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meiner Pariser Zeit – noch einmal zurückkehrte.

      Ich denke, dass ich mich in dieser Zeit sowohl als Musiker als auch menschlich entscheidend weiterentwickelte. Ich sah, dass auch andere Angst hatten, und lernte, wie man beruhigend einwirkt. Ich lernte auch meine eigenen Grenzen besser kennen und konnte mich zusehends darauf einstellen. Auch die Spiritualität, die mich als Jugendlicher bereits interessiert hatte, entdeckte ich für mich in dieser Phase neu.

      Insgesamt waren diese sechs Jahre, in denen ich viel reiste, viel von der Welt sah, die unterschiedlichsten Orchester und ganz wunderbare Menschen kennenlernte, entscheidend für meine weitere Entwicklung. Ich würde auch heute jedem jungen Dirigenten empfehlen, eine fixe Position als Kapellmeister in einem Haus wie Graz, Wiesbaden oder Hannover anzunehmen, aber auch gleichzeitig darauf zu achten, nicht immer nur »im eigenen Saft zu schmoren,« sondern über den Tellerrand zu schauen und andere Möglichkeiten wahrzunehmen, wenn sie sich bieten. Danach aber wieder zurückzukehren, seine Arbeit zu machen, am Boden zu bleiben und nicht zu früh ein großes Orchester oder Haus zu übernehmen.

      Eine weitere wichtige Begegnung bot sich mir 2006, als Alexander Meraviglia-Crivelli, der Intendant des Gustav Mahler Jugendorchesters, mir die Option in Aussicht stellte, mit den jungen Musikerinnen und Musikern dieses Klangkörpers auf Tournee zu gehen. Der Übervater und Gründer dieser Institution, Claudio Abbado, befasste sich zu dieser Zeit schwerpunktmäßig schon mehr mit dem Lucerne Festival Orchestra, war aber natürlich in wichtige künstlerische Entscheidungen – wie die Wahl eines Dirigenten – involviert und gab im Hinblick auf mich seinen Segen. Das Angebot freute mich sehr und war eine große Ehre, weil ich mit dieser Aufgabe in einer Reihe mit Claudio Abbado, Bernard Haitink, Seiji Ozawa und vielen anderen großen Dirigenten stand. Mein Engagement bildete einen großen Vertrauensvorschuss und eine Ausnahme, weil die Jungen bisher immer von viel älteren und erfahreneren Dirigenten profitiert hatten. Ich war damals knapp über dreißig und die ältesten Musiker achtundzwanzig Jahre alt. Dieses Orchester war damals für mich auch deshalb so wichtig, weil man als junger Dirigent von kaum einem Profiorchester eine solche Liebe und ein so unbedingtes Vertrauen entgegengebracht bekommt. Jedes Profiorchester hat seinen Charakter, seinen Klang, seine Psychologie und seine spezifische Reaktionszeit.

      Ich dirigierte damals meine erste Fünfte Mahler und die Jungen warteten mit großen Augen auf jedes noch so kleine Zeichen, das man ihnen gab, ganz so, als schriebe man als Dirigent auf ein weißes Blatt Papier. Sie hätten vorbehaltlos alles mitgemacht, ohne skeptisch zu fragen, was denn der Dirigent da nun wieder wolle«. Ich lernte damals ein Gefühl kennen, das man später mit einem Profiorchester empfindet, mit dem man bereits sehr vertraut ist und bei dem sich im Laufe der Zeit gegenüber dem Dirigenten diese Unbedingtheit bei der Arbeit einstellen kann.

      Ein Jahr später war ich ein zweites Mal mit dem Gustav Mahler Jugendorchester auf Tournee, diesmal mit Thomas Hampson als Solisten. Ich kannte ihn schon aus Zürich, von der Arbeit mit meinem Vater und aus Berlin, wo er mit Daniel Barenboim eine Tannhäuser-Aufnahme und ein Konzert gesungen hatte. Damals kam er in meine Così fan tutte-Vorstellung und fand sie wunderbar. Bei meinem Abschiedskonzert in Graz machte er mir die Freude, mit mir mein erstes Lied von der Erde von Gustav Mahler zu machen. Ich war gut vorbereitet, aber dieses Werk war zunächst für mich wirklich nicht leicht. Hampson war offen für meine Tempi, aber in einer Orchesterprobe tappte ich im letzten Satz – bei der Verabschiedung der Freunde – in die Tragikfalle. Alles wurde zu langsam, zu schwer. Er brach ab, vermittelte mit Gesten, wie er sich das anders vorstellte, wollte es positiver, freundlicher, »vielleicht ein bisschen Schubert’scher«, und sofort wussten wir alle, worauf er hinauswollte. Hampson ist nicht nur Sänger, er ist ein fantastischer Allroundkünstler. Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden und sind heute befreundet.

      Im Rahmen der Tournee mit dem Jugendorchester standen unter anderem Mahlers Des Knaben Wunderhorn-Lieder auf dem Programm. Ich konnte damals, ebenso wie das Orchester, mit den schweren Wunderhorn-Liedern noch relativ wenig anfangen. Bei der Generalprobe des Liedes Revelge, ein Militär- und Kampflied, wie ich damals dachte, unterbrach Hampson, der ein ganz großer Mahler-Fachmann ist, und rief: »Jetzt sind wir im Zentrum von Mahlers Seele. This is too nice! Das muss wehtun, das sind Knochengerippe!« Er brachte uns dazu, jede Note mit Wut und mit Anklage zu spielen. Nach der Probe waren wir alle völlig fertig und er sagte nur: »Welcome to Mahler’s world.« Das werde ich nie vergessen. Nach diesem Erlebnis dirigierte ich auch die sechste Symphonie von Mahler deutlich anders.

      Kritik von erfahrenen Künstlern ist immer wertvoll, aber manchmal kommt es auch auf den Augenblick und die Art an, wie sie angebracht wird. Als ich im Herbst 2006 die schon erwähnte Produktion von Busonis Doktor Faust in Zürich mit Thomas Hampson in der Titelrolle leitete, ein Stück, das ich zuvor schon in Ulm dirigiert hatte, spielte ich in der ersten Bühnenorchesterprobe zunächst den Anfang einmal durch, ohne zu unterbrechen. Es war natürlich, wie so oft bei Probenbeginn, noch etwas zu laut, doch Thomas rief sogleich aus dem Zuschauerraum: »So macht das keinen Sinn, Philippe, wenn das so weitergeht!« Da drehte ich mich um und entgegnete ihm: »Bitte lass uns erst einmal in Ruhe arbeiten. Wir haben das gerade erst ein Mal durchgespielt.« Er war wütend, ich war wütend, aber als ich mit der Probe fortfuhr, entwickelte sich alles sehr bald in die richtige Richtung. Auch Hampson musste anschließend konzedieren, dass es gut werden würde, woraufhin ich ihm damals sagte: »Du musst mir auch vertrauen. Du machst deine Arbeit, ich mache meine Arbeit, jeder macht’s auf seine Art und Weise – und wie du gesehen hast: Es wird.« Inzwischen gibt es ein wirklich großes gegenseitiges Vertrauen zwischen uns, aber ich denke, dass auch ein junger Dirigent, der sicher noch viel zu lernen hat, manchmal die Grenzen ziehen muss.

       THOMAS HAMPSON:

       »Ich kenne Philippe Jordan seit vielen Jahren. Was jeden, der mit ihm arbeitet, sofort überwältigt, ist seine unglaubliche Musikalität. Er atmet Musik, er denkt Musik. Er ist sehr klug und hat die musikalischen Fähigkeiten und die Intelligenz, die man sich wünscht. Aber noch weit wichtiger ist seine Leidenschaft, Musik zu machen, die sehr ansteckend ist.«

       »Über unsere musikalische Beziehung hinaus verbindet uns eine echte Freundschaft, die ich sehr schätze.«

      (Zitate aus der Dokumentation »Philippe Jordan – Zum Dirigieren geboren« s. S. 19)

      Nach der zweiten Tournee mit dem Gustav Mahler Jugendorchester reiste ich nach New York, um an der Metropolitan Opera Le nozze di Figaro zu dirigieren. Bei diesem Orchester hat man zunächst das Gefühl, einen Ferrari zu fahren, aber nach dem bedingungslosen Vertrauen des Jugendorchesters merkte ich plötzlich umso deutlicher, dass mir sogar dieses wunderbare Met-Orchester nur bis zu einem gewissen Punkt folgte. Es spielte jedes Tempo und jede Dynamik, die ein Gastdirigent verlangt und zeigt, aber spezielle Farben, besonders bei Mozart, der in diesem riesigen Haus besonders schwierig zu realisieren ist, gaben sie damals nur James Levine. Wenn ich weitergehen wollte in der Charakteristik, war es wie eine Blockade. Valery Gergiev war damals vielleicht der Einzige, für den sie bereit waren, auch anders zu spielen und bei dem sie nicht nur wie unter Levine klangen. Gergiev war aber damals auch Erster Gastdirigent, sie mochten ihn und natürlich hatte er auch schon ein ganz anderes »Standing«. Als ich versuchte, einen Schritt weiterzugehen und auf meinen Vorstellungen insistierte, machte ich mich prompt unbeliebt. Mir war es einfach zu wenig, wenn alle nur schön zusammenspielten und auf Laut und Leise reagierte. Beim Hinausgehen hieß es dann: »Are you enjoying yourself? It’s a great band, isn’t it?« Natürlich ist es ein großartiges Orchester, aber die Musiker schienen damals nicht bereit, mit mir einen Schritt weiter zu gehen. Wahrscheinlich war ich einfach zu ungeduldig – sowohl mit dem Orchester als auch mit mir.

      Mein Debüt an der Met war bereits 2002 mit der Fledermaus. Prinzipiell liebe ich Operette, meine Mutter kommt ja aus Österreich, mein Vater hat mehr als dreißig Operetten dirigiert – ich bin also damit aufgewachsen. Mit fünfzehn Jahren sah ich in der Volksoper in Wien Die Fledermaus, mein zweites Stück in Ulm war Wiener Blut, viele Operetten folgten und meine erste Premiere war Der Vogelhändler. Das ist alles grandiose Musik und ich liebe den Wiener Humor.

      Bei meinem Debüt in

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