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von einem Dachdeckergehilfen, den er verteidigte, weil er seinen berufsmäßigen Zugang zu Wohnhäusern für Diebestouren missbraucht hatte. Nachdem Dr. Stern vor Gericht eine Notlage konstruierte, die man als mildernden Umstand werten sollte, fragte der Vorsitzende nach dem Wochenverdienst des Dachdeckers. Worauf dieser eine Summe nannte, die den Richter staunen ließ: »Das ist ja mehr als mein Monatsgehalt!«

      »Natürlich, Herr Rat«, argumentierte der Angeklagte, »aber i arbeit ja was!«

      Im hohen Alter schlief Stern zuweilen während der Verhandlungen ein, wachte aber stets dann auf, wenn es darum ging, seinen Mandanten mit einem brillanten Plädoyer vor einer hohen Strafe zu bewahren. Am Schluss forderte er die Geschworenen auf, dem Angeklagten zu einem Freispruch zu verhelfen, da dieser garantiert schuldlos sei. Dies müsse man einem greisen Anwalt glauben, »dessen nächster Prozess schon vor dem Jüngsten Gericht stattfinden« würde, da er bereits »mit einem Fuß im Grab« stünde. In diesem »stand« er dann rund zwanzig Jahre, in denen zahllose Geschworene Tränen in die Augen schossen. Mit ähnlichen Worten rettete Stern auch eine der Abtreibung verdächtigte Hebamme vor der sicheren Verurteilung. Obwohl viele Indizien gegen die »Engelmacherin« sprachen, gelang es ihm einen Freispruch zu erwirken, weil die Abtreibungen, wie Stern behauptete, nie stattgefunden hätten. Leider erklärte die Frau dem Richter zum Entsetzen ihres Advokaten nach dem Ende des Prozesses: »Vielen Dank, Herr Rat! Und ich werd’s auch sicher nimmer mehr machen!«

      Stern war einer von dreißig jüdischen Anwälten, die nach 1938 als Rechtskonsulenten »nichtarische Klienten« vertreten durften. Dies verdankte er seiner nichtjüdischen Frau Edith, die sich weigerte, sich von ihm scheiden zu lassen, und ihn damit vor der sicheren Verfolgung schützte.

      Nach dem Krieg erlangte Dr. Stern Ansehen als Anwalt prominenter Klienten, aber auch in spektakulären Strafprozessen. Das bekannteste Stern-Zitat ist auf seinen Sohn Peter, den sogenannten »jungen Stern«, bezogen, der in jenen Tagen auch schon um die sechzig war, nicht jedoch über das Verteidigertalent seines Vaters verfügte. Ich habe diese Geschichte schon geschrieben und in Lesungen erzählt, sie ist aber so pointiert, dass ich sie auch hier nicht auslassen möchte:

      Als der nun 88-jährige Michael Stern gefragt wurde, wie lang er noch als Anwalt tätig sein würde, antwortete er, sorgenvoll in die Zukunft blickend: »Fünf Jahr muss ich noch arbeiten, bis der Bub in Pension gehen kann.«

      Der alte Stern verfehlte dieses Ziel um nur wenige Monate, er lebte (und verteidigte) noch viereinhalb Jahre, ehe er am 2. Dezember 1989 im Alter von 92 Jahren in seiner Kanzlei starb.

      NACH DER LAWINE ZUM OPERNBALL

      Abwechslungsreicher Berufsalltag

      Das Jahr 1973 begann mit einer der schlimmsten Lawinenkatastrophen der österreichischen Geschichte. Das Unglück ereignete sich in Gerlos in Tirol, wohin ich mit einem Fotografen fuhr, um von 25 deutschen Urlaubern zu berichten, die beim Aufstieg auf die 2300 Meter hohe Kirchspitze von einer Lawine erfasst wurden. Für zehn von ihnen kam jede Hilfe zu spät.

      Über Kriminal- und Unglücksfälle oder Naturkatastrophen, die Menschenleben fordern, schreiben zu müssen, ging mir sehr nahe. Vor allem, wenn man vor Ort mit den Angehörigen der Opfer zusammentraf. Einer Witwe zu begegnen, die sich am Morgen noch von ihrem Mann verabschiedet hatte, der am Abend dann tot war – das kann niemanden kalt lassen. Manche Angehörige wollten nicht mit uns sprechen, anderen war es ein Anliegen, ihrem Mann, ihrem Sohn oder Vater durch einen Zeitungsartikel ein Andenken zu bewahren. Alle standen in diesen ersten Stunden unter Schock, wobei es für Journalisten wichtig ist, sich so weit wie möglich in die Psyche eines vom Schicksal hart getroffenen Menschen versetzen zu können.

      Wie abwechslungsreich mein Berufsleben damals war, erkennt man auch daran, dass meine nächste Aufgabe, gleich nach der Katastrophe im Tiroler Zillertal, die Berichterstattung vom Wiener Opernball war – der in jenen Jahren noch völlig lugner- und somit skandalfrei war. Künstler, Staatsmänner und Sportler wie Leonard Bernstein, Herbert von Karajan, Curd Jürgens und Franz Beckenbauer standen im Mittelpunkt der Feste, es kamen Prinz Philip von Großbritannien, der französische Ministerpräsident Jacques Chirac, Bayerns Franz Josef Strauß und der deutsche Verleger Axel Springer, von dem ich nicht ahnen konnte, dass er zwei Jahre später mein neuer Chef sein würde. Schau ich mir das Theater um die heutigen Opernbälle an, dann habe ich die damaligen in äußerst angenehmer Erinnerung.

      Im Nahen Osten brach 1973 der Jom-Kippur-Krieg aus. Das World Trade Center in New York wurde eröffnet. Konrad Lorenz erhielt den Nobelpreis für Medizin. Carl XVI. Gustaf folgte dem verstorbenen Gustav VI. Adolf als König von Schweden. Es starben die Politiker Lyndon B. Johnson und David Ben Gurion, der Maler Pablo Picasso, der Regisseur John Ford, die Schriftsteller Ingeborg Bachmann und Karl Heinrich Waggerl, die Schauspieler Lex Barker, Anna Magnani, Willy Fritsch, Willy Birgel und der Leichtathlet Paavo Nurmi.

      HENRY KAM OHNE KRIEGSERKLÄRUNG

      In Kissingers Geburtsstadt Fürth

      Als Präsident Richard Nixon in diesem Jahr seinen Berater Henry Kissinger zum Außenminister der Vereinigten Staaten ernannte, war das ein Grund für mich, nach Fürth bei Nürnberg, in die Geburtsstadt des charismatischen Politikers, zu fahren, um dort Zeitzeugen seiner Kindheit und Jugend zu befragen. Kissinger hatte einmal gemeint, dass sein Leben in Fürth »ohne tiefe Eindrücke verlaufen« sei. Doch Jean Mendel, der Fürther Kaufmann und Freund Henrys aus Kindheitstagen, glaubte nicht ganz an diese Version des neuen Außenministers: »Der Heinz ist ein cleverer Junge und ein geschickter Diplomat«, erklärte mir Herr Mendel, »heute braucht er Deutschland als wichtigen Verhandlungspartner. Aber ich weiß, dass er sehr stark unter den Nationalsozialisten gelitten hat.«

      Am 15. August 1938 verließ die jüdische Familie Kissinger, bestehend aus Vater Louis, einem Studienrat, Mutter Paula sowie den Söhnen Heinz und Walter die Stadt Fürth fluchtartig, da für sie das Leben im »Tausendjährigen Reich« unerträglich geworden war. Den Vater hatte man bereits 1933 »wegen seiner jüdischen Herkunft« im Alter von 46 Jahren als Geschichts- und Geografielehrer zwangsweise pensioniert, und die Buben waren stets von »arischen« Kindern anderer Schulen verprügelt worden.

      In erster Linie erinnerte sich Jean Mendel an Henrys Fußballleidenschaft. »Wir waren beide im Nachwuchsteam der Fürther Kleeblattelf, das ist die hiesige Spielvereinigung.« Kissinger ließ sich noch als Außenminister von der deutschen Botschaft in Washington die Regionalergebnisse übermitteln und zeigte sich von den Leistungen »seiner« Fürther Mannschaft meist enttäuscht.

      Bela Rosenkranz war Henrys letzte lebende Klassenkameradin, die ich in Fürth noch antreffen konnte. Alle anderen Mitschüler Heinz Alfred Kissingers in der Israelitischen Realschule waren ausgewandert oder von den Nazis ermordet worden. »Vorne, in der ersten Reihe«, wusste Frau Rosenkranz noch, »da sind die Musterschüler gesessen. Aber da war der Heinz nie dabei. Er galt als eher durchschnittlich begabt, und in Englisch war er besonders schlecht, da hatte er ein ›Genügend‹.«

      Das war wohl mit ein Grund, warum Kissinger auch als Nixons Sicherheitsberater und Außenminister immer noch seinen starken deutschen Akzent hatte. Wirklich gut war er nur in Geschichte, erinnerte sich Frau Rosenkranz – in dem Fach, das er vor Antritt seiner politischen Karriere an der Harvard-Universität lehrte.

      Die ehemalige Klassenkameradin wohnte gegenüber von Kissingers Geburtshaus. Heinz hatte das Licht der Welt am 27. Mai 1923 in einer kleinen Balkonwohnung eines zweistöckigen Eckhauses in der Fürther Mathildenstraße 23 erblickt.

      In den USA war es für die Familie Kissinger anfangs schwer. Der Vater musste sich mit allen möglichen Berufen durchschlagen und der bei der Ankunft im Exil fünfzehnjährige Englisch-Schwächling Heinz bereitete sich auf eine Karriere als Buchhalter vor. Er bekam dann aber die Möglichkeit in Harvard zu studieren und nannte sich Henry. Sein Bruder Walter wurde ein erfolgreicher Geschäftsmann.

      Henry Kissinger hat Fürth nach seiner Emigration mehrmals besucht. Zuerst als Soldat der US-Armee und später, 1959, als amerikanischer Universitätsprofessor, der in seiner Heimatstadt einen Vortrag hielt.

      Als

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