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Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
Читать онлайн.Название Honoré de Balzac – Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962815226
Автор произведения Honore de Balzac
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
»Er allein, Monsieur. Die Mechanik kennt nichts Einfacheres und nichts Schöneres. Das entgegengesetzte Prinzip, die Expansionskraft des Wassers, hat die Dampfmaschine hervorgebracht. Aber die Expansionskraft des Wassers geht nur bis zu einem gewissen Grade, während seine Nichtkomprimierbarkeit, die eine gewissermaßen negative Kraft ist, notwendigerweise unendlich ist.«
»Wenn dieses Leder sich dehnt«, sagte Raphael, »verspreche ich Ihnen, Blaise Pascal26 eine Kolossalstatue zu errichten, einen Preis von 100 000 Francs für das beste Problem zu stiften, dessen Lösung der Mechanik in jedem Jahrzehnt gelingt, Ihre Nichten und Großnichten auszustatten und schließlich ein Hospital für verrückte oder verarmte Mathematiker zu gründen.«
»Das wäre sehr nützlich«, erwiderte Planchette und fuhr dann mit der Ruhe eines Mannes, der nur in der Sphäre des Verstandes lebt, fort: »Gehen wir also morgen zu Spieghalter. Dieser treffliche Mechaniker hat nach meinen Angaben unlängst eine vervollkommnete Maschine gebaut, mit der ein Kind tausend Bund Heu in seinen Hut brächte.«
»Auf morgen, Monsieur.«
»Auf morgen.«
»Da sage mir noch einer was von der Mechanik!« rief Raphael. »Ist sie nicht die schönste aller Wissenschaften? Der andere mit seinen Onagern, seinen Klassen, seinen Enten, seinen Gattungen und seinen Glasgefäßen voller Scheußlichkeiten taugte zu weiter nichts, als in einem Café die Billardstöße zu markieren.«
Am anderen Tag suchte Raphael ganz vergnügt Planchette auf, und sie fuhren zusammen in die Rue de la Santé,27 ein Name, der von guter Vorbedeutung schien. Spieghalter hatte einen riesigen Betrieb; der junge Mann sah überall rote und donnernde Eisenhämmer. Es war ein Feuerregen, eine Sintflut von Nägeln und Haken, ein Ozean von Kolben, Schrauben, Hebeln, Stangen, Querstücken, Feilen, Muttern, ein Meer von Gußeisen, Holz, Ventilen und Eisenstangen. Die Feilspäne machten das Atmen schwer. In der Luft lag Eisen, die Männer waren mit Eisen bedeckt, alles stank nach Eisen, das Eisen hatte Leben, hatte Organe, es verflüssigte sich, bewegte sich, dachte, indem es alle Formen annahm, allen Launen gehorchte. Durch das Geheul der Blasebälge, das Crescendo der Hämmer, das Pfeifen der Walzen, unter denen das Eisen ächzte, gelangte Raphael in einen großen sauberen und gut durchlüfteten Raum, in dem er die ungeheure Presse, von der ihm Planchette gesprochen hatte, in Muße betrachten konnte. Er bewunderte eine Art gußeiserne Bohlen und Preßwangen aus Eisen, die durch einen unzerstörbaren Kern verbunden waren.
»Wenn Sie siebenmal hintereinander schnell diese Kurbel drehen würden«, sagte Spieghalter und wies auf eine Art Pumpenschwengel aus blankem Eisen, »dann würden Sie eine Stahlplatte in tausend Splitter zersprengen, die Ihnen wie Nadeln ins Fleisch dringen würden.«
»Donnerwetter!« rief Raphael.
Planchette legte eigenhändig das Chagrinleder zwischen die beiden Platten der mächtigen Presse und bediente, voll der von wissenschaftlichen Überzeugungen getragenen Sicherheit lebhaft den Schwengel.
»Auf den Boden, oder wir sind alle des Todes!« schrie Spieghalter mit donnernder Stimme und warf sich selbst flach hin.
Ein schreckliches Pfeifen erfüllte die Werkräume. Das Wasser in der Maschine sprengte das Eisen, schoß in einem Strahl von furchtbarer Gewalt hervor, der sich zum Glück gegen einen alten Schmiedeherd lenkte, den er umwarf, zerschmetterte und herumschleuderte, wie eine Windhose ein Haus erfaßt und mit sich fortreißt.
»Oh«, sagte Planchette in aller Ruhe, »das Chagrinleder ist heil wie mein Auge! Meister Spieghalter, es war ein Sprung in Ihrem Guß oder eine undichte Stelle im großen Rohr.«
»Nein, nein, ich kenne meinen Guß. Monsieur soll nur sein Zeug wieder mitnehmen, der Teufel sitzt drin.«
Der Deutsche nahm einen Schmiedehammer zur Hand, legte das Stück Leder auf einen Amboß und ließ mit der ganzen Kraft, die der Zorn verleiht, einen so furchtbaren Schlag auf den Talisman niedersausen, wie er in seinen Werkstätten noch nie erdröhnt war.
»Er zeigt sich bloß nicht!« rief Planchette und strich über das widerspenstige Leder.
Die Arbeiter liefen herbei. Der Werkmeister nahm das Leder und steckte es in die glühende Steinkohle seines Schmiedefeuers. Alle standen im Halbkreis um das Feuer und beobachteten ungeduldig das Auflodern der von einem ungeheuren Blasebalg angefachten Flammen. Raphael, Spieghalter und Professor Planchette standen in der Mitte dieser schwarzen lauernden Menge. Als Raphael all diese weißen Augen, diese mit Eisenstaub gepuderten Köpfe, diese rußig glänzenden Arbeitskleider, diese behaarten Brüste sah, glaubte er sich in die nächtliche, phantastische Welt der deutschen Balladen versetzt. Der Werkmeister ergriff schließlich das Leder mit einer Zange, nachdem er es zehn Minuten lang im Feuer gelassen hatte.
»Geben Sie es mir«, sagte Raphael.
Der Werkmeister streckte es Raphael wie zum Spaß hin. Der Marquis nahm es einfach in die Hand: es war kalt und geschmeidig. Die Arbeiter schrien vor Entsetzen auf und flohen. Valentin blieb mit Planchette allein in der leeren Werkstatt.
»Kein Zweifel, es sitzt etwas Teuflisches darin!« rief Raphael verzweifelt; »keine Macht der Erde kann mir also einen Tag Leben dazugeben?«