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Leopold Figl. Birgit Mosser-Schuöcker
Читать онлайн.Название Leopold Figl
Год выпуска 0
isbn 9783902998651
Автор произведения Birgit Mosser-Schuöcker
Жанр Афоризмы и цитаты
Издательство Bookwire
Josefa Figl stellt einen dampfenden Teller auf den großen Holztisch und reißt ihren Sohn damit aus den Gedanken. „So, Poldl, und jetzt erzähl, was du auf dem Herzen hast!“
Als Leopold Figl den Hof wenig später verlässt, ahnt er nicht, dass dies der letzte Besuch für fünf lange, bittere Jahre gewesen ist. Schon längst steht der Reichsbauernbunddirektor auf der schwarzen Liste der Nazis für den Fall ihrer Machtübernahme in Österreich. Durch Reden wie jene, die er am 6. März 1938 hält, hat er sich den Hitler-Anhängern verhasst gemacht.
»Den Nationalsozialisten geht es nicht um eure blauen Augen und eure blonden Haare. Es geht ihnen um unsere Wälder, denn sie brauchen Holz. Es geht ihnen um unseren Erzberg, denn sie brauchen Eisen. Es geht ihnen um unser Gold und um unsere Devisenschätze. Wenn ihr dem Nationalsozialismus huldigt, dann seid ihr nächstes Jahr im Krieg. Und wer von euch noch heimkommt, das weiß ich nicht!«11
Worte, die sich auf tragische Weise bewahrheiten werden.
Der 6. März ist ein langer Tag für Leopold Figl. Nach seiner Ansprache in Loosdorf, dem Kurz-Besuch bei seiner Mutter in Rust und einer Besprechung im Kanzleramt sitzt er noch mit Freunden in seiner Wohnung in der Kundmanngasse zusammen. In der holzgetäfelten Bauernstube, die Figl eigens für seine Wohnung anfertigen ließ, drängt man sich bis spät in die Nacht um den wuchtigen Holztisch und spricht über die Heimat. Die Regierung steht mit dem Rücken zur Wand, das wissen alle Anwesenden. Auch Julius Raab, der väterliche Freund aus der Gymnasialzeit, ist dabei. Der Sohn eines Baumeisters wurde vor Kurzem zum Handelsminister ernannt. Die Stimmung ist gedrückt. Was wird werden? Die Befürchtungen, die Vermutungen gehen auseinander. In einem sind sich die Männer einig: Österreich muss weiterleben. Julius Raab, der gerne dichtet, fasst in Reimform, was wohl viele der Anwesenden an diesem Abend fühlen:
»Am Anfang des März
da geht es um Österreich.
Wir bleiben die alten fürs Heimatreich.
Mögen viele sich drehen,
mögen manche sich neigen,
mag alles vergehen,
Österreich muss bleiben.
Rot-weiß-rot bis in den Tod
ist nicht nur ein schales Wort,
ist unser Sinn, ist unser Hort.
Ist Österreich nun, für das wir stehen,
ist die Heimat, für die wir leben.«
Es ist der letzte Eintrag in das Figl’sche-Gästebuch für lange Zeit. Der Hausherr wird in den nächsten Jahren keine Gelegenheit haben, Gäste zu empfangen.
Auch wenn es spät wird an jenem Sonntagabend, am nächsten Morgen muss jeder wieder auf seinem Posten sein. Es sind hektische Tage. Am 7. März werden den Arbeiterführern freie Versammlungen gestattet. Erst jetzt, viel zu spät, versucht der Kanzler, dem Feind aus dem blutigen Jahr 1934 die Hand zu reichen. Man braucht sie jetzt, die »Roten« und die Kommunisten. Am 9. März gibt Kanzler Schuschnigg bekannt, dass er bereits am kommenden Sonntag, den 13. März, das Volk darüber abstimmen lassen werde, ob es ein »freies und deutsches, unabhängiges und soziales, ein christliches und einiges Österreich« wolle oder nicht. So gut er kann, unterstützt Leopold Figl den Kanzler. Er wendet sich mit einem Aufruf an die Bauernschaft, der Heimat treu zu bleiben. »Ich werde den Tag niemals vergessen, als wir am 10. März 1938 die Landesbauernräte, unsere Funktionäre und Mandatare im Landhaus zusammenriefen, um ihnen zu sagen: Es geht um Sein oder Nichtsein Österreichs!«, wird Leopold Figl später berichten.12
Freitag, 11. März 1938. Der Niederösterreichische Bauernbund hat zu einer Massenkundgebung in den Sophiensälen aufgerufen. Die Bauern sollen vor dem Bundespräsidenten und dem Bundeskanzler ihre Bereitschaft zur Volksabstimmung demonstrieren. Tausende Bauern sind erschienen. Sie stauen sich auf den Straßen, da der Veranstaltungsort bereits überfüllt ist. Doch alles kommt anders als geplant. Weder Miklas noch Schuschnigg erscheinen, dafür erhält der Reichsbauernführer einen Anruf. Leopold Figl erinnert sich: »Schuschnigg sagt mir: ›Figl, der Bundespräsident kann nicht kommen. Und ich kann auch nicht kommen. Aber komm mit Reither sofort zu mir.‹ Ich sage: ›Aber Kurt, das ist doch unmöglich, es sind über 10 000 Bauern hier.‹ Da sagt er: ›Freund, es tut mir leid, nimm Reither und komm’ sofort zu mir. Auf Wiedersehen.‹ […] Auf dem Weg hab ich zu Reither gesagt: ›Es wird zum Krachen kommen.‹«13
Im Kanzleramt erklärt der Kanzler dem Niederösterreichischen Landeshauptmann, dem Reichsbauernbundführer und den anwesenden Ministern die ausweglose Lage. Seyß-Inquart ist soeben aus Berlin zurückkehrt: Der »Führer« verlangt die Abberaumung der Volksabstimmung innerhalb von zwei Stunden. Noch weigert sich der Kanzler, noch hofft man auf die Unterstützung des Auslandes. Seit 20 Jahren bestehen die Sieger des Ersten Weltkrieges darauf, dass Österreich – der Rest, wie es Georges Clemenceau ausdrückte – ein selbstständiger Staat bleiben muss. Kein Anschluss an Deutschland, das war der Richtspruch der ehemaligen Entente. Jetzt steht die Macht des Reiches gegen die Unabhängigkeit Österreichs, der »Führer« will seine Heimat heimholen. Wird das europäische Ausland helfen? Der 11. März ist von hektischen Telefonaten erfüllt. Nachmittags haben Figl und Reither einen Termin im Hotel Meissl & Schaden, besonders verdienten Bauernbundfunktionären sollen Orden verliehen werden. Die geplante Zeremonie entbehrt nicht einer typisch österreichischen Mischung aus Tragik und Komik: Die Erste Republik steht vor dem Untergang, aber bevor sie untergeht, werden noch rasch einige Orden verliehen. Doch kaum angekommen, werden Figl und Reither wieder ins Kanzleramt zurückbeordert.
Ein letzter Versuch: 11. März 1938
Mit einer wütenden Handbewegung lässt Leopold Figl den Hörer auf das große, schwarze Telefon krachen. Wieder nichts! Er weiß nicht mehr, wie viele Telefonate er heute schon geführt hat. Mit Rom, mit London, mit Paris. Alle, alle waren ergebnislos. Manche ließen sich verleugnen, andere waren mutig genug, es auszusprechen: Nein, man könne nichts tun. Nicht gegen den allmächtigen „Führer“, nicht für das ohnmächtige Österreich. Den Kollegen, die genauso hektisch telefonieren, geht es nicht besser. Manchmal hört Leopold Figl Gesprächsfetzen, manchmal wiederholt ein fassungsloser Minister das soeben Gehörte: „Keine Ermutigung“, „Zeitgewinn“ oder „nicht erreichbar“. Auch auf Italien, das sich bislang als Freund und Beschützer Österreichs gebärdet hat, ist kein Verlass. Der italienische Außenminister Ciano lässt ausrichten, dass er „nichts dazu zu sagen habe“. Er folgt damit dem „Duce“, der der armen Witwe des ermordeten Dollfuß auf den Kopf zusagte, dass er nichts unternehmen werde.
Leopold Figl nimmt seine Brille ab und vergräbt das Gesicht in seinen Händen. Das ist das Ende. Die Welt interessiert sich nicht für das Schicksal Österreichs. Niemand hilft. Das kleine Österreich ist keinen Krieg wert. „Entschuldigen S’, Herr Ingenieur, aber wir müssen da ein Kabel verlegen. Der Herr Bundeskanzler hält eine Ansprache!“, sagt ein Kanzler-Sekretär und deutet an, dass er Platz machen soll.
»Und zum Schluss musste g’schwind ein Mikrofon her, und Schuschnigg hat die Abschiedsrede gehalten. Wir waren einsam und verlassen. Ich werde das nie vergessen. Und ich habe nach 1945 als Kanzler des Öfteren den Großmächten gesagt: ›Das, was ihr damals versäumt habt, müsst ihr jetzt gut machen.‹«14 Der ehemalige »Schutzhäftling« ist einer der wenigen österreichischen Politiker, der es wagen kann, den Alliierten einen Vorwurf zu machen.
An jenem schicksalshaften 11. März ist Leopold Figl also unter den Zuhörern im Kanzleramt, als Kurt von Schuschnigg ins Mikrofon spricht, dass die Österreicher der »Gewalt weichen« und dass man »auch in dieser ernsten Stunde nicht deutsches Blut zu vergießen gesonnen« sei. Vermutlich haben ihn die Worte des Kanzlers, wie Millionen Menschen, tief bewegt. Nachdem das »Gott schütze Österreich« verhallt ist, verlassen Figl und Reither das Kanzleramt. Hier gibt es nichts mehr zu sagen, nichts mehr zu tun. Jeder muss jetzt auf seine Weise mit dem Kommenden, dem Unausweichlichen, zurechtkommen. Automatisch lenken die beiden Niederösterreicher ihre Schritte in die Bauernbund-zentrale in der Schenkenstraße. Die Funktionäre erwarten sie schon mit hängenden