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nicht ahnen, dass Sie heute besonders empfindlich sind.«

      Er hätte mit einer lockeren Bemerkung der Situation die Spannung nehmen können, doch sein Groll wirkte noch immer nach. »Wenn es um meine Arbeit geht, bin ich grundsätzlich empfindlich!«, schimpfte er und ging, ohne sie weiter zu beachten, in den Stall.

      Sie folgte ihm einige Minuten später, da hatte er sich längst wieder abgeregt. Auch sie legte offenbar keinen Wert darauf, den Wortwechsel fortzusetzen, denn sie fragte in ruhigem Ton: »Sie sieht gut aus, die Kleine, oder?«

      »Ja, sehr gut«, bestätigte er. »Hat sie jetzt einen Namen?« Er sah, dass sie errötete, als sie nickte.

      »Und?«, fragte er. Aber gleich darauf wusste er die Antwort, auch ohne dass sie etwas sagte. »Julietta?«, fragte er.

      »Ja, das hat der Baron vorgeschlagen.«

      Ihm war schon aufgefallen, dass sie immer »der Baron« oder »die Baronin« sagte, wenn sie von Sofia und Friedrich von Kant sprach – ganz so, als hätte sie Angst, auf ihre private Beziehung zu ihnen hinzuweisen. Das gefiel ihm. Natürlich hatte er in der Zwischenzeit einiges in Erfahrung gebracht über sie – sie war offenbar das schwarze Schaf ihrer Familie und hierher geschickt worden, weil die Eltern keinen anderen Rat mehr gewusst hatten. Nun, dachte er, wenn sie sie jetzt sähen, würden sie sich wahrscheinlich wundern über ihre schöne, selbstbewusste und zielstrebige Tochter.

      »Warum sehen Sie mich so an?« Ihr Ton klang schon wieder angriffslustig, und mit einem Mal hatte er keine Lust mehr zum Versteckspielen, und so sagte er aufrichtig: »Ich habe gerade darüber nachgedacht, wie schön ich Sie finde.«

      Sie wurde knallrot, dann stieß sie hervor: »Suchen Sie sich gefälligst ein anderes Opfer aus, über das Sie sich lustig machen können!« Mit diesen Worten drehte sie sich um und verließ den Stall mit langen Schritten.

      »Ich Idiot«, sagte Arndt zu Julietta, dem Fohlen, und Anna flüsterte in ihrem Versteck: »Das kann man wohl sagen!«

      *

      »Fritz!«, rief Adalbert von Barrentrop alarmiert, als der Baron ihn anrief. »Wenn du dich bei uns meldest, hat das bestimmt nichts Gutes zu bedeuten. Bitte, sag es gleich: Was hat Julietta angestellt?«

      Baron Friedrich lächelte in sich hinein. Sie hatten Juliettas Eltern bisher von der erstaunlichen Wandlung, die mit ihrer Tochter vor sich gegangen war, nur sehr zurückhaltend berichtet. Wer konnte schon wissen, ob dieser Wandel von Dauer sein würde? Sie wollten Caroline und Adalbert jedenfalls weitere Enttäuschungen ersparen und schreckten daher vor verfrühten Erfolgsmeldungen zurück. Mittlerweile jedoch konnte es überhaupt keinen Zweifel mehr daran geben, dass Julietta zu sich selbst gefunden hatte, und davon sollten sich die besorgten Eltern möglichst mit eigenen Augen überzeugen – zu dieser Auffassung waren Sofia und er bei einem Gespräch an diesem Morgen gelangt.

      »Nein, nein«, erklärte er deshalb eilig, um die Befürchtungen von Juliettas Vater zu zerstreuen, »wir wollten euch nur zu uns einladen am Wochenende, das ist der einzige Sinn meines Anrufs. Dann können wir über alles reden.«

      »Und was heißt das?«, fragte Adalbert, weit davon entfernt, sich durch Friedrichs Worte beruhigen zu lassen. »Ich meine, was heißt ›über alles‹? Sollen wir Julietta dann gleich mit nach Hause nehmen? Da steckt doch etwas dahinter!«

      »Aber nein, es kann keine Rede davon sein, dass wir sie wegschicken wollen. Sie macht Fortschritte, und davon sollt ihr euch überzeugen.«

      Es ging noch ein paar Mal hin und her, bis Adalbert endlich sagte: »Am Wochenende geht es leider nicht, Fritz, aber wir könnten heute kommen – oder wäre euch das zu schnell?«

      »Überhaupt nicht, wir freuen uns«, beteuerte Friedrich, und das entsprach der Wahrheit.

      Er informierte Sofia, die ihrerseits sofort in der Küche Bescheid sagte. Marie-Luise Falkner blühte förmlich auf: Überraschende Besuche stellten eine jener Herausforderungen dar, die sie so liebte!

      *

      »So«, sagte Julietta, »da wären wir, Silberstern.« Sie legte ihm liebevoll eine Hand über die Nüstern. »Und jetzt fängst du an, dich an Herrn Wenger zu gewöhnen, in Ordnung? Er ist ein sehr guter Reiter, du wirst schon sehen.« Sie trat einen Schritt zurück, während Robert Wenger einen Schritt auf den Hengst zu machte.

      Aus den Augenwinkeln sah Julietta Arndt von Claven aus dem Stall kommen, und sie biss sich auf die Lippen. Er musste sie für eine dumme Gans halten, aber wie hätte sie ihm erklären sollen, dass er sie verunsicherte, weil er Gefühle in ihr weckte, die sie bis dahin nicht gekannt hatte? Sie fand ihn attraktiv, er zog sie magisch an, und abends, im Bett, malte sie sich manchmal aus, wie es wäre, sich von ihm umarmen und küssen zu lassen. Sie wusste nicht, was sie von diesen Träumereien halten sollte, aber je mehr sie sich dagegen wehrte, desto häufiger überfielen sie sie.

      Sie riss sich von ihren Gedanken los und konzentrierte sich wieder auf Silberstern, der Anstalten machte, ihr zu folgen. »Nein, nein«, sagte sie. »heute gehst du nicht mit mir, hörst du?«

      Robert Wenger machte noch einen Schritt vorwärts. »Am besten, du gehst ganz weg, Julietta«, sagte er. »Damit er dich nicht mehr sieht.«

      Julietta nickte und zog sich, rückwärts gehend, Schritt für Schritt Richtung Stall zurück – direkt auf den jungen Tierarzt zu, wie ihr nur allzu bewusst war. Aber darum konnte sie sich jetzt nicht kümmern.

      Silberstern legte die Ohren an und wich zurück. »Komm schon, mein Schöner«, lockte Robert Wenger den scheuen Hengst. »Du musst dich allmählich auch an uns gewöhnen, es geht nicht, dass du nur Julietta an dich heranlässt! Komm, dir tut niemand etwas. Wir bewegen uns etwas, das magst du doch gern.«

      Schritt für Schritt näherte er sich dem scheuen Tier, das jetzt ruhiger als zuvor schien. Aber in dem Moment, als Robert Wenger eine Hand ausstreckte, um ihn zu berühren, stieg er auf, keilte aus, traf den Stallmeister an der Schulter, dass es ihn zu Boden schleuderte und wollte dann seitlich ausbrechen.

      Doch wie ein Blitz warf sich Julietta dazwischen. Sie schaffte es, einen Zügel zu ergreifen.

      »Silberstern!«, rief sie. »Ruhig, ruhig! Ich bin ja hier, dir geschieht nichts!«

      Die vertraute Stimme verfehlte ihre Wirkung nicht. Zwar stieg der Hengst noch einmal auf, aber nicht mehr so hoch und bereits sichtlich ruhiger. Unablässig auf ihn einredend gelang es Julietta schließlich, ihn von dem am Boden liegenden Robert Wenger wegzuführen.

      Sie sah, dass sich Arndt von Claven bereits um den Verletzten kümmerte, er telefonierte auch schon nach einem Arzt oder einem Rettungswagen, sie wusste es nicht. Jetzt stürzten einige Pferdepfleger herbei, auch Anna und Christian tauchten plötzlich auf. Die Gefahr war gebannt.

      Nun erst wurden ihr die Knie weich, sie musste sich an die Stallmauer lehnen, Silbersterns Zügel noch immer in der Hand. »Was machst du nur?«, fragte sie den Hengst, der noch ein wenig zitterte. »Alle wollen hier nur dein Bestes, und du stellst dich an, als ginge es dir ans Leben!« Noch während sie das sagte, erkannte sie plötzlich, dass sie sich in den letzten Jahren ähnlich aufgeführt hatte wie Silberstern: Sie hatte niemanden an sich herangelassen und sich letzten Endes selbst am meisten damit geschadet.

      Arndt von Claven kam auf sie zu.

      »Das war mutig«, sagte er. »Er hätte Sie auch treffen können.«

      Sie nickte. »Vielleicht war es eher dumm als mutig, ich habe an die Gefahr gar nicht gedacht. Ich wusste nur, dass er in Panik war, das habe ich in seinen Augen gesehen, und da wollte ich ihm helfen.«

      Er lächelte sie an. Es war ein offenes, bewunderndes Lächeln, das sie erwiderte. »Halten Sie mal«, bat sie und drückte ihm die Zügel in die Hand. »Er wird ruhig bleiben, er hat jetzt begriffen, dass ihm hier nichts geschieht.«

      Verwundert und auch ein bisschen eingeschüchtert sah Arndt den Hengst an, erkannte aber schnell, dass sie Recht behalten würde: Silberstern war nach diesem letzten Akt der Revolte bereit, seine neue Umgebung anzunehmen.

      Robert

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