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Büro als musikalischer Direktor der Opéra National de Paris, eine Position, die er bereits mit 35 Jahren angetreten hatte. Das von François Mitterrand initiierte und 1989 eröffnete Opernhaus, als Ergänzung zum berühmten historischen Palais Garnier entstanden, bietet enorme technische Möglichkeiten und hat das Opernleben von Paris grundlegend verändert.

      Ein Steinway-Flügel, eine Sitzgarnitur für Besprechungen, unzählige Bücher und Noten, eine Hi-Fi-Anlage, eine Kaffeemaschine und ein großartiger Blick über Paris prägen die Atmosphäre des großen, hellen Büros von Philippe Jordan. Klarheit, Weitblick und Stilgefühl zeichnen auch den Künstler aus, aber in den vielen Monaten, in denen ich ihn bei seiner Arbeit begleiten konnte, erlebte ich ihn auch nachdenklich, empfindsam, philosophierend, offen für Spiritualität, leidenschaftlich brennend für die Musik und fern jeder Selbstzufriedenheit. Und so wurde aus diesem Buch, das Musikliebhabern, gegenwärtigen und zukünftigen Konzert- und Opernbesuchern Einblicke in die Welt der Musik geben soll, ein sehr persönliches Dokument über die Entwicklung des Menschen und Musikers Philippe Jordan, seine Sicht auf Komponisten und die Realisierung ihrer Werke.

      Die Karriere des Schweizer Dirigenten, der auch Pianist, Kammermusiker und Liedbegleiter ist, verlief für unsere Zeit ungewöhnlich geradlinig, aber auch unglaublich schnell: Beginn der Laufbahn als Korrepetitor, mit 20 Jahren bereits die erste Festanstellung am Stadttheater Ulm, wo auch Herbert von Karajan begonnen hatte, es folgt ein Engagement als Kapellmeister und Assistent von Daniel Barenboim an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin. Bereits mit 27 Jahren wird er Chefdirigent des Grazer Opernhauses und des Grazer Philharmonischen Orchesters, die internationale Opernkarriere beginnt: Gastdirigate am Royal Opera House, Covent Garden, in London, an der Metropolitan Opera in New York, bei den Salzburger Festspielen, am Teatro alla Scala in Mailand, an der Wiener Staatsoper, an der Bayerischen Staatsoper in München etc.

      Philippe Jordan erzählt diesen Weg ganz anders: Er erzählt von »Fettnäpfchen«, in die er immer wieder getreten ist, von Lernprozessen, Erfahrungen, Enttäuschungen, wichtigen Begegnungen und auch von seiner Kindheit, in der die Wurzeln für alles Spätere liegen. Er erzählt von seinem 2006 verstorbenen Vater, dem Schweizer Dirigenten Armin Jordan, der unter anderem gleichzeitig mit Carlos Kleiber Kapellmeister am Opernhaus Zürich, Chefdirigent der Oper in Basel und vor allem – als Nachfolger von Horst Stein – zwölf Jahre lang Chefdirigent des Orchestre de la Suisse Romande (OSR) war. Armin Jordan galt, neben seiner Vorliebe für französisches Repertoire und die Wiener Klassik, als einer der wesentlichen Wagner-Dirigenten seiner Zeit. 1982 hatte er die musikalische Leitung des Parsifal-Films von Hans-Jürgen Syberberg inne, in dem er selbst auch den Amfortas spielte, 30 Jahre später debütiert sein Sohn Philippe mit Parsifal in Bayreuth.

      2009 wird Philippe Jordan musikalischer Direktor der Opéra National de Paris und macht nicht nur durch seinen Ring Paris unter anderem wieder zu einer Wagner-Stadt. Fünf Jahre später fällt die Lebensentscheidung, die Konzerttätigkeit, die er bereits beim Pariser Orchester sehr forciert hatte, zu einem »zweiten künstlerischen Standbein« zu machen. Jordan wird ab der Saison 2014/15 Chefdirigent der Wiener Symphoniker, ein renommiertes Spitzenorchester, das ein wesentlicher Teil des künstlerischen Lebens und auch der musikalischen Entwicklung des Dirigenten wird. Philippe Jordan wirft einen sehr persönlichen Blick auf jene Komponisten, denen er mit diesem Orchester Schwerpunkte gewidmet hat, erzählt vom Spannungsfeld zwischen Konzertpodium und Orchestergraben und von der Doppelfunktion als musikalischer Leiter einer Oper und eines Symphonieorchesters. Wenn dann zu dieser intensiven Tätigkeit noch die Einladung der Metropolitan Opera kommt, in New York eine Wiederaufnahme des kompletten Ring des Nibelungen von Wagner zu leiten, und daher drei Monate der Spielzeit für die »normalen« Verpflichtungen wegfallen und kompensiert werden müssen, wird die Belastung massiv. In dieser Saison fanden die vielen Gespräche für das vorliegende Buch statt. Eine echte Herausforderung! Doch dann kam die Corona-Krise, Opernvorstellungen und Konzerte wurden abgesagt und die Zeit konnte für vertiefende Arbeiten an diesem Buch genutzt werden.

      Wenn Philippe Jordan in der Saison 2020/21 sein Amt als Musikdirektor der Wiener Staatsoper antritt, hat er bereits viele Jahre Erfahrung in führenden Positionen hinter sich und bis zu siebzig verschiedene Opern dirigiert. Konsequente Arbeit an Klang und Stil war ihm immer wichtig, ebenso wie die geistige Durchdringung eines Werkes gemeinsam mit den Ausführenden. Was davon ist erlernbar, wie entsteht eine Klangvorstellung im Kopf, wie vermittelt er das, was ist die Rolle des Publikums, wie entsteht Klarheit oder Farbenreichtum, warum muss jedes Stück immer wieder neu gedacht werden? – Fragen, die jeden Konzert- oder Opernbesucher beschäftigen, und die Philippe Jordan hier betrachten will.

      Als der Künstler in einer für Schulklassen geöffneten Probe im Wiener Musikvereinssaal ein paar Takte eines Werkes immer wieder spielen ließ und an allen Details arbeitete, hörte man die Kinder murren. Der Dirigent drehte sich um und sagte lächelnd: »Ich bin nicht gemein, nur genau!« Wie aus diesem Handwerk und dieser Arbeit Musizierfreude entsteht, wie er es erreicht, die Musik sprechen zu lassen, auch davon handelt dieses Buch.

      Ein wesentliches Thema für Philippe Jordan ist immer wieder die Stille, der Raum, aus dem die Musik kommt. Fragen rund um den Zusammenhang zwischen Klängen, den Schwingungen der Stille und bewusst erlebter Gegenwart beschäftigen ihn schon seit seiner Jugend, Philosophie und Spiritualität sind ein wichtiger Grundton seines Lebens.

       Der Blick in eine andere Dimension

      Musik erinnert uns daran, dass es etwas gibt, das man mit dem Verstand nicht begreifen und auch nicht erklären kann. Etwas, das wir nicht greifen, nicht sehen können. Man kann Musik zwar analysieren, sie beschreiben, sie folgt auch bestimmten Regeln, aber in ihrem Wesen ist sie etwas Immaterielles. Musik wird physisch auf Instrumenten oder mit Stimmbändern hergestellt, vielleicht auf Papier notiert, trotzdem bringen uns die Frequenzen, die dabei übertragen werden, auf eine andere Schwingungsebene und verbinden uns mit einer anderen Dimension. Ich möchte Menschen den Blick in diese Dimension ermöglichen, sei es durch ein rauschhaftes Erleben oder durch die Einkehr in Stille. Musik ist in der Lage, uns den Klang der Stille und die Intensität des Augenblicks bewusst zu machen. Die Energie und die Emotion, die Musik in mir auslöst, möchte ich weitergeben. Wenn ich Musik mache, fühle ich mich am stärksten bei mir. Ich habe das Bedürfnis, mich durch Musik auszudrücken, mich durch Musik mitzuteilen. Mit Musik bin ich am authentischsten, mehr als mit Sprache oder anderen Mitteln der Kommunikation. Alles, was Musik mit mir macht, möchte ich mit Kammermusikpartnern, mit einem Orchester und natürlich mit dem Publikum teilen. Musik führt unterschiedliche Menschen, verschiedene Persönlichkeiten aus allen Kulturen zusammen, weil sie sich gemeinsam auf etwas einlassen wollen. Gemeinsam singen, gemeinsam spielen, gemeinsam tanzen – das alles verbindet Menschen. Diese Synchronisation ist intensive emotionale Kommunikation. Das Publikum ist ein ganz wichtiger Teil davon, denn die Aufmerksamkeit eines Publikums in einem stillen Saal zu erleben, ist eine Voraussetzung dafür, dass wir Musik machen können. Ich saß einmal in Bayreuth bei der Liebesszene von Tristan und Isolde hinter der Bühne, hörte diese unglaubliche Musik fantastisch gesungen, dirigiert und musiziert. Da verstand ich plötzlich, dass die Musik auch deshalb besonders spannend war, weil die Aufmerksamkeit drum herum so groß war. Die Stille des Publikums, die Konzentration aller Mitwirkenden, der Raum an Bewusstsein, der dabei entsteht, sind das eigentlich Spannende, das Magische. Wagner oder Mozart schaffen die Musik, um diesen Raum, diese Stille erlebbar zu machen. Auch wenn die Musik sehr laut ist, hat man 2000 Menschen in einem Saal, die durch ihre Stille und Aufmerksamkeit für ein Konzert oder eine Opernaufführung zu wichtigen Mitspielern werden.

      Jeder im Publikum nimmt etwas anderes wahr. Man erlebt sich dabei in einem Spiegel, hat die Möglichkeit, bewegt zu werden und darüber nachzudenken, was die Musik in einem auslöst. Menschen kommen dabei in verschiedene emotionale Zustände, in andere Dimensionen, um letztendlich näher zu sich zu kommen. Dabei wird man mit den schönen – aber auch den weniger schönen – Seiten in sich konfrontiert. Wenn ich zum Beispiel Musik von Johann Sebastian Bach höre, sortieren sich meine Gedanken und Gefühle, der Körper ist still und die verschiedensten Parameter können sich verknüpfen.

      Jeder, der selbst Musik macht, weiß, dass dabei die emotionale Intelligenz gefördert wird. Deshalb halte ich

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