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des jungen Otto Wagner. Seinem Wiener Stadtschloss ließ er eine Bibliothek anbauen, er umgab sich mit 40 000 teuer gebundenen Büchern. Die Sammlung von rund 100 000 Papyri, die er in Ägypten erworben hatte, schenkte er der Hofbibliothek (heute Nationalbibliothek), die damit die weltweit größte Sammlung dieser Art besitzt.

      Von alldem wussten die Menschen, mit denen Erzherzog Rainer leutselig und freundlich Tag für Tag umging, nichts oder nur wenig. Der Erzherzog spazierte gerne zu Fuß durch die Stadt, beliebt und unentwegt gegrüßt. »Herr von Rainer« nannten ihn die Marktfrauen. Der Wiener Zeichner und Karikaturist Alfred Gerstenbrand erlebte eine solche Szene als Einjährig-Freiwilliger, als Artillerieoffizierslehrling, und rühmt die chevalereske Höflichkeit dieses Habsburgers: »Also, ich hab auf dem Weg in die Kasern immer über den Naschmarkt gehen müssen. Da hab ich einmal den Erzherzog Rainer getroffen, der ja sein Palais in der Näh’ gehabt hat. Natürlich hab ich mich zusammen gerissen und so stramm wie möglich Front gemacht und salutiert. Er hat sofort die Hand gehoben und mir danken wollen, da sind im nämlichen Augenblick zwei Standlerinnen zu einer Art Hofknicks niedergerauscht und haben geplärrt: ›Küß die Hand, Herr von Rainer!‹ No, und da hat er sich zu ihnen gekehrt und ihnen zuerst gedankt und dann erst mir. Er war halt ein Kavalier.«

      1913 ist er gestorben. Bei seinem Tod sagte Kaiser Franz Joseph I. zu seinem Generaladjutanten Paar: »Er war ja schon ein sehr alter Mann!« Erzherzog Rainer war drei Jahre älter als sein Vetter, der Kaiser, der ihm 1916 gefolgt ist.

      Da stand das Palais schon lange leer. Im Zweiten Weltkrieg kam es zu einigen Schäden, die aber die sowjetische Besatzungsmacht nicht daran hinderten, ihr Offizierscasino dort einzurichten. Nach 1955 hätte sich zwar aus dem ramponierten Prachtbau wieder etwas machen lassen, angesichts der vielen baulichen Verluste auf der Wieden. Doch die Zeit war nicht dafür. 1961 wurde das Palais geschleift. Bis 1965 baute die Reifenfirma Semperit ein Verwaltungsgebäude. Lange gebrauchte die AG dieses Riesenhaus freilich nicht, 1973 konnte sie nur mithilfe des Staates gerettet werden. Dann gab Semperit den Geist auf. Immerhin erhielt dadurch die Bundeswirtschaftskammer einen neuen, geräumigen Sitz.

      Ein gewisser Trost – Semperit sorgte 1961–1965 für Kunst »am Bau« und auch »im Bau«. Erste österreichische Künstler kamen zum Einsatz – Fritz Wotruba, Max Weiler, Paul Flora und Joannis Avramidis.

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      Carl Moll: der alte Naschmarkt

      Der Naschmarkt, den Erzherzog Rainer auf dem Bild von Gerstenbrand durchschreitet, hatte seinen Standort bis 1900 auf der Wieden, zwischen Freihaus, evangelischer Schule und Polytechnicum. 1793 wurde verfügt, alles Obst und Gemüse, das auf Wagen nach Wien geliefert wurde, sei hier zu verkaufen. Hingegen wurde, was über die Donau in die Stadt kam, am Schanzelmarkt angeboten, nahe dem Roten Turm, bei der Schwedenbrücke, ab dem späten 19. Jahrhundert ungefähr beim heutigen Ringturm.

      Als man an die Regulierung des Wienflusses schritt, wurde der Naschmarkt provisorisch verlegt. Das Flussbett verschwand, wurde bis zur Schleifmühlgasse überwölbt. 1902 ließ die Stadt drei Zeilen mit pavillonähnlichen Marktständen errichten, und wie so oft wurde aus dem Provisorium ein Dauerzustand.

      Wäre es nach der Planung der Gemeinde Wien gegangen, so gäbe es den Naschmarkt schon lange nicht mehr. Eine Stadtautobahn sollte vom Zentrum an den Stadtrand führen, und auch der Markt sollte am Stadtrand modern wiedererrichtet werden. Doch die 1970er-Jahre waren nicht nur von erschreckenden Fehlplanungen geprägt, sondern auch von Bürgerinitiativen, die deren Folge waren. Architekten, Architekturstudenten, Journalisten setzten sich zur Wehr, wie eine Schülerin von Gustav Peichl, die spätere Kulturstadträtin Ursula Pasterk.

      Am 27. Juni 1976 wurde in der Arena, dem früheren St. Marxer Schlachthof, das Musical Schabernack uraufgeführt, das den Plan »Autobahn statt Naschmarkt« als Handlungsbasis hatte. Am selben Abend riefen die Schmetterlinge, eine politisch engagierte Folkband um den Autor Heinz Rudolf Unger und den Sänger Willi Resetarits, zu einem »Fest gegen die Schleifung des Naschmarkts«. Die Wucht der monatelang anhaltenden Protestaktionen führte zu kommunalpolitischem Umdenken. So konnte sich das Provisorium von 1902 erhalten, die bewährte Tradition überlebte.

      Längst legendär war die »Frau Sopherl«. Die »Standlerinnen« wirkten in der Stadt, in den Vorstädten wurden sie »Höckerinnen« genannt. Der Wiener Journalist und Dichter Vinzenz Chiavacci (1847–1916) setzte den urbanen Marktfrauen ein literarisches Denkmal. Seine »Frau Sopherl« war deren Ideal – eine starke Frau, selbstsicher, selbstbewusst. Ihr Minnesänger Chiavacci beschreibt sie so: »Eine robuste, wohl gerundete Gestalt mit einem gutmütigen, von derber Gesundheit strotzendem Gesicht, aus dem zwei kluge, muntere Augen blitzen, ein Mund, dessen energischen Linien man ansieht, daß er in ewiger Bewegung ist … Den reichen Wortschatz des Wiener Dialekts und die traditionelle Volksweisheit … beherrscht sie mit souveräner Gewalt, nicht angekränkelt von des Gedankens Blässe.«

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      Frau Sopherl

      Die Standlerinnen waren bekannt für ihre Schlagfertigkeit – und beliebt. Sie umwarben die Kundschaft – »Bitte, schöner Herr, sehr gerne, Frau Baronin!« –, solange man mit ihren Preisen einverstanden war. Begann man zu handeln oder gar zu kritisieren, ging ein Donnerwetter los. Wen es nicht getroffen hatte, der konnte gut lachen über den Wortschwall.

      Meine Urgroßmutter, von Krakau nach Wien umgezogen, kannte die Bräuche noch nicht so genau, ging mit ihrer Köchin einkaufen und lehnte den genannten Preis ab. Einige Schritte – dann kam der Schlag ins Kreuz. Frau Sopherl hatte ihr die beanstandete Melone nachgeworfen, treffsicher. Die Köchin hätte es wohl besser gewusst, blieb aber wohlweislich still. Die Sopherl war solidarisch mit der dienenden Klasse und zielte erfolgreich auf die Herrschaft. Die hatte noch Glück, und es wurde eine durch Jahrzehnte weitergereichte Familienanekdote daraus.

      Im Wienerlied heißt es:

      Drüben am Naschmarkt, auf der Wieden, geht ein Stutzer promenieren.

      Sagt am Standl zur Frau Sophie – sag, was kosten deine Birn?

      Na vier Kreuzer, sagt Frau Sophie zu dem Kerl net verleg’n, doch der will ihr für die Birnen nur zwa Kreuzer niederlegen.

      Bumsti, hat er eine Ohrfeigen und Frau Sopherl sagt zu ihm:

      Ja, auf der Lahmgruab’n und auf der Wieden sein die Birn halt sehr verschieden.

      Dazu ist zu sagen, dass im Urwienerischen »Birnen« auch »Verprügeln« bedeutet. Im originalen Text ist zwar von einer »Sali« die Rede, doch wir bleiben der Sopherl treu.

      Der Naschmarkt liegt am Rande des Bezirks und ist dennoch ein Zentrum der Wieden. Aber er gehört nicht zu ihr – denn der unhaltbare Zustand, dass in Wien irgendetwas nicht klar geregelt ist, wie in Berlin, führte zu einem Gemeinderatsbeschluss im Jahre 2009, der den Wiedner Anteil dem 6. Bezirk übertrug. Die Bezirksgrenze war bis dahin quer durch den Naschmarkt verlaufen, der eine Trinker saß noch auf der Wieden, die einkaufende Ehefrau …

      Wenn man auf der Wieden ein wirkliches Zentrum mit historischen Wurzeln sucht, ist es der kleine Rilkeplatz. Zwischen diesem und dem Hotel Triest an der Hauptstraße stand der Laszlaturm, ein festes Bollwerk, das seinen Namen dem festlichen Einzug des jugendlichen Königs Ladislaus, Laszlo, Postumus nach Wien verdankt. Der Name des kleinen Platzes meint nicht einen direkten Bezug des Namensgebers zur Wieden, er ist Ausdruck der Verehrung. Pure Geschichte ist die Dreiecksform – sie kommt auf der Wieden mehrmals vor und war typisch für Dorfanger des frühen Mittelalters.

      Rilke hat mit seinem Platz nichts zu tun, er kam in Prag zur Welt, in Montreux liegt sein Grab. Aber viele andere berühmte Menschen, Künstler vor allem, haben auf der Wieden gelebt. Aus der Oberpfalz kam der Pionier der deutschen Oper, Christoph Willibald Gluck. Er legte seiner Zeit entsprechend großen Wert auf seinen kleinen Adel, also nannte er sich Chr. W. Ritter von Gluck. Was für ein Ritter war er? Er trug den Speron d’oro, den Orden vom Goldenen Sporn. Der wurde und wird vom Papst verliehen – auch Mozart hat ihn getragen. Aber wir kennen keine Briefe, in denen sich Wolfgang Amadé als W. A. Ritter von

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