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er über ein phänomenales Gedächtnis, das ihm half, jeden Menschen, den er je gesehen hatte, in Erinnerung zu behalten. Besonders beliebt war er bei Künstlern und Wissenschaftlern, von denen er viele in seine private Villa nach Reichenau an der Rax lud, um mit ihnen im Familienkreis angeregte Diskussionen zu führen. Dabei wurde viel gelacht, was die Habsburger unterhaltend und die Geladenen als sehr angenehm empfanden. Steif oder zeremoniös ging es in der Familie Erzherzog Carl Ludwigs nie zu. Dafür sorgte er als Gastgeber, als der er die Kinder als muntere Gesellschafter immer miteinbezog. Sie durften unabhängig von ihrem Alter dabei sein und mitschwätzen. Persönlich führte er jeden Gast durch die Räume des Hauses und zeigte ihm sogar sein Schlafzimmer, in dem die größten Schätze des Hauses verwahrt waren: In einem munteren Durcheinander hingen an allen freien Wandstücken Zeichnungen seiner Kinder, die er alle eigenhändig mit Datum und Erläuterungen versah (»von NN zum x.ten Geburtstag als Geschenk erhalten«) und rahmen ließ.

      Im Unterschied zu Kaiser Franz Joseph liebte Erzherzog Carl Ludwig es, von Frau, Kindern und Schwiegerkindern, dem Enkel Carl, von Schwägern und Schwägerinnen und deren Kindern umgeben zu sein. In Gesellschaft ihm nahe stehender Menschen fühlte er sich besonders wohl. Er hatte früh begonnen, eine Familie zu gründen. Die erste Heirat mit seiner direkten Cousine Prinzessin Margarethe von Sachsen fand 1856 statt. Damals war er 23 Jahre alt und wünschte sich nichts sehnlicher, als bald Vater von zahlreichen Kindern zu werden. Doch der Kindersegen blieb aus. Margarethe erkrankte knapp zwei Jahre nach der Hochzeit während eines Aufenthalts in Monza an einer Infektion und starb innerhalb weniger Tage. Es dauerte lange Zeit, bis Erzherzog Carl Ludwig sich von diesem Schicksalsschlag erholt hatte.

      Vier Jahre nach dem Tod seiner ersten Frau fand er in einer entfernteren Cousine, Prinzessin Maria Annunziata von Bourbon-Sizilien, die Liebe seines Lebens. Ciolla, wie sie in der Familie genannt wurde, schenkte ihm vier Kinder: die drei Söhne Franz Ferdinand, Otto und Ferdinand sowie die Tochter Margarethe. Wenige Tage vor dem ersten Geburtstag der kleinen Tochter starb Maria Annunziata. Obwohl der Schmerz, diese Frau verloren zu haben, noch größer war als nach dem Tod der ersten Frau, entschied sich Erzherzog Carl Ludwig zu einer dritten und letzten Heirat, da er seinen vier kleinen Kindern eine Mutter geben wollte. 1873 heiratete er Prinzessin Marie Theresia von Braganza. Wie die verstorbene Ehefrau Ciolla war sie eine jener dunkelhaarigen Schönheiten, die auch Kaiser Franz Joseph besonders gut gefielen und damals zahlreichen zeitgenössischen Künstlern als Inspiration dienten. Marie Theresia war um 22 Jahre jünger als Erzherzog Carl Ludwig und die erste Frau, der er nicht ins Grab nachschauen musste. Sie kümmerte sich ein Leben lang liebevoll um die vier Stiefkinder und die zwei gemeinsamen Kinder, die Töchter Maria Annunziata (Miana) und Elisabeth.

      Als Erzherzog Carl Ludwig im Februar 1896 gemeinsam mit seiner Frau Marie Theresia und drei Kindern Ägypten und Palästina bereiste, um seinen kranken ältesten Sohn Franz Ferdinand zu besuchen, zog er sich eine schwere Virusinfektion zu. Mit einigen Unterbrechungen auf der Heimreise erreichte er im April seine Heimatstadt Wien. Er starb nur wenige Wochen später in Schloss Schönbrunn, wo er knapp 63 Jahre zuvor das Licht der Welt erblickt hatte.

       Erzherzogin Marie Theresia,

       dritte Ehefrau Erzherzog Carl Ludwigs und Stiefgroßmutter Carls (in den Tagebüchern MTh)

      Obwohl der Enkel Carl, der spätere Kaiser Karl, von der zweiten Frau seines Großvaters abstammte, war für ihn Erzherzogin Marie Theresia die »natürliche« Großmutter. »Natürlich« in doppeltem Wortsinn: Er kannte auf väterlicher Seite nur diese eine Großmutter, und sie war ihm und allen Familienmitgliedern eine heitere und unprätentiöse Gesellschafterin, die wie ihr Ehemann Kinder besonders liebte. Weder von ihr noch von Erzherzog Carl Ludwig ist in den Tagebüchern je das Wort Erziehung zu hören, noch haben die beiden je erzieherische Maßnahmen gesetzt. Das Ehepaar zog die Kinder und den Enkel Carl ausschließlich mit Liebe, Umsicht und Verständnis auf und brachte ihnen die wichtigsten Tugenden – Höflichkeit, Nächstenliebe, Pflichtbewusstsein und Benehmen in Gesellschaft – ganz nebenbei bei. Man lebte dieses Verhalten vor und besprach in Ruhe, wenn es galt, sich auf eine neue Situation vorzubereiten. Wenn jemand einmal einen Fehler beging, wurde das in einem Gespräch mit dem Betroffenen alleine geklärt. Es wurde nicht geschimpft, nicht gedroht und es wurde nicht gestraft. Das hauptsächliche Ziel war es, die Kinder auf einen natürlichen Umgang mit Menschen vorzubereiten. Sie sollten lernen, auch in schwierigen Situationen ruhig und freundlich zu bleiben und den Menschen ihrer Umwelt entgegenkommend und heiter zu begegnen. Ein positiver, lebensfroher Gesichtsausdruck erleichterte jedem Gegenüber die Annäherung.

      Zu den größten Stärken Erzherzogin Marie Theresias zählten Ausdauer und Liebe bei der Pflege kranker Menschen, wobei sie keinen Unterschied zwischen eigenen Kindern, Stiefkindern, Ehemann, Mutter oder Geschwistern machte. Nächtelang wachte sie an Betten von Kranken und wurde dabei selbst nie krank. Ihre Selbstdisziplin ging so weit, dass sie ein eigenes Leiden – sie litt häufig an starker Migräne – nur dann zuließ, wenn die Zeit und die Umstände es erlaubten.

      Innerhalb der Familie benahm sich die temperamentvolle Dame frei und ungekünstelt, sie liebte Sport und jede Bewegung in der freien Natur. Sie hatte zahlreiche Hobbys – Fotografieren und Malen gehörten zu ihren größten Leidenschaften. Ihrer hohen Stellung innerhalb der Kaiserfamilie entsprechend musste auch sie häufig offiziellen Verpflichtungen nachkommen. Nach Kaiserin Elisabeth war sie das ranghöchste weibliche Familienmitglied und hatte wie ihr Mann ständig Audienzen und offizielle Termine, umso mehr, als sich ihre Schwägerin, die Kaiserin, kaum je in Wien aufhielt. Bei diplomatischen Empfängen, bei Bällen, aber auch bei Familiendiners übernahm Erzherzogin Marie Theresia auf Bitten Kaiser Franz Josephs häufig die Rolle der Gastgeberin. Sie war in ihrem Auftreten gleichzeitig majestätisch und einnehmend, aufmerksam, immer eine perfekte Dame und eine interessierte Gesprächspartnerin.

      Als ihr Ehemann Erzherzog Carl Ludwig starb, war sie 41 Jahre alt. Zehn Jahre später folgte dem Vater sein Sohn Otto ins Grab. Er war in einer Zeit, in der man weder Vorsorge noch Medikamente kannte, mit einer aggressiven Geschlechtskrankheit6 infiziert worden, an deren Folgen er starb. Für Erzherzogin Marie Theresia war es selbstverständlich, die Pflege des unheilbar kranken Stiefsohnes zu übernehmen. Bis zu seinem Tod im Jahr 1906 wachte sie unermüdlich an seinem Krankenbett.

      Innerhalb weniger Jahre sollte Erzherzogin Marie Theresia alle Stiefkinder verlieren: Vier Jahre vor Otto war seine Schwester Margarethe verstorben, 1914 folgte als dritter Franz Ferdinand (er wurde in Sarajewo ermordet), 1919 starb der jüngste Stiefsohn Ferdinand. Nur ihre eigenen Kinder, die Töchter Miana und Elisabeth, überlebten die Mutter. Erzherzogin Marie Theresia starb 1944, gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, im Alter von 89 Jahren im Wiener Palais ihres Mannes. Sie war schon lange schwach und bettlägerig gewesen, hielt sich aber für die Hochzeit einer Enkelin mit dem ihr eigenen Willen am Leben. Allerdings nicht, um am Fest teilzunehmen, sondern um die Brautleute nicht an der Hochzeit zu hindern. Ihr Tod hätte sie nach damaligem Brauch um das Trauerjahr verschoben. Als man Erzherzogin Marie Theresia meldete, dass die Trauung vollzogen war, schloss sie nach einem langen und erfüllten Leben die Augen für immer.

       Erzherzog Otto,

       Sohn des Tagebuchschreibers und Vater Carls, des nachmaligen Kaisers

      Wie sein älterer Bruder Franz Ferdinand, wurde auch Erzherzog Otto in den 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts in Graz7 im Palais Khuenburg geboren. Sein Vater hatte sich damals dorthin zurückgezogen, um das Familienleben mit der zweiten Ehefrau Maria Annunziata, fern der Residenzstadt Wien, als Privatmann genießen zu können. Das südlich gelegene Graz hatte er gewählt, weil er dachte, dass dort das Klima für sie, die aus Sizilien stammte, angenehmer wäre als in Wien. Otto und Franz Ferdinand waren noch kleine Kinder, als sie mit der Familie von Graz nach Wien in ein Palais nahe der Innenstadt übersiedelten. Ein Lungenleiden ihrer Mutter, an dem sie seit ihrer Kindheit litt, hatte sich gravierend verschlechtert. Es sollte in Wien von Spezialisten behandelt werden. Zudem ließ Erzherzog Carl Ludwig für sie in dem berühmten Luftkurort

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