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wohl geben.«

      »Kommt ein Arzt?«, fragte Julietta.

      »Ja«, antwortete Christian, »Dr. Brocks ist schon unterwegs.«

      »Und jetzt ist er lammfromm«, murmelte Robert Wenger.

      »Können Sie ein paar Schritte gehen, Herr Wenger?«, fragte Julietta.

      »Sicher«, antwortete er verwundert.

      Sie half ihm aufzustehen und führte ihn direkt zu Silberstern. »So«, sagte sie ganz ernst zu dem Hengst, »damit das mal klar ist: Das machst du nicht noch einmal!«

      »Ob er das versteht?«, fragte Arndt, der noch immer die Zügel hielt, zweifelnd.

      Sie nahm ihm die Zügel ab und reichte sie dem Stallmeister. Robert Wenger verzog das Gesicht, nahm die Zügel aber. Alle Umstehenden hielten den Atem an. Was würde der Hengst tun? Mehrere Sekunden vergingen, in denen er sich nicht rührte, dann senkte Silberstern langsam den Kopf und stupste Robert vorsichtig in die Seite.

      »Entschuldigung angenommen«, brummte dieser.

      Daraufhin breitete sich erleichtertes Gelächter aus, was Dr. Brocks, der in diesem Augenblick eintraf, ziemlich verwunderte. Er hatte angenommen, betroffene Mienen am Unglücksort vorzufinden. Aber als Anna ihm erklärt hatte, was vorgefallen war, lächelte auch er. Im Übrigen konnte er nach eingehender Untersuchung eine gute Nachricht verkünden: Robert Wengers Schulter war tatsächlich nur geprellt.

      *

      »Natürlich bleiben Sie zum Abendessen, Herr Doktor!«, sagte der Baron, der mit einiger Verspätung von Silbersterns »Attacke« erfuhr. Nun saß er mit Arndt in der Bibliothek, sie tranken beide einen Kognak.

      »Ich habe doch gar nichts getan, Herr von Kant«, wehrte Arndt ab. »Nur zugesehen habe ich, Julietta hatte die Situation ja voll im Griff.«

      »Man könnte meinen, die Tiere verstehen sie«, murmelte Friedrich. »Und umgekehrt natürlich: Sie versteht die Tiere.«

      »Das tut sie auch«, versicherte Arndt. »Ganz bestimmt.«

      »Herr Baron?« Eberhard Hagedorn erschien an der Tür. »Ein Telefongespräch für Sie, hätten Sie einen Moment Zeit?«

      »Entschuldigen Sie mich bitte, Herr Doktor.«

      »Ich bitte Sie.« Als Arndt allein war, stand er auf und wanderte in der schönen Bibliothek umher. Unglaubliche Schätze standen hier in den Regalen. Er bewunderte gerade eine kostbare Erstausgabe, als sich hinter ihm jemand räusperte. Er drehte sich um und sah sich der Tochter des Barons und Christian von Sternberg gegenüber, die er natürlich beide mittlerweile längst kennengelernt hatte. »Haben Sie sich von dem Schrecken erholt?«, fragte er höflich.

      Anna nickte. »Wir müssen mit Ihnen reden«, sagte sie. »Wegen Julietta.«

      Arndt war so geistesgegenwärtig, ein undurchdringliches Gesicht zu machen. »Aha«, sagte er. »Und was gibt es da zu reden?«

      »Sie müssen ihr sagen, dass Sie in sie verliebt sind«, erklärte Anna altklug, »sonst wird das nie was.«

      Er war so verdutzt über ihre Worte, dass er völlig vergaß, ihr zu widersprechen.

      »Sie ist nämlich auch in Sie verliebt«, setzte nun der kleine Fürst hinzu. »Aber das haben Sie wohl noch nicht bemerkt, oder?«

      »Nnnnein«, gab Arndt zu. »Woher wollt ihr das wissen?«

      Sie beschränkten sich auf ein vielsagendes Lächeln, denn in diesem Moment kehrte der Baron zurück, und das enthob sie einer Antwort.

      »Raus mit euch«, kommandierte Friedrich gut gelaunt, »der Herr Doktor und ich wollen allein miteinander reden.«

      Sie verschwanden ohne jegliche Widerrede, und der Baron wunderte sich, warum Arndt von Claven mit einem Mal so zerstreut wirkte.

      *

      »Tante Sofia, ich habe nichts Schönes anzuziehen«, sagte Julietta. »Ich meine, Dr. von Claven bleibt ja nun zum Essen, Herr Wenger kommt auch, und dann noch meine Eltern – das wusste ich ja gar nicht! Es soll ein kleines Fest werden, aber ich …«

      »Keine Sorge, das haben wir gleich. Komm herein, Kind. Ich habe noch ein wundervolles elegantes Seidenkleid, das zwar schon älter ist, aber noch ganz modern wirkt. Mir passt es schon lange nicht mehr, aber für dich müsste es genau richtig sein.«

      Sie irrte sich nicht. Das zartblaue Kleid wirkte wie für Julietta gemacht, es lag eng am Körper an und betonte ihre hübsche Figur. »So etwas habe ich noch nie getragen«, sagte sie, als sie sich verwundert im Spiegel betrachtete.

      »Schuhe müssen wir noch finden«, meinte Sofia, »warte mal …«

      Nach und nach trug sie eine komplette Abendgarderobe für Julietta zusammen und fragte schließlich: »Darf ich dir die Haare hochstecken und dir ein wenig die Lippen und die Augen schminken?«

      Julietta sah aus, als wollte sie heftig ablehnen, doch sie überlegte es sich anders. »Warum nicht? Ich kann es ja mal versuchen«, sagte sie.

      »Weißt du, Julietta«, sagte Sofia, als sie sich ans Werk machte, »ich freue mich schon auf die Gesichter deiner Eltern und unserer anderen Gäste, wenn sie dich gleich sehen. Ich sage dir: Ihnen werden die Augen übergehen.«

      Als sie ihr Werk vollendet hatte, war freilich Julietta diejenige, der die Augen übergingen. Sie sah ungläubig in den Spiegel. »Das soll ich sein?«, fragte sie.

      Sofia lachte. »Das bist du!«, antwortete sie mit Nachdruck. »Und ich möchte dir jetzt etwas sagen, ganz unter uns: Wir sind stolz auf dich, Julietta, und wir haben dich alle sehr ins Herz geschlossen. Du bist liebenswert, großzügig und klug – besinne dich nur immer auf deine Stärken, dann wirst du schon den richtigen Weg finden.«

      »Danke, Sofia.« Julietta hatte Tränen in den Augen, als sie die Baronin umarmte.

      »Geh jetzt, Kind, ich muss mich auch noch umziehen. In einer Stunde sehen wir uns unten.«

      Julietta hatte ihre Suite schon fast erreicht, als sich ein Schatten von der Wand löste und eine Stimme ihren Namen sagte. Sie stieß einen leisen Schrei aus, dann erkannte sie Arndt von Claven. »Sie haben mich erschreckt!«, rief sie.

      Er sah sie an wie eine Erscheinung, sein Mund stand buchstäblich offen.

      Sie hatte ihr verändertes Aussehen ganz vergessen, deshalb fragte sie mit einem Anflug ihrer alten Ungeduld: »Was ist denn? Warum sehen Sie mich so an?«

      »Weil Sie wunderschön sind, deshalb sehe ich Sie an. Und weil ich verliebt in Sie bin, Julietta, schon seit dem ersten Augenblick. Und weil ich Ihnen das sagen wollte, bevor Ihre Eltern hier eintreffen. Ich sehe Sie an, weil ich Sie küssen möchte und weil ich mir wünsche, dass wir uns nie wieder trennen. Reichen Ihnen diese Gründe – oder soll ich noch mehr nennen? Ich könnte nämlich noch sehr lange so weitermachen.«

      Sie stand ganz still, dann fragte sie zaghaft: »Sie machen sich nicht über mich lustig?«

      Er schüttelte den Kopf und streckte die Arme nach ihr aus. Sie trat auf ihn zu, ergriff seine beiden Hände und sagte staunend: »Ich bin auch in dich verliebt, aber ich hätte es nicht zugegeben, wenn du nicht den Anfang gemacht hättest.«

      »Julietta!« Er zog sie an sich. »Schon als ich dich mit dem Fohlen im Stroh liegen sah, habe ich gedacht: Die oder keine.« Er streichelte ihre Lippen mit seinen, fuhr weiter über ihre Wange bis zur Schläfe und kehrte zu den Lippen zurück, die sich jetzt bereitwillig öffneten. Es wurde ein langer zärtlicher Kuss, in dessen Verlauf die widerspenstige Julietta ihre Stacheln endlich einzog.

      *

      »Ich fasse es nicht, Sofia«, raunte Caroline der Baronin zu. »Wie habt ihr das geschafft? Sie ist bezaubernd! Unsere garstige Julietta ist eine bezaubernde junge Frau geworden – ihr habt ein Wunder vollbracht!«

      »Sie war immer bezaubernd, das hat sie nur sehr gut vor aller Welt versteckt«, widersprach die Baronin.

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