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Salome immer wieder zurück. Das Orchester der Pariser Oper wiederum könnte man am ehesten als Synthese zwischen London und New York beschreiben – jedes dieser Orchester hat seine spezifischen Eigenheiten. So legt man den vielleicht längsten Weg zwischen der ersten Probe und dem Konzert oder der Vorstellung wahrscheinlich mit dem Scala-Orchester zurück. Auch Daniel Barenboim, der dort mehrere Jahre Chef war, bestätigte mir das. Beim Konzert kann das Orchester wahrhaftig zaubern, aber zu Beginn schauen alle erst einmal, wie sich etwas entwickelt – das darf man dann als junger Dirigent keinesfalls persönlich nehmen! In Mailand debütierte ich – wie damals in Zürich – auch zunächst mit einem Konzert im Herbst 2008 und dirigierte erst drei Jahre später zum ersten Mal eine Oper – den Rosenkavalier – an diesem legendären Ort. Leider kam es später nie mehr zu einer Rückkehr, weil meine beiden Positionen in Paris und Wien praktisch keinen Platz für Gastproduktionen ließen.

      Das Orchester, von dem ich als junger Dirigent vielleicht am meisten – in Oper und Konzert – gelernt habe, sind die Wiener Philharmoniker. Als absolutes Toporchester haben sie durch den Repertoirebetrieb in der Wiener Staatsoper eine unglaubliche Flexibilität und erfassen demgemäß sofort die unterschiedlichsten Situationen. Sehr schnell bekommt man auch Reaktionen, Vorschläge und Fragen. Die Zusammenarbeit mit Musikerinnen und Musikern ist, wie sie es auch idealerweise mit Sängern sein soll: ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Auch das ökonomische Proben habe ich von den Wiener Philharmonikern gelernt – das punktuelle Arbeiten an zwei, drei Stellen, das sich dann ganz selbstverständlich auf den ganzen Satz übertragen lässt. Ebenfalls sehr wichtig war für mich die Erfahrung, Kammermusik mit diesen Ausnahmemusikern zu machen. Gemeinsam mit Ernst Ottensamer, Franz Bartolomey und Rainer Küchl spielte ich das Quartett vom Ende der Zeit von Olivier Messiaen, das ich zwar davor schon mehrfach gespielt hatte, aber mit diesen Musikern kam es dann noch einmal auf eine ganz andere Ebene. Ich hoffe, dass wir an diese intensive und wunderbare gemeinsame Arbeit in Zukunft anschließen können.

      Im Haus am Ring, der Wiener Staatsoper, debütierte ich ja bereits im Sommer 1999 im Alter von 24 Jahren mit der Lustigen Witwe, allerdings nicht mit dem eigentlichen Orchester der Wiener Staatsoper – die Wiener Philharmoniker sollte ich erst bei Così fan tutte 2004 in Salzburg kennenlernen. Direktor Holender bezeichnete diese Operettenproduktion mir gegenüber als eine »öffentliche Generalprobe«. Insgesamt waren es neun Vorstellungen, hauptsächlich für Touristen, im Graben saß das Radio-Symphonieorchester Wien und es war eine sehr entspannte Situation. Ioan Holender war sehr früh auf mich aufmerksam geworden. Durch meine Ernennung in Berlin durch Daniel Barenboim war mein Name bei den Intendanten plötzlich sehr präsent, und Holender rief eines Tages meinen Vater an und sagte: »Sag mal, man hört ja so viel Gutes über deinen Sohn. Dass er begabt sei, aber nicht nur begabt, sondern dass er auch eine gewisse Sensibilität und Poesie beim Dirigieren hätte.« In meinem letzten Jahr in Ulm übernahm ich – ohne Proben – Fidelio, ein Werk, das ich davor noch nie dirigiert hatte. Ioan Holender nahm den Nachtzug von Wien nach Ulm und schaute sich die Vorstellung höchstpersönlich an. Welcher Direktor macht das heutzutage? Intendanten schicken meist ihren Adlatus, einen Assistenten oder Agenten zu der Aufführung und lassen sich berichten.

      Nach der Lustige Witwe-Produktion im Sommer 1999 begann Holender von Jenufa zu sprechen, von einer neuen Zauberflöte und von Hoffmanns Erzählungen. Er bemühte sich sehr, hatte einiges mit mir vor, aber ich wollte damals zum Beispiel nicht in Wien Hoffmanns Erzählungen ohne Probe dirigieren, weil ich das Stück nur in einer anderen Fassung und auf Deutsch gemacht hatte. Andere Angebote von ihm gingen aus Termingründen nicht und schließlich sagte er: »Ich mache jetzt gar kein Angebot mehr. Sie wollen ja nicht!« Aber letztlich klappte doch die Neuproduktion von Werther mit der jungen Elīna Garanča und dem ebenfalls noch jungen Marcelo Álvarez und das wurde dann ein sehr schöner Einstand an der Wiener Staatsoper. Später kamen auch die Neuproduktionen von Mozarts Entführung aus dem Serail (diese Oper wurde im Burgtheater realisiert) und von Capriccio von Richard Strauss dazu sowie Vorstellungen im laufenden Repertoire von Figaro, Rosenkavalier, Don Carlos und La Bohème. Grundsätzlich habe ich diese Repertoireserien sehr positiv in Erinnerung, auch weil ich meistens eine Orchesterprobe zugestanden bekam, was ja in Wien bei diesen Werken keine Selbstverständlichkeit ist. Solche Orchesterproben finden in der Regel wenige Tage vor der Vorstellung statt, ein paar Mal musste ich allerdings am Tag nach einer Aufführung die Sänger noch einmal zu einer musikalischen Probe bitten, wie zum Beispiel bei der Don Giovanni-Serie, weil sich wegen der »Kostümschlacht« der damaligen Inszenierung in der ersten Aufführung kaum jemand richtig aufs Singen konzentrieren konnte. Mein bisher letzter Auftritt im Haus am Ring war dann im Juni 2008 eine Vorstellung von Capriccio, der letzten der schon erwähnten Premierenserie. Wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass ich meine nächste Aufführung mit diesem Orchester als Musikdirektor des Hauses leiten würde, hätte ich ihn wohl für verrückt gehalten.

       Oper, die größte Form der Kunst

      Wenn in der Oper alles stimmt – Sänger, Dirigent, Orchester, Chor, Regie, Bühnenbild und manchmal auch noch Tanz –, dann ist sie für mich die größte Kunstform überhaupt. So viele Elemente treffen zusammen, so viele Künste wirken zusammen und müssen aufeinander abgestimmt sein. In den bedeutendsten Werken entsteht dann eine Überhöhung des Textes, der Musik und des Theaters, die es sonst nirgends gibt und geben kann. Immer wieder wurde die Oper totgesagt, aber es gibt sie immer noch, und solange wir klassische Musik spielen, wird es sie auch geben. Menschen gehen in die Oper, weil dort Emotionen möglich werden, die es nach meinem Empfinden in keiner anderen Form der darstellenden Kunst gibt. Wenn Tosca verzweifelt Scarpia »anschreit«, liegt darin eine bezwingende Emotionalität, die durch den Sog der Stimme und der Musik entsteht und eine Verbindung von Publikum und Bühne schafft, die einzigartig ist. Dieser Magie können sich die wenigsten, die sich einmal darauf eingelassen haben, entziehen. Das Genre Film hat möglicherweise noch eine ähnliche Wirkung. Auch das ist ein Gesamtkunstwerk, bei dem übrigens die Musik immer wieder eine ganz wesentliche Rolle spielt.

      Oper war und ist aber eine teure Kunstform. Sie ist, um ihre volle Wirkung entfalten zu können, mit großem Aufwand verbunden, aber eine Gesellschaft möchte und muss sich diesen Aufwand leisten.

      Gleichzeitig muss sich Oper aber immer auch »verkaufen« und so gibt es – wie beim Film – Anspruchsvolles ebenso wie Unterhaltendes. Es geht um den Menschen und Menschheitsthemen in jeder Form: um hohe Politik im Don Carlos; Kapitalismus, Industrialisierung und Naturvernichtung im Ring; es geht um Macht und Liebe, um menschliche Schwächen, um banale Themen, die einfach einen schönen Lustspielabend ermöglichen, und um Komödien, die in der Leichtigkeit die größte Tiefe haben, wie Falstaff, Don Giovanni oder Meistersinger. Alle unsere humanistischen Werte werden in dieser Kunstform vereint.

      Wir leben heute in einer sehr visuellen Zeit, was sich oft auch in Operninszenierungen widerspiegelt, und man muss aufpassen, dass unsere Produktionen nicht – im Extremfall – zu Installationen oder reinen Bilderfluten verkommen, sondern immer noch wirklich die Geschichte erzählen. Ein Teil des Publikums mochte schon immer eine gewisse Opulenz, aber für mich ist weniger meist mehr. Es gilt, das Wesentliche eines Werkes herauszuholen und sich nicht in Äußerlichkeiten zu verlieren: Peter Brook, Patrice Chéreau, Klaus Michael Grüber – das waren Regisseure, die vom Wort ausgehen und die mir nahestanden. Stéphane Lissner, der in Paris sieben Jahre lang mein Intendant war, ist kein Theaterdirektor, der nur dem Publikum gefallen will. Er kommt vom Sprechtheater und praktiziert seit dreißig Jahren einen intellektuellen, minimalistischen Ansatz und mit einigen Regisseuren hat das auch sehr gut funktioniert. Für einen Teil des Publikums mag diese Sicht vielleicht zu spröde oder zu intellektuell wirken, aber es funktionierte, weil alle Produktionen eine spezifische Ästhetik hatten und immer gut ausschauten. Aber auch bei Stéphane Lissner entwickelte sich die Oper leider in den letzten Jahren immer mehr zum Visuellen hin, weg von einem Bondy oder Grüber, für die eine starke Personenregie im Zentrum stand.

      Damit die Kunstform Oper ihre Faszination behält, braucht es absolute Ausgewogenheit aller Komponenten, wobei die Musik sozusagen das Rückgrat ist. Ich bin der Letzte, der Vorstellungen das Wort redet, die man eher als Konzerte in Kostümen

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