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aber sie hatte einen so starken Lebenswillen, daß sie selbst die Ärzte verblüffte. Es war vieles an Julie, was rätselhaft war und niemand so recht hatte begreifen können. Agnete hatte manchmal das Gefühl, daß es auch David so erging.

      David saß in Gedanken versunken in seinem Sessel, als seine Mutter den Wohnraum wieder betrat.

      »Bobby ist nicht gleich eingeschlafen«, sagte sie.

      »Hat er von der jungen Frau auf dem Friedhof gesprochen?«

      »Es beschäftigt ihn sehr, jetzt meint er, sie sei vielleicht das Christkind. Er hat viel Phantasie. Hatte sie Ähnlichkeit mit Julie?«

      »Für Bobby vielleicht. Ich kann mich in seine Gedanken nicht hineinversetzen…«

      »Dr. Norden kennt eine junge Witwe, die sich als Betreuerin für Bobby eignen würde.«

      »Du kannst ja mal mit ihr reden. Mir ist alles recht, was gut für Bobby ist, und es kommt nur auf ihn an, ob er sie akzeptiert. Du hast ja auch ein gutes Gespür, Mama.«

      »Und du solltest auch mal etwas anderes tun als nur arbeiten.«

      »Was denn schon? Vielleicht auch Skifahren gehen? Jürgen will mich ja oft genug dazu verleiten. Und was wird, wenn mir auch was passiert?«

      »Das solltest du nicht denken. Dem Schicksal kann man nie davonlaufen, David, aber du begibst dich doch nicht wissentlich in Gefahr. Und es muß ja nicht Skifahren sein, du kannst auch mal in ein Konzert gehen oder in die Oper. Das hast du doch früher gern getan.«

      »Julie zuliebe, aber diese modernen Operninszenierungen sagen mir nichts. Ja, in ein gutes Konzert werde ich mal gehen, am liebsten mit dir, aber zusammen können wir ja nicht weg, solange wir keine zuverlässige Betreuung für Bobby haben.«

      »Ich werde gleich am Montag mit Dr. Norden sprechen«, erklärte sie. »Wenn er jemand empfiehlt, ist es in Ordnung.«

      »Hoffentlich bleibt uns Klara erhalten.«

      »Sie ist doch nur zwei Tage weg zur Beerdigung ihrer Tante und froh, wenn sie wieder bei uns ist.«

      »Und wenn sie recht viel erbt?«

      »Das interessiert sie gar nicht. Ich habe ihr zureden müssen, daß sie nicht gleich abends wieder zurückkommt.«

      Sie war froh, daß David jetzt wieder geredet hatte, und er wirkte auch entspannter als in den letzten Tagen.

      »Tut sich was in der Firma?« erkundigte sie sich.

      »Da tut sich immer was. Am Ersten fängt die neue PR-Managerin an. Sie hat Format, und ich hoffe, daß die Kundenbetreuung dann auch besser klappt. Sie macht einen energischen Eindruck.«

      »Wie alt ist sie?«

      »Um die Dreißig, aber sie hat schon Erfolge vorzuweisen. Wecker hat das Gespräch geführt. Er ist ganz hingerissen von ihr. Nun, man wird sehen.«

      Sie sprachen nicht von der Vergangenheit, Julie wurde nicht mehr erwähnt und so versanken sie auch nicht in Trübsinn. Agnete Liborius war ganz zufrieden mit dem Verlauf des Abends.

      *

      Das Ehepaar Behnisch hatte einen anstrengenden und ärgerlichen Tag hinter sich. Der Zustand von Gustav Haemlin hatte sich nicht gebessert, seine Frau hatte nach der Beruhigungsspritze geschlafen. Jenny Behnisch hatte gehofft, daß sie auch die Nacht durchschlafen würde. Aber gegen zehn Uhr wachte sie auf und begann gleich wieder zu räsonieren. Doch Jenny war diesmal vorbereitet und wurde energisch.

      »Wir wollen gleich mal klarstellen, daß ich Sie in die Nervenklinik einweisen lasse, wenn Sie wieder so hysterisch werden wie heute vormittag, Frau Haemlin. Ihre Schwiegertochter ist mir zufällig bekannt und hat nicht das geringste mit dem Zustand Ihres Mannes zu tun. Sie könnten wegen böswilliger Verleumdung belangt werden, wenn Sie solche Unterstellungen und Drohungen nicht lassen.«

      Momentan verschlug es Herta Haemlin die Sprache, aber dann sagte sie anklagend, ob man so mit Erster-Klasse-Patienten reden dürfe.

      »Bei uns gibt es keine Klassen, wenn es um ungerechtfertigte Beschimpfungen geht. Wir sind solchen Wortschatz wie Ihren hier nicht gewöhnt, nehmen Sie das bitte zur Kenntnis.«

      Frau Haemlin erstarrte. »Ich will nach Hause!« stieß sie dann hervor. »Ich bleibe keine Stunde länger hier.«

      »Und was ist mit Ihrem Mann, nehmen Sie den auch mit?« fragte Jenny.

      »Wird er wieder gesund?« ächzte die andere.

      »Ganz gesund nicht mehr, er wird ein Pflegefall bleiben, wenn er die nächsten Tage überlebt, aber Sie erinnern sich hoffentlich, daß ihm schon mehrmals gesagt wurde, welche Folgen seine Lebensweise für ihn haben könnte, wenn er diese nicht ändert. Und ihnen muß das auch gesagt werden.«

      »Wozu sind wir denn reich, wenn wir fasten sollen«, erregte sich Herta Haemlin. Immer wieder mußte sie betonen, daß sie reich waren und demzufolge auch so gewürdigt werden wollten. Sie waren so primitiv, daß es Jenny übel wurde. Aber ihre Standpauke schien doch gewirkt zu haben, denn stöhnend sank Frau Haemlin wieder auf ihr Bett zurück und erklärte, daß sie doch zu schwach sei, um jetzt nach Hause zu fahren. Aber sie konnte sich nicht verkneifen, Jenny zu fragen, ob Jana gedroht hätte, sie anzuzeigen.

      »Sie weiß gar nicht, was passiert ist und daß Sie hier sind. Jeder der Jana kennt, weiß, daß Ihr Gerede völlig aus der Luft gegriffen ist. Sie schaden sich nur selbst damit, Frau Haemlin. Jana ist eine sehr gebildete junge Frau, die die allerbeste Erziehung genossen hat.«

      »Sie scheinen sie ja gut zu kennen«, kam die giftige Erwiderung.

      »Allerdings.«

      Und danach herrschte Schweigen.

      »Der hast du es aber gegeben«, sagte Dieter Behnisch, als Jenny aus dem Zimmer kam.

      »Hast du etwa gelauscht?« fragte sie.

      »Na ja, so ein bißchen. Ich wollte dir zu Hilfe kommen, falls es nötig sein würde, aber das war es ja nicht. Du hast ordentlich Dampf abgelassen.«

      »Es war auch höchste Zeit. Man kann ja nicht alles schlucken.«

      »Wenn sie nichts gegen ihren hohen Blutdruck tut, wird sie auch bald am Ende sein. Es nützt doch gar nichts, wenn man mahnt und verordnet und alles nur in den Wind geredet ist. Er wird an der Leberzirrhose sterben, das wird durch den Schlaganfall noch beschleunigt, und sie könnte tatsächlich in der Nervenklinik landen, denn was ihre Schwiegertochter betrifft, leidet sie an Verfolgungswahn. Sie ist ein ernstzunehmender Fall und neigt zur Gewalttätigkeit.«

      »Diese Protzerei ist auch nicht normal. Sie kann einen auf die Palme bringen. Hoffentlich schläft sie jetzt, wenn sie schon nicht geht.«

      »Woher kennst du Jana Haemlin eigentlich so gut?« fragte er neckend.

      »Durch Daniel, aber ich mußte es einfach sagen, um sie zum Schweigen zu bringen. Es ist unglaublich, was sie der jungen Frau alles anhängt.«

      »Und so was soll es ja leider oft genug geben.«

      »Du bist froh, daß du keine Schwiegermutter hast«, meinte Jenny nachsichtig.

      »So will ich das nicht sagen. Wir haben ja auch schon liebe Schwiegermütter kennengelernt.«

      *

      Jana und Simone verbrachten den sonnigen Sonntag völlig unbeschwert und frei von trüben Gedanken, während es in der Behnisch-Klinik turbulent zuging. Der Zustand von Gustav Haemlin hatte sich rapide verschlechtert, worauf seine Frau nun die Ärzte dafür verantwortlich machte und wilde Drohungen ausstieß, daß sie alle vor Gericht bringen würde, sollte ihr Mann sterben. Sie bekam einen Tobsuchtsanfall, zuerschlug alles, was sie in die Hände bekommen konnte, so daß Dr. Dieter Behnisch sich veranlaßt sah, sie in die Psychiatrie bringen zu lassen.

      »So was haben wir wirklich noch nicht erlebt«, sagte Dieter Behnisch, der so leicht nicht zu erschrecken war, aber Jenny war ziemlich fertig, als nun wieder Ruhe einkehrte. Ihr war es jetzt

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