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Aber, bitte«, unterbrach er sie. »Es ist eine glänzende Position, die man mir in Hamburg anbietet. Ich werde dort weitgehend freie Hand haben, das ist mir ganz wichtig.«

      »Dann müssen wir unser Haus hier aufgeben«, klagte sie. »Wie sollen wir so etwas wiederfinden?«

      »Es wird sich etwas Gleichwertiges finden lassen, Bianca«, beruhigte er sie. »Es werden immer Immobilien angeboten. Ich werde einen Makler beauftragen. Mach dir darum keine Sorgen.«

      »Und dann ein Umzug, du lieber Himmel, das steht wie ein Berg vor mir«, seufzte sie. »Dabei will ich doch ein Konzert vorbereiten für die Musikfestspiele in Heidelberg.«

      »Das sollst du auch. Ich werde dir den Rücken schon freihalten. Sei gut«, bat er und strich mit dem Handrücken über ihre Wange.

      Aber sie war noch nicht fertig mit ihren Einwänden. »Was werden die Kinder dazu sagen, daß sie dann die Schule wechseln müssen?«

      »Darin sehe ich kein Problem«, versetzte Clemens. »Kinder vermögen sich schnell auf etwas Neues einzustellen.«

      Damit sollte er zumindest bei seinen beiden recht behalten. Die sensible Sandra hatte schon längst gemerkt, daß ihr geliebter Vater nicht mehr gern in die Klinik fuhr und abends unfroh zurückkam.

      Und daß sie nun nach Hamburg ziehen sollten, das war doch überhaupt das Größte! Sie lachte, sie klatschte in die Hände.

      »Dann sehe ich doch den Felix mal wieder. Uij, bin ich gespannt, was aus dem geworden ist.«

      »Ist das der, mit dem du manchmal telefonierst«, sagte ihr kleiner Bruder Daniel, der allerdings auch schon ein Schulbub war.

      »Klar. Es gibt doch nur einen Felix.« Aber ihre frohe Miene wurde danach ernst und nachdenklich. »Der hat ziemlichen Kummer«, fügte sie unvermittelt hinzu und schob die feingezeichneten Augenbrauen zusammen.

      »Was hat der für Kummer?« fragte Daniel, wenn auch einigermaßen uninteressiert.

      »Sein Schwesterchen ist viel krank, hat er mir erzählt. Sie hat schon ein paarmal Angina gehabt, und jetzt soll sie was mit dem Herzen haben. – Papa?« Sie sah zu ihrem Vater hin, der von seiner Zeitung aufblickte. »Vielleicht, wenn du erst in Hamburg bist, könntest du der Silvie helfen.«

      »Wer ist Silvie?« fragte Dr. Clemens Fabricius abwesend, denn er hatte nicht hingehört.

      »Die Schwester von Felix, Papa. Um die macht sich seine Mutter ganz viel Sorgen. Seine Mama

      Beate hast du doch auch gekannt. Die war unheimlich nett. Ich weiß noch genau, wie sie ausgesehen hat.«

      »Ja… ja, ich auch«, sagte sein Vater, und das Bild der schlanken Frau mit den warmblickenden braunen Augen stand plötzlich leibhaftig vor ihm. »Und wobei soll ich helfen?«

      Sandra wiederholte, was sie von Felix wußte.

      »Das tut mir leid«, sagte Clemens mit einer Kopfbewegung. »Wie alt ist die Kleine denn jetzt?«

      »Hm, so – zweieinhalb, glaub’ ich«, antwortete Sandra.

      »Wahrhaftig, schon«, entfuhr es ihrem Vater. Man konnte sich doch immer nur fragen, wo die Zeit blieb.

      »Vielleicht kannst du da was machen«, wiederholte sein Töchterchen hoffnungsvoll.

      »Sandra, ich bin kein Kinderarzt, und Frau Eckert wird sicher schon einen guten Arzt haben, der ihrer Silvie hoffentlich helfen kann«, sagte Clemens Fabricius und griff wieder nach seiner Zeitung.

      *

      »Na komm«, ermunterte Nils das Kind und streckte ihm seine große, kräftige Hand hin, damit es sein winziges Händchen hineinlegen sollte. »Ein paar Schritte wirst du doch gehen können.«

      Aber die Kleine schüttelte nur matt den Kopf und ließ sich wieder zurücksinken. »Weh«, klagte sie und deutete auf ihre dünnen Beinchen, die an den Knöcheln und am Handgelenk deutliche Anschwellungen zeigten. Mit einem ungeduldigen Seufzer richtete Nils sich

      auf.

      Dieses blasse, hinfällige Kind – Gott verzeih ihm, aber er konnte es nicht lieben. Es war eine Last für ihn. Tag um Tag, nur Rücksichtnahme auf die kranke Silvie, eine Frau, die ans Haus gefesselt war und sich in Sorge verzehrte. Wahrhaftig, er hatte sich sein Leben anders vorgestellt. »Sie will einfach nicht«, sagte er unwillig zu seiner Frau, die gerade mit einer Wattepackung eintrat, die sie um die erkrankten Gelenke wickeln wollte, wie der Arzt es empfohlen hatte.

      »Sie kann nicht«, betonte Beate mit einiger Heftigkeit. »Wenn du es nur einmal begreifen wolltest, daß sie einfach die Kraft nicht hat. Sie kann doch nichts dafür.«

      »Ich kann auch nichts dafür, daß mir diese ganze Geschichte mehr und mehr unerträglich wird. Wie lange geht das nun schon, und wie lange soll es noch so weitergehen?« gab er bissig zurück.

      »Diese ganze Geschichte«, wiederholte Beate die Worte, die sich ihr ins Herz bohrten. »Es ist unser Kind, Nils!« Wild schüttelte sie den Kopf. Daß er ihr doch nicht zur Seite stand! Warum konnten sie das Leid nicht gemeinsam tragen, sich gegenseitig ein Halt sein?

      Felix, der in der Tür gestanden und Zeuge dieser Szene geworden war, zog sich bedrückt zurück. Es war schlimm, daß er ein krankes Schwesterchen hatte. Aber fast genauso schlimm war es, daß seine Eltern sich nicht mehr gut verstanden, so wie früher.

      Tag und Nacht dachte Beate darüber nach, ob sie Silvie operieren lassen sollte. Ihr Mann überließ ihr die Entscheidung.

      Durch die verschiedenen Anginen, so hatte der Arzt ihr erklärt, hatte Silvie einen Herzklappenfehler erworben. Es waren Veränderungen daran entstanden, die dazu führten, daß die Klappen das Blut nicht mehr richtig von einem Herzteil zum anderen weiterleiteten. Dadurch mußte das kleine Herz verstärkt arbeiten, Herzwasser über den Knöcheln mit Entzündungshitze und Erschöpfungsanzeichen stellten sich ein.

      Immer hatte sie gehofft, daß durch sorgfältigste Pflege, Schonung und die entsprechenden Medikamente der Zustand ihres Kindes sich bessern würde. Die Vorstellung, daß das zarte Geschöpfchen unter das Messer kommen sollte, war ihr schrecklich.

      Aber es gab wohl keinen anderen Ausweg mehr.

      Mitten in diese quälenden Überlegungen einer Mutter hinein kam ein Anruf, mit dem Beate zu allerletzt gerechnet hätte.

      »Fabricius«, sagte eine angenehme Männerstimme. »Spreche ich mit Frau Beate Eckert?« Sie hatte sich nur mit einem müden »Hallo«, gemeldet.

      »Ja –« Sie war so überrascht, daß sie im Moment kein weiteres Wort hervorbrachte.

      »Wie geht es Ihnen, Frau Eckert? Wir haben lange nichts mehr voneinander gehört, nur über unsere Kinder, die nun schon bald keine Kinder mehr sind.«

      »Das ist wahr. Die Jahre fliegen dahin. Aber ist es nicht reizend, daß diese Sandkastenfreundschaft noch besteht?«

      »Gewiß. Bald werden meine Sandra und Ihr Felix sich auch einmal wiedersehen. Ich habe nämlich den Standort gewechselt, ich lebe und arbeite jetzt in Hamburg.«

      »Ach ja…« Beate fiel von einer Überraschung in die andere.

      »Ich dachte, Sie wüßten es schon. Hat Sandra es Ihrem Sohn denn noch nicht erzählt?«

      »Nein – oder doch? Es mag sein, daß ich es überhört habe. Bei mir geht jetzt soviel durcheinander. Ich habe ein krankes Kind, Herr Fabricius.«

      »Das habe ich schon gehört«, sagte Clemens Fabricius teilnahmsvoll. »Was fehlt Ihrer kleinen Tochter denn?«

      Beate erzählte es ihm, und sie sprach auch von ihren Überlegungen, eine eventuelle Operation betreffend. »Sie sind doch Chirurg«, sagte sie. »Würden Sie dazu raten?«

      »Das kann ich natürlich nicht so ohne weiteres beurteilen«, antwortete der Arzt bedachtsam. »In vielen Fällen kann ein erworbener Herzfehler mit Erfolg operiert werden. Eine genaue Untersuchung zur Feststellung

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