Скачать книгу

in dem Hause »Zur Feuerkugel« zwischen der jetzigen Universitätsstraße und dem Neumarkt), wurden diese Zustände leidenschaftlicher Verwirrung im ganzen nur noch gesteigert. Die Stadt machte auf ihn einen bedeutenden Eindruck, die Universität weniger. Gellert war von hypochondrischer Schwäche schon allzusehr niedergedrückt, um dauernd und tief wirken zu können; der Betrieb der philosophischen Lehren war ungefähr derart, wie ihn Mephisto im »Faust« beschreibt, die verknöcherte Juristerei nicht besser. Der literarische Geschmack in Leipzig stand jedoch verhältnismäßig hoch: in solchem Kreise sah der Dichter ein, daß seine bisherigen Versuche nichts wert seien; er warf den größten Teil seiner Papiere ins Feuer und beherzigte fortan den Grundsatz, nur Selbsterlebtes und dieses in möglichst knapper Form zu gestalten. Freilich blieb er auch jetzt noch in konventionellen Gefühlen befangen. Sein Verkehr war nicht durchaus förderlich für ihn: an erster Stelle zu nennen ist hier der elf Jahre ältere Behrisch (s. d.), ein drolliger Pedant, kenntnisreich, aber in zweckloser Tätigkeit seine Kraft vergeudend und zu albernem Widerspruch allzusehr geneigt; anregender waren die Stunden im Hause des Buchhändlers Breitkopf, vor allem aber die bei Adam Friedrich Oeser, dem tüchtigen Maler und Direktor der Zeichenakademie; bei ihm nahm G. Unterricht und gewann durch ihn, den Freund und Anhänger Winckelmanns, Einsicht in wahrhaft lebenweckende Kunstanschauungen. Doch war sein Geschmack nicht einseitig der Antike zugewendet; bei einem Besuch in Dresden (1767) gewann der junge Dichter nicht minder tiefe Eindrücke durch die in der dortigen Galerie reich vertretenen niederländischen Maler, die doch einem ganz andern Kunstideal gehuldigt hatten. Die heißblütige Natur des Dichters verriet sich in seiner Liebe zu Käthchen Schönkopf, der anmutigen filia hospitalis auf dem Brühl, die sich aber schließlich dem eifersüchtigen Ungestüm des drängenden Jünglings entzog, und die bald nach Goethes Wegzug von Leipzig einem andern, dem Dr. Kanne, Herz und Hand schenkte. Durch das ungeregelte Leben der Leipziger Jahre zog sich der junge Dichter eine schwere Erschütterung seiner Gesundheit zu, die sich durch einen Blutsturz und andre Leiden verriet. Sein poetisches Talent war jedoch gewachsen: es gelangen ihm eine Reihe ansprechender lyrischer Gedichte, die freilich zumeist noch im Geiste der herrschenden Anakreontik gehalten waren (vgl. Strack, Goethes Leipziger Liederbuch, Gießen 1893). Die Erfahrungen mit Käthchen Schönkopf verwertete er für das an Gellert sich anschließende Schäferspiel »Die Laune des Verliebten«, und Zustände des Frankfurter Bürgerlebens spiegeln sich in der (zuerst einaktigen) Komödie »Die Mitschuldigen«, die auch in Leipzig bereits z. T. ausgeführt wurde. Aber als ein Schiffbrüchiger verließ G. im August 1768 die Stadt an der Pleiße, und der nach Frankfurt Heimgekehrte, von den Eltern mit Sorge und Beklommenheit begrüßt, kränkelte noch während des ganzen Jahres 1769. In dieser Zeit gewann er bedeutende Anregungen durch Fräulein Susanne v. Klettenberg, die tieffühlende pietistische Freundin seiner Mutter, deren hinterlassene Papiere er später im 6. Buche von »Wilhelm Meisters Lehrjahren« für die »Bekenntnisse einer schönen Seele« verwertete.

      Im Frühling 1770 bezog G. die Universität Straßburg, wo er seine Studien im August 1771 zum Abschluß brachte. Anregender Verkehr mit dem Aktuar Salzmann, dem Senior des Mittagstisches, zu dem G. gehörte, u.a., vor allem aber mit Herder, der als Reisebegleiter des Prinzen von Holstein-Eutin nach Straßburg gekommen war und sich hier einer langwierigen Augenoperation unterzog, gab diesem Straßburger Aufenthalt für Goethes innere Entwickelung entscheidende Bedeutung. Herder erschloß dem jungen Dichter das Verständnis für die Volkspoesie aller Zeiten; er betrachtete die Dichtung als eine Völkergabe, die unter jedem Himmelsstrich und zu jeder Zeit gedeihen könne und insbes. von gelehrter Bildung unabhängig sei; er verstand es, feinfühlend die innersten Geheimnisse der Dichtungen klarzulegen, und er wußte ebensosehr die Poesie des Alten Testaments wie diejenige Homers, Shakespeares oder Ossians, vor allem aber diejenige des Volksliedes aller Zeiten zu verdeutlichen. Diese Lehren Herders waren epochemachend für Goethes Geist, und die rauhe ostpreußische Art und der überlegene Spott Herders trugen vollends dazu bei, das Gemüt des jungen Dichters aufzurühren. Er fand sich selbst, und er lernte an den Grenzen Frankreichs deutsche Art und deutsche Kunst inniger begreifen als in dem galanten französierenden Leipzig. Dazu kam die erste, sein Gemüt vertiefende Liebe, die Liebe zu Friederike Brion (s. d.), der Tochter des Pfarrers in Sesenheim, eine Liebe, deren beseligende Kraft sich in mehreren Gedichten (»Kleine Blumen, kleine Blätter«, »Es schlug mein Herz, geschwind zu Pferd«) wundervoll offenbart. Aber ein Vorgefühl von der Kürze und Vergänglichkeit dieses Glückes trübte die letzten Tage dieser Straßburger Zeit; äußern und innern Rücksichten folgend, löste G. von Frankfurt aus, wohin er im August 1771 als Lizentiat der Rechte zurückkehrte, das einer Verlobung gleichkommende Liebesverhältnis wieder auf, nicht ohne selbst unter dem Treubruch auf das tiefste zu leiden.

      Die nächsten vier Jahre in Frankfurt und Wetzlar sind die ertragreichsten und bedeutendsten in Goethes Leben. Er wurde 28. Aug. 1771 zur Advokatur zugelassen, hatte aber nur wenig zu tun und wurde in dem Wenigen überdies von dem Vater unterstützt. Fast ganz konnte er seine Kraft der Dichtung widmen: vom Oktober bis Dezember 1771 gelang ihm die erste Niederschrift des »Götz von Berlichingen«, den er dann 1773 vollständig umarbeitete und in dieser Fassung veröffentlichte. Dem Shakespeareschen Historienstil folgend, hatte der Dichter hier ein echt deutsches Kulturgemälde von überraschender Lebenswahrheit und Lebensfülle entworfen, ein aller Regeln spottendes Werk von entzückender Frische, durch das eine neue Epoche der deutschen Dichtung eingeleitet wurde (vgl. Minor und Sauer, Studien zur G.-Philologie, Wien 1880; Weißenfels, G. im Sturm und Drang, Halle 1894, Bd. 1).

      Vom Mai bis September 1772 weilte G. in Wetzlar als Praktikant bei dem gänzlich verkommenen Reichskammergericht. In einer literarisch angeregten Tischgesellschaft (darunter Gotter, v. Goué, Kestner) verbrachte er genußreiche Stunden. Vor allem aber kam sein rätselhaft tiefes und leidenschaftliches Gemütsleben zur höchsten Entwickelung in der Liebe zu Charlotte Buff, der Braut Kestners; nur dadurch, daß er rechtzeitig, ohne Abschied zu nehmen, Wetzlar verließ, wußte er der heftigen Erregung Herr zu werden (vgl. Herbst, G. in Wetzlar, Gotha 1881). Nach kurzem Aufenthalt zu Ehrenbreitstein in der Familie der Romanschriftstellerin Sophie v. Laroche kehrte G. nach Frankfurt zurück, wo er eine Reihe von Aufsätzen schrieb, weiterhin an der Herausgabe der »Frankfurter Gelehrten Anzeigen« beteiligt war, zahlreiche dramatische und sonstige Pläne entwarf und zu Anfang des Jahres 1774 in wenigen Wochen die »Leiden des jungen Werthers« niederschrieb, in denen er seine Wetzlarer Erfahrungen, die erschütternde Kunde des am 29. Okt. 1772 erfolgten Selbstmordes von Karl Wilhelm Jerusalem (s. d.) und eigne unerfreuliche Erlebnisse mit Peter Anton Brentano, dem Gatten von Maximiliane, gebornen Laroche, seiner Freundin, verwertete. Dieser Roman, der das erste europäische Buch der deutschen Literatur werden sollte und schnell in alle Kultursprachen übersetzt wurde, ist das großartigste literarische Denkmal des empfindsamen, stillen, tiefen Kulturlebens jener Zeit. Die Verfeinerung des Gefühls bei geringer Kultur des aktiven Willens gelangt in keinem andern Werke so wie hier zum Ausdruck; zugleich aber gewinnt man bei aller krankhaften Schwärmerei des Helden doch einen Ausblick auf gesunde und reine Verhältnisse einer gemütvoll sinnigen Wett (vgl. A. Kestner, G. und Werther, 2. Aufl., Stuttg. 1857; J. W. Appell, Werther und seine Zeit, Leipz. 1855; 4. Aufl. 1896; Erich Schmidt, Richardson, Rousseau und G., Jena 1875). Daneben schrieb G. übermütige dramatische Satiren: den »Prolog zu den neuesten Offenbarungen Gottes« (gegen den Aufklärer Bahrdt), das »Jahrmarktsfest zu Plundersweilern« mit mannigfaltiger literarischer Satire (vgl. M. Herrmann, Jahrmarktsfest zu Plündersweilern, Berl. 1900), den »Pater Brey« gegen Leuchsenring, den »Satyros« gegen die Rousseauschen Naturapostel, »Hanswursts Hochzeit«, »Götter, Helden und Wieland« gegen Wielands »Alceste«. Von groß angelegten Arbeiten blieben »Mahomet«, »Prometheus« und der »Ewige Jude« Fragment, jedes in seiner Art, vor allem der »Prometheus«, von höchster Genialität und eigenartigster Weltanschauung zeugend. Auch vom »Faust« entstanden 1774–75 die meisten Abschnitte des ersten Teils, darunter der erste Monolog, die Szene mit dem Erdgeist, die Wagnerszene, die Schülerszene und fast die ganze Gretchentragödie (die Kerkerszene noch in Prosa). Diese ältesten Abschnitte des Werkes, der sogen. »Urfaust«, sind erst 1887 in einer Abschrift des weimarischen Hoffräuleins Luise v. Göchhausen wieder aufgefunden und durch Erich Schmidt veröffentlicht worden (»Goethes. Faust' in ursprünglicher Gestalt«, Weim. 1887, 5. Aufl. 1901; vgl. Collin, Goethes, Faust' in seiner ältesten Gestalt, Frankf. a. M. 1896; Minor, Goethes 'Faust', Stuttg. 1901, 2 Bde.); sie bilden

Скачать книгу