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mochte bereits als Kind und Jugendlicher ausschließlich klassische Musik, aber meine Schwester liebte auch das Musical. Ihr Initiationserlebnis war Evita in Zürich, als die Broadway-Kompanie im Opernhaus gastierte und sie im Kinderchor mitsang. Da wir zu Hause Englisch sprachen, konnte sie sich mit den New Yorker Sängern und Tänzern gut unterhalten. Dass übrigens unsere Mutter mit uns Englisch sprach, kommt von ihrer Familiengeschichte. Sie wurde ursprünglich in Aussig an der Elbe geboren, heute heißt diese Stadt Ústí nad Labem. Sie war also Sudetendeutsche und ihre Familie musste am Ende des Krieges das Land verlassen. Sie kamen als Flüchtlinge nach Wien, wo sie in der Vorderbrühl bei Mödling untergebracht wurden. Obwohl sie buchstäblich nichts hatten, erlebte meine Mutter dort wahrscheinlich ihre glücklichsten Kindheitsjahre. Angesichts der Flüchtlingssituation heute erinnerte sie uns immer daran: »Auch wir waren Flüchtlinge.«

      Ihr Vater, Friedrich Herkner, hatte an der Kunstakademie in Wien Bildhauerei studiert und kam im Rahmen eines Austauschprogramms zwischen Österreich, Nazideutschland und Irland 1938 als Professor für Bildhauerei an das College of Art in Dublin. Dann wurde er eingezogen und kämpfte im Russlandfeldzug. Es gibt viele in Russland gemalte Bilder von ihm. Da es nach dem Krieg keine Arbeit gab, kehrte er, wie mir meine Mutter erzählte, als Professor nach Dublin zurück. Bald darauf wanderte die ganze Familie nach Irland aus und nahm die irische Staatsbürgerschaft an. Meine Mutter ging in Irland in die Schule, verbrachte dort ihre späteren Kindheitsund Jugendjahre und studierte Tanz. Deswegen habe auch ich einen irischen Pass und meine Mutter sprach mit uns zu Hause immer Englisch, denn sie wollte, dass wir Kinder zweisprachig aufwachsen. Meine Eltern sprachen Hochdeutsch miteinander; niemand von uns sprach Schweizerdeutsch.

      Von meiner Mutter habe ich auch ganz sicher die Disziplin. Da mein Vater kaum da war, musste sie alles alleine schaffen. Er hatte damals noch nicht die großen Gagen, man musste also auch sehen, wie man zurechtkam.

      Dass ich mit sechs Jahren begann Klavier zu spielen, war eine Idee meiner Mutter. Sie drang darauf, dass ich Unterricht nahm, und sie förderte auch mein Violinspiel, als ich da meiner Schwester nacheifern wollte. Das Klavier war mir wichtig, aber ich war manchmal auch etwas faul. Gott sei Dank hörte mir meine Mutter beim Üben nur aus der Ferne zu und drängte mich nie. Zum Unterschied von meinen Kameraden musste ich damals nur zehn Minuten täglich üben.

      Auf der Geige war ich begabt und bekam einen sehr guten Lehrer, den ehemaligen Konzertmeister der Zürcher Oper und des Tonhalle-Orchesters, Elemér Glanz. Ich nahm acht Jahre Geigenunterricht, erreichte in technischer Hinsicht aber nie die erforderliche Präzision. In meinem letzten Studienjahr wechselte ich zur Bratsche. Aber all diese Erfahrungen nützen mir heute natürlich bei der Orchesterarbeit.

      Obwohl ich mit meiner Schwester viel gemeinsam musizierte, war sie eher dem Tanz als der Musik zugewandt. Später widmete sie sich intensiv dem Schauspiel und leitet heute sehr erfolgreich ein Kindertheater, zumal ihr die Weitergabe der Kunst an junge Menschen sehr wichtig ist.

      Ab dem Alter von acht war ich sechs Jahre lang bei den Zürcher Sängerknaben, wo der Chorleiter Alphons von Aarburg großartige Arbeit leistete. Auch diese wunderbare Idee geht auf meine Mutter zurück. Eines Nachmittags brachte sie mich nach der Schule zu einer Probe, man setzte mich zum Sopran und wir erarbeiteten die Krönungsmesse von Mozart. Sofort machte es mir große Freude, mit anderen gemeinsam Musik zu machen, und ab nun hatte ich auch nicht mehr das Gefühl, allein zu sein: Jede Woche gab es mehrere Proben, vor den Konzerten auch Abendproben. Gerne erinnere ich mich an die Singlager in den Schweizer Bergen mit Stimmbildung, Filmabenden, Fußball- und Pingpongspielen und täglichen Proben. Vieles, was ich dort lernte, kann ich heute gut brauchen, vor allem aber, dass man beim Miteinander-Musizieren viel Freude haben kann, was so wichtig ist, und ebenso die Grundvoraussetzungen des Chorsingens: das gemeinsame Denken, das miteinander zu singen und zu atmen, das Intonieren und den gemeinsamen Ausdruck. Auch die Bandbreite des Repertoires war weit gefasst. In Kirchen sangen wir Musik von Palestrina und Bach bis hin zu Britten – immer wieder auch mit Orchester. Mein erstes Erlebnis in der Tonhalle Zürich war das »Bim-Bam« des Knabenchores in der Dritten Mahler. Mit diesem »Bim-Bam« begann meine Liebe zur Musik Gustav Mahlers. Dirigent war der junge Christoph Eschenbach in seinem ersten großen Chefposten. Dort zu singen, wo ich meinen Vater hatte proben sehen, war etwas ganz Besonderes. Natürlich überforderten mich die ersten drei Sätze der Mahler-Symphonie etwas, aber der letzte Satz überwältigte mich schon damals. Wir sangen auch Brittens War Requiem und Schumanns Faust-Szenen. Später durfte ich auch solo singen und ich trainierte meine Stimme. Mein Vater fand das wunderbar – ich glaube, er war sogar stolz auf mich.

      Stark in Erinnerung geblieben sind mir auch die Erlebnisse mit Nikolaus Harnoncourt und Jean-Pierre Ponnelle im Rahmen der Zauberflöte im Zürcher Opernhaus. Claus Helmut Drese war damals Intendant und offenbar hatte er einmal eine schlechte Erfahrung mit den Zürcher Sängerknaben gemacht und wollte daher für die Drei Knaben die Tölzer Sängerknaben engagieren. Viele Interventionen brachten ihn dann doch dazu, eine Arbeitsprobe mit Harnoncourt und den Zürchern zu organisieren. Ich war nicht dabei, aber es muss eine Katastrophe gewesen sein. Trotzdem einigte man sich schließlich darauf, dass die Tölzer die Premiere und die erste Serie singen sollten und wir die Wiederaufnahmen. Ich erinnere mich auch an eine Abendprobe in der Oper, bei der unglaublich dicke Luft war und bei der Ponnelle ständig herumschrie. Wir mussten funktionieren und es war knallhart, sonst war man draußen. Damals lernte ich, dass Qualität mit Arbeit verbunden ist, und dass manchmal auch harte Entscheidungen getroffen werden müssen, um die Qualität einer Aufführung nicht zu gefährden. Als ich in Paris 2014 die Zauberflöte dirigierte, sollte der Kinderchor der Pariser Oper zum Einsatz kommen. Das war jedoch leider aus Qualitätsgründen unmöglich, und ich musste auf den süddeutschen Aurelius Sängerknaben bestehen. Natürlich konnte ich die Enttäuschung des Pariser Kinderchors aus meiner eigenen Erfahrung gut nachvollziehen, aber letztlich sind die Dirigenten für die Qualität einer Aufführung verantwortlich.

      In Ponnelles Zauberflöte-Inszenierung durfte ich dann in späteren Vorstellungen den Ersten Knaben singen. Als ich viele Jahre später Harnoncourt wieder traf, erinnerte er sich noch daran. In der Zürcher Oper aufzutreten, war für mich als Kind natürlich etwas ganz Besonderes, und dann plötzlich auf dieser großen Bühne zu stehen, ein ganz merkwürdiges Gefühl, denn sämtliche Proben fanden ausschließlich auf der Probebühne statt. Man wurde dann einfach in ein Kostüm gesteckt und auf die Bühne geschickt. Ich wusste zwar, was ich zu tun und zu singen hatte, trotzdem war es schwindelerregend. Adrenalin schoss durch den Körper und plötzlich stand ich draußen. Auch an das ungewohnte Gefühl, das Publikum nicht zu sehen, erinnere ich mich noch. Davor hatte ich in Kirchen oder in Vortragssälen gesungen, wo man die Menschen sieht, aber an der Oper schaute ich plötzlich in ein schwarzes Loch und musste aufpassen, wenn ich mich auf der Bühne bewegte, nicht in den Graben zu fallen. Alles wahnsinnig aufregend! Ich glaube, es ging ganz gut, denn ich durfte mehrere Vorstellungen singen. Meine Mutter kannte den Tonmeister der Zürcher Oper, der ein ehemaliger Tänzer war. Er machte für sie von einer Vorstellung einen Mitschnitt. Jahre später hörte ich mir das dann auch an und bin zwar nicht unbedingt stolz darauf, aber immerhin: Mozart gut intoniert zu singen, ist bekanntlich wirklich nicht so einfach.

      Mit dem Chor auf Reisen zu gehen, genoss ich ebenfalls sehr. Wir sangen in Italien, Österreich und Ungarn – damals noch zur Zeit des Eisernen Vorhangs. Da es ein Austauschprogramm mit dem Kinderchor der Budapester Kodály-Schule gab, wohnte ich bei der Familie des dortigen Konzertmeisters. Das waren aufregende und schöne Zeiten.

      Dass man beim Musizieren aufeinander hören muss, lernte ich aber nicht nur im Rahmen des Chorsingens, sondern auch später in noch intensiverer Form im Gymnasium bei der Kammermusik. Mein Vater nahm mir damals das Versprechen ab, nie mit dem Klavierspielen aufzuhören. Heute ist es mir manchmal zu viel, aber als ich mit den Wiener Symphonikern Kammermusik spielte oder zum Beispiel Renée Fleming bei einem Rezital begleitete, merkte ich in den zwei Monaten davor, wenn ich wieder zu üben begann, wie wichtig es ist, sein eigenes Instrument weiter zu beherrschen und auch damit auf die Bühne zu gehen und die Nerven zu bewahren. Es ist einfach schön, selbst ein Instrument zu spielen! Es ist schön, für seine eigenen Töne verantwortlich zu sein und auch einmal nicht von anderen abhängig zu sein. Das, was ich mir vorstelle, direkt mit meinen eigenen Händen

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