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mehr an­stel­len, Liebs­ter«, sag­te sie schließ­lich, um Ra­pha­el die furcht­ba­ren Vorah­nun­gen, die sie be­fie­len, zu ver­ber­gen.

      Sie schlug die Hän­de vors Ge­sicht. Das gräß­li­che Ge­rip­pe des To­des stand vor ihr. Ra­phaels Ant­litz war fahl und hohl wie ein Schä­del, der für die Stu­di­en ei­nes Ge­lehr­ten dem Sch­lund des Kirch­hofs ent­ris­sen wor­den ist. Pau­li­ne fiel Va­len­tins Aus­ruf vom Vora­bend ein, und sie sprach zu sich selbst: »Ja, es gibt Ab­grün­de, die die Lie­be nicht über­win­den kann, aber sie muß in ih­nen ver­sin­ken.«

      Ein paar Tage nach die­ser trost­lo­sen Sze­ne saß Ra­pha­el an ei­nem März­mor­gen in sei­nem Lehn­stuhl. Vier Ärz­te stan­den um ihn her­um, die ihn ans Fens­ter sei­nes Schlaf­zim­mers hat­ten rücken las­sen, wo es hell war, und ihm nach­ein­an­der den Puls be­fühl­ten, ihn ab­klopf­ten und mit schein­ba­rem In­ter­es­se be­frag­ten. Der Kran­ke such­te aus ih­ren Ges­ten und den kleins­ten Fal­ten auf ih­rer Stirn ihre Ge­dan­ken zu er­ra­ten. Die­se Kon­sul­ta­ti­on war sei­ne letz­te Hoff­nung. Die­se höchs­ten Rich­ter soll­ten sein Ur­teil spre­chen: Le­ben oder Tod. Um der mensch­li­chen Wis­sen­schaft das letz­te Wort zu ent­rei­ßen, hat­te Va­len­tin die Ora­kel der mo­der­nen Me­di­zin be­ru­fen. Dank sei­nem Ver­mö­gen und sei­nem Na­men be­fan­den sich die drei Sys­te­me, zwi­schen de­nen sich das mensch­li­che Wis­sen be­wegt, hier vor ihm. Drei von die­sen Dok­to­ren tru­gen die gan­ze ärzt­li­che Phi­lo­so­phie mit sich her­um und re­prä­sen­tier­ten den Kampf, den der Spi­ri­tua­lis­mus, die Ana­ly­se und ein ge­wis­ser spöt­ti­scher Ek­lek­ti­zis­mus un­ter­ein­an­der füh­ren. Der vier­te Arzt war Horace Bian­chon, ein Mann der Zu­kunft und rei­cher Kennt­nis­se, viel­leicht der aus­ge­zeich­nets­te un­ter den neu­en Ärz­ten, der klu­ge und be­schei­de­ne Ver­tre­ter der for­schen­den Ju­gend, die sich an­schickt, die Erb­schaft der seit 50 Jah­ren von der Éco­le de Pa­ris an­ge­häuf­ten Schät­ze an­zu­tre­ten, und die viel­leicht das Mo­nu­ment er­rich­ten wird, zu dem die frü­he­ren Jahr­hun­der­te so­viel ver­schie­de­nes Ma­te­ri­al zu­sam­men­ge­tra­gen ha­ben. Er war ein Freund des Mar­quis und Ras­ti­gnac und hat­te vor meh­re­ren Ta­gen sei­ne Be­hand­lung über­nom­men. Jetzt half er ihm, die Fra­gen der drei Pro­fes­so­ren zu be­ant­wor­ten, die er zu­wei­len mit ei­ni­ger Dring­lich­keit auf die Sym­pto­me hin­wies, die ihm eine Lun­gen­schwind­sucht an­zu­zei­gen schie­nen.

      »Sie ha­ben ohne Zwei­fel sehr aus­schwei­fend ge­lebt, ha­ben, wie man so sagt, ein tol­les Le­ben ge­führt und ha­ben sich auch großen geis­ti­gen An­stren­gun­gen ge­wid­met?« frag­te ei­ner der drei be­rühm­ten Dok­to­ren, des­sen ecki­ger Kopf, wuch­ti­ge Ge­stalt und ener­gi­sches Auf­tre­ten auf eine geis­ti­ge Über­le­gen­heit über sei­ne bei­den Geg­ner schlie­ßen ließ.

      »Ich woll­te mich durch Aus­schwei­fung zu­grun­de rich­ten, nach­dem ich drei Jah­re lang an ei­nem großen Werk ge­ar­bei­tet habe, mit dem Sie sich viel­leicht ein­mal be­schäf­ti­gen wer­den«, ant­wor­te­te ihm Ra­pha­el.

      Der große Arzt nick­te mit dem Kopf als Zei­chen sei­ner Zufrie­den­heit, als hät­te er sich selbst ge­sagt: »Ich wuß­te es!«

      Ein sar­do­ni­sches Lä­cheln glitt über die Lip­pen des drit­ten, des Dok­tor Mau­gre­die. Er war ein aus­ge­zeich­ne­ter Kopf, aber ein Skep­ti­ker und Spöt­ter, der an nichts als ans Skal­pell glaub­te, Bris­set den Tod ei­nes Men­schen zu­ge­stand, dem es aus­ge­zeich­net ging, und wie­der­um mit Ca­me­ris­tus an­er­kann­te, daß ein Mensch noch nach sei­nem Tode wei­ter­le­ben kön­ne. Er fand in al­len Theo­ri­en et­was Gu­tes, schloß sich kei­ner an, be­haup­te­te, das bes­te Sys­tem in der Me­di­zin sei, keins zu ha­ben und sich an die Tat­sa­chen zu hal­ten. Die­ser Panurg, die­ser Kö­nig der Beo­b­ach­tung, der große Dia­gno­s­ti­ker und große Spöt­ter, der Mann der ver­zwei­fel­ten Ver­su­che, mach­te sich jetzt mit dem Cha­grin­le­der zu schaf­fen.

      »Ich möch­te mich gern von dem Zu­sam­men­hang zwi­schen Ihren Wün­schen und sei­ner Ver­klei­ne­rung mit ei­ge­nen Au­gen über­zeu­gen«, sag­te er zu dem Mar­quis.

      »Wozu denn?« rief Bris­set.

      »Wozu denn?« wie­der­hol­te Caméris­tus.

      »Ah! Sie sind sich ei­nig«, mein­te Mau­gre­die.

      »An die­ser Zu­sam­men­zie­hung ist wei­ter nichts Be­son­de­res«, mein­te Bris­set.

      »Sie ist über­na­tür­lich«, sag­te Caméris­tus.

      »Ja, in der Tat«, ver­setz­te Mau­gre­die und nahm eine erns­te Mie­ne an, wäh­rend er Ra­pha­el sein Cha­grin­le­der zu­rück­gab; »so ist zum Bei­spiel die horn­ar­ti­ge Ver­här­tung der Haut eine un­er­klär­li­che und den­noch na­tür­li­che Tat­sa­che, die seit der Er­schaf­fung der Welt die Me­di­zin und die hüb­schen Frau­en zur Verzweif­lung treibt.«

      Wie ge­nau Va­len­tin sei­ne drei Ärz­te auch be­ob­ach­te­te, er ent­deck­te bei ih­nen kei­ner­lei Mit­ge­fühl für sei­ne Lei­den. Alle drei blie­ben nach je­der Ant­wort stumm, ma­ßen ihn mit gleich­gül­ti­gen Bli­cken und frag­ten ihn aus, ohne ihn zu be­dau­ern. Hin­ter ih­rer Höf­lich­keit war küh­le Teil­nahms­lo­sig­keit zu spü­ren. Sei es, daß sie ih­rer Sa­che si­cher, sei es, daß sie in tie­fes Nach­den­ken ver­sun­ken wa­ren, ihre Wor­te flos­sen so spär­lich, so trä­ge, daß Ra­pha­el manch­mal glaub­te, sie wä­ren mit ih­ren Ge­dan­ken wo­an­ders. Von Zeit zu Zeit ant­wor­te­te le­dig­lich Bris­set: »Gut! Schön!« auf alle hoff­nungs­lo­sen Sym­pto­me, die Bian­chon auf­zeig­te. Caméris­tus ver­harr­te in ei­ner tie­fen Träu­me­rei; Mau­gre­die er­in­ner­te an einen Lust­spiel­dich­ter, der zwei Ori­gi­na­le stu­diert, um sie treu auf die Büh­ne zu brin­gen. Das Ge­sicht Bian­chons ver­riet große Sor­ge und trau­ri­ge

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