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vor sich hin wie ein zufriedenes Baby. Eine Tasse guten Kaffee in der Hand. Gerade denke ich noch, dass alles so ist, wie es sein soll, da fällt ein Schatten auf die vor mir liegenden Blätter. Als ich aufschaue und meine Augen gegen die Helligkeit abschirme, steht er da, schüchtern und mit einem leicht blöden Grinsen im Gesicht.

      »Du erinnerst dich nicht mehr an mich«, sagt er.

      Bestimmt verwechselt er mich mit einem anderen. Wir haben uns in den letzten Tagen zugenickt, wenn wir einander begegneten, in der Kantine oben im Großen Haus oder wenn wir auf dem Gelände unterwegs waren. Jedes Mal hatte ich den Eindruck, er warte darauf, dass ich ihn wiedererkenne, ihn freundlich anlächle und ihn auffordere, sich mit mir zu unterhalten.

      So läuft das aber nicht bei mir. Ich bin hier, weil ich mich zurückziehen, mich abschotten, mich auf meine Arbeit konzentrieren will. In stiller Abgeschiedenheit und auf Eingebung hoffend.

      Jetzt lehne ich mich zurück, schirme immer noch meine Augen ab, und stelle fest, dass er mir unbekannt ist. Ich höre, wie ich mich entschuldige, ich hätte schon immer ein schlechtes Personengedächtnis gehabt; Namen ja, ich hätte nie Schwierigkeiten, mich an die Namen von Leuten zu erinnern, aber Gesichter könne ich mir einfach nicht merken. Tatsächlich stimmt das gar nicht, das Gegenteil ist der Fall, aber selbst wenn es wahr wäre, hätte ich mich an diesen Kerl erinnert.

      »Wahrscheinlich liegt es an der Augenklappe«, sagt er. »Außerdem war ich damals nicht blond.« Er hat sehr kurz geschnittenes platinblondes Haar, ein strahlend blaues Auge wie Paul Newman und breite Wangenknochen. Ich schätze ihn auf Mitte dreißig. »Und ich war ungefähr acht Zentimeter kleiner.«

      Er tritt von einem Fuß auf den anderen. »Ein Mann sollte was hermachen.«

      Ich hätte ihn für einen Dichter gehalten, wenn er nicht diese Motorradstiefel angehabt hätte. Aus irgendwelchen Gründen bevorzugen die Dichter hierzulande bequemes Schuhwerk.

      »Ich nehme an, es ist kein Kaffee mehr übrig?«, fragt er.

      Nur weil ich höflich sein will, und weil ich frischen Kaffee brauche, gehe ich über den Rasen in mein hübsches Häuschen und bereite zwei Tassen Kaffee vor. Während ich darauf warte, dass der Wasserkessel kocht, schaue ich durchs Fenster in den Garten, wo er sich gerade eine Zigarette stibitzt. Jede Wette, dass es nicht mehr lange dauert, bis er zu jammern anfängt, wie schwer er es im Leben hat und keiner ihn versteht.

      Und ich denke noch, Mensch, vielleicht solltest du einfach mal etwas mehr Zeit am Schreibtisch verbringen, ein paar Sachen klären, anstatt dich herumzutreiben, von anderen was einzufordern und ihnen die Zigaretten zu klauen…

      Die Wette: Wenn er innerhalb der nächsten zehn Minuten anfängt, über das Arts Council zu nörgeln, nehme ich mir den Nachmittag frei und gehe zum Angeln an den See.

      Als ich zurück auf die Terrasse komme, starrt er in den Teich.

      »Hören Sie mal«, sage ich. »Das wird jetzt langsam peinlich und…«

      Er dreht sich um, wirft mir einen trotzigen Blick zu. »Karlsson«, sagt er.

      »Und wir haben uns schon mal getroffen«, sage ich zweifelnd und puste auf meinen Kaffee.

      »In gewisser Weise.«

      »Da komme ich jetzt nicht ganz mit.« Gleichzeitig wird mir klar, dass er mich übers Internet kennen könnte, wegen des Blogs, den ich schreibe, in dem es um die neuesten Entwicklungen in der irischen Krimiszene geht. Der Name Karlsson kommt mir nicht bekannt vor. Vielleicht kenne ich ihn unter einem anderen Namen, als virtuelle Identität.

      »Ich würde mich doch an jemanden erinnern, der Karlsson heißt«, sage ich. »Sind Sie Schriftsteller?«

      »Im Moment bin ich der böse Geist.«

      »Ich verstehe schon, deshalb die Augenklappe und so.

      Aber was waren Sie, als wir uns kannten?«

      »Aushilfskraft.«

      »Eine Aushilfe?«

      »So eine Art Mädchen für alles im Krankenhaus.«

      Ich greife nach dem Tabak und drehe mir eine. Nehme einen Schluck Kaffee und warte auf ein Zucken oder eine winzige Andeutung, die ihn verrät. Er starrt mich einfach nur an.

      »Sie sind also dieser Karlsson?«

      »Genau der, ja.«

      »Okay, ich will mal mitspielen. Sie sind Karlsson. Was kann ich also für Sie tun?«

      »Du könntest mir erst mal erzählen, was passiert ist.«

      »Mit Karlsson? Nichts.« Ich erkläre ihm, dass ich die erste Fassung immer ausdrucke und dann für sechs Monate weglege. Ohne Ausnahme.

      »Meinetwegen«, sagt er. »Aber das ist jetzt fast fünf Jahre her. Ich war achtundzwanzig, als du den Text geschrieben hast. Und ich weiß doch, dass du nicht aufgehört hast zu schreiben. Ich hab dein neuestes Buch gesehen, The Big O, es kam vor einigen Jahren in den Buchhandel.«

      »Es hat sich eben alles anders entwickelt. Ist nicht böse gemeint.«

      »Ich hab nie geglaubt, dass du das freiwillig getan hast«, sagt er. »Damit du es weißt: Ich befinde mich hier im Fegefeuer.«

      Er schiebt den Zeigefinger unter die Augenklappe und kratzt etwas weg.

      »Du musst veröffentlichen, sonst bin ich verdammt.«

      Karlsson war eine Aushilfskraft im Krankenhaus, er half alten Menschen, die ihn darum baten, beim Sterben. Seine Freundin Cassie fand es heraus. Dann mischten die Bullen sich ein, weil Cassie anonym mit ihnen Kontakt aufgenommen hatte, bevor sie ihn zur Rede stellte. Die Bullen waren allerdings mehr daran interessiert, wo Cassie nun abgeblieben war.

      »Wie geht’s Jonathan?«, frage ich.

      »Jonathan?«

      »Jonathan Williams. Mein Agent oder ehemaliger Agent. Soweit ich weiß, ist er der Einzige, der das Manuskript je zu Gesicht bekam. Es sei denn, er hat es an einen Außenlektor zur Beurteilung gegeben.«

      Ich vermute, dass dieser Typ hier ein schräges Theaterstück aufführt, indem er die Identität von Karlsson annimmt, einer unveröffentlichten Romanfigur, die durch Raum und Zeit wabert. Nicht dass es mich besonders stört, auf der Bühne könnte es ein ziemlicher Spaß sein, aber es wäre mir lieber, Jonathan hätte mich um Erlaubnis gefragt, bevor er das Manuskript zur Bearbeitung weitergab.

      »Ich kenne keinen Jonathan Williams«, sagt er. »Wie sollte ich auch? Ich befinde mich hier im Fegefeuer.«

      »Stimmt ja. Und dieses Fegefeuer hält Sie davon ab, für die Rechte am Originalstoff zu zahlen?«

      Etwas Dunkles flammt im hellblauen Paul-Newman-Auge auf. »Glaubst du etwa, das hier ist ein Scherz?«

      »Ehrlich gesagt, kommt es mir eher wie eine Tragikomödie vor. Keine ausgereifte Tragödie, aber durchaus anrührend, ja.«

      »Siehst du, genau das ist ja das Problem«, sagt er. »Es ist überhaupt nicht ausgereift.«

      So langsam mag ich ihn. Nicht nur, dass er Karlsson ziemlich gut spielt, er kritisiert auch das Stück, in dem er spielt.

      »Vielleicht haben Sie Recht«, lenke ich ein. »Um die Wahrheit zu sagen, bin ich mir nicht sicher, ob ich jemals die Absicht hatte, es zu veröffentlichen. Es war einfach irgendwelches Zeug, das ich damals schreiben musste, um die leeren Seiten vollzukriegen. Heutzutage schreibe ich Komödien. Zum einen ist es leichter. Und außerdem macht es mehr Spaß. Das Leben ist schon beschissen genug, warum sollen die Leute ihre kostbare Zeit damit verschwenden, solche morbiden Sachen zu lesen.«

      »Moment mal«, unterbricht er mich. »Willst du damit sagen, dass du es nie abgeschickt hast?«

      »Immerhin hab ich es nicht weggeschmissen.« Er hat eine gewisse Ausstrahlung, das muss man ihm lassen, eine Intensität, neben der ich mir zaghaft, lächerlich und kleinmütig vorkomme. »Soll heißen, ich habe es Jonathan gegeben.«

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