm vor ihren Augen. Sie wäre am liebsten verzweifelt zu Boden gesunken, aber die vielen Lektionen ihrer Mutter erlaubten ihr das nicht. „Lieber Gott“, flüsterte sie, „bitte mach, dass der Postbote ihn verliert!“
„Mylady?“, fragte Marlow verwirrt.
Miranda schüttelte nur den Kopf. Schmale Arme legten sich um ihre Schultern. Sally musste ihr in einem gemäßigteren Tempo gefolgt sein. Ihre Zofe drehte sie herum und versuchte, sie zu ihrem Zimmer zu bringen. Miranda ließ sich widerstandslos von Sally wegführen.
Der Brief war fort! Er war zur Poststation gebracht worden und würde … Miranda riss die Augen auf.
„Warten Sie!“, rief Miranda.
Marlow öffnete erneut die Tür, die er schon fast geschlossen hatte.
Miranda lief zu ihm zurück. „Wann sollte die Postkutsche abfahren?“
„Wie bitte, Mylady?“
„Die Postkutsche. Ist sie schon nach London aufgebrochen?“ Miranda kam es so vor, als stünde sie neben sich, und sie fragte sich, was in aller Welt in diese verrückte Frau gefahren war, die jetzt die Rockaufschläge des Kammerdieners umklammert hatte.
„Ja, Mylady. Der Postkutscher wollte sofort nach London aufbrechen, da Seine Durchlaucht –“
Den Rest seiner Worte vernahm sie wie durch einen dichten Nebel. Ein tiefes Stöhnen entrang sich ihrer Kehle, während sie dem Drang nachgab, an der Wand hinunter zu Boden zu gleiten.
Der Brief war nach London unterwegs. Irgendjemand würde ihn lesen. So etwas Skandalöses würde der Gesellschaft nicht verborgen bleiben! Es war schon schlimm genug, dass sie einem ihr unbekannten Mann einen sehr persönlichen Brief schrieb. Aber sie hatte ihm darin auch gestanden, dass sie auf ihre Schwester eifersüchtig war! Damit war auch die leiseste Hoffnung auf ein Mindestmaß an gesellschaftlichen Erfolg in diesem Jahr dahin.
Sally zog an ihren Schultern. Miranda hob den Kopf und sah, dass ihre Zofe und Marlow besorgte Blicke wechselten. Das war kein Wunder. Sie hatte die Etikette völlig in den Wind geschlagen. Eine Dame verlor nie die Contenance.
Schließlich gelang es Sally mit Marlows Hilfe, ihrer Herrin auf die Beine zu helfen und sie zu ihrem Zimmer zurückzubringen. Die Zofe drehte noch einmal den Kopf zu ihr herum und wandte sich dannn an den Kammerdiener. „Die blauen Briefe dürfen nie abgeschickt werden.“
Miranda ließ sich widerstandslos in ihr Zimmer zurückführen und setzte sich gehorsam an den Frisiertisch. Während sie mehrmals tief durchatmete, gelang es ihr, ihre Gefühle wieder unter Kontrolle zu bringen. Praktische Gedanken meldeten sich erneut zu Wort.
Falls jemand die Adresse des Herzogs hatte, war das Griffith, und sein Kammerdiener musste Zugang dazu haben. Und es war gut möglich, dass sich die persönliche Korrespondenz des Herzogs tage- oder sogar monatelang ansammelte. Ihr Brief ging sicher zwischen all den anderen Briefen unter, die der Mann bekam. Wenn er irgendwann ihren Brief las, war sie vielleicht schon längst verheiratet.
Vielleicht würde er ihn auch überhaupt nicht lesen. Und selbst wenn er ihn las, würde ihn der Inhalt wahrscheinlich nicht interessieren.
Mit einem Seufzen fragte sich Miranda zum zweiten Mal in zwei Tagen, wo sich der Herzog von Marshington aufhielt. Wenn er ihren Brief bekam, erwartete ihn eine verwirrende Überraschung. Guter Gott, bitte lass ihn weit, weit weg sein, wo ihn der Brief niemals erreichen wird!
Ryland Montgomery, der Herzog von Marshington, war viel, viel näher, als Miranda sich vorstellen konnte. Er versuchte, seine wahre Identität zu verbergen und mit Leib und Seele Marlow, der Kammerdiener, zu sein, aber das fiel ihm zunehmend schwerer. Der Brief, den er gefunden hatte, und die Fragen, die ihn seitdem nicht losließen, machten ihm das unmöglich.
„War das Miranda?“, fragte Griffith. Er hob das Kinn, damit Ryland seine Krawatte kunstvoll binden konnte.
„Ja, Durchlaucht.“
Griffith seufzte. „Musst du denn auch dann so sprechen, wenn wir allein sind?“
Ryland klopfte eine hellbraune Jacke aus und hielt sie Griffith hin, damit er die Arme hineinstecken konnte. „Entschuldigung, Sir, aber die sicherste Tarnung ist immer eine lückenlose Tarnung.“
„Marsh“, sagte Griffith und benutzte den Spitznamen seines Freundes aus Kindertagen.
„Marlow, Sir.“ Ryland neigte leicht den Kopf, bevor er sich umdrehte und die schmutzige Reitkleidung aufhob. Wenn sein Freund nicht anfing, Ryland wie einen Kammerdiener zu behandeln, würde noch jemand Verdacht schöpfen. Ein Kammerdiener und sein Herr konnten zwar ein vertrautes Verhältnis haben, aber niemand würde glauben, dass sich dieses Vertrauen in nur zwei Tagen entwickelte.
Griffith seufzte. „Marlow. Ich weiß, dass ich in diese ganze Farce eingewilligt habe, weil du mir gesagt hast, dass es um die Sicherheit unseres Landes geht. Aber wir haben nicht besprochen, was ich genau machen soll.“
In der Hoffnung, dass sein alter Freund dieses Thema fallen lassen würde, wenn er ihm nicht antwortete, räumte Ryland weiter das Ankleidezimmer auf. Die große Gestalt eines gereizten Herzogs, der mitten im Zimmer stand, machte ihm das jedoch nicht leicht.
Ryland schaute Griffith einige Sekunden durchdringend an. Der Mann, der hier vor ihm stand, war einer der wenigen Menschen auf der Welt, die Ryland wirklich viel bedeuteten. Griffith hatte keine Ahnung, wie wichtig ihm ihre Freundschaft in jenen unerträglichen Schuljahren gewesen war.