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Sprechanlage.

      Nach einer Schrecksekunde sagte Silvia: »In Ordnung, Frau Böttcher. Schicken Sie ihn zu mir, bitte.«

      Sie holte tief Luft; nun galt es, sich wieder auf ihren Beruf zu konzentrieren. Zum Grübeln hatte sie noch den ganzen Abend…

      *

      Silvia zuckte zusammen, als das Telefon klingelte. Schon, bevor sie abnahm, wußte sie, daß Robert am anderen Ende der Leitung war.

      »Hallo, Schatz«, rief er gut gelaunt in den Hörer. »Bei mir wird es heute wieder später, also warte nicht auf mich.«

      Silvia stieß ein verächtliches Lachen aus. »Laß mich raten – ein wichtiges Geschäftsessen?«

      »Sei nicht so ironisch. Gib den Kindern einen Kuß von mir, ja?«

      Noch bevor Silvia zu einer Antwort ansetzen konnte, hatte Robert bereits aufgelegt.

      Jana bemerkte sofort den bitteren Zug um den Mund ihrer Mutter und fragte hastig: »Soll ich dir mal das Gedicht aufsagen, das ich für die Schule gelernt habe?«

      »Ja, Schatz, mach das.« Silvia mühte sich ein Lächeln ab und setzte sich. Es hatte ja doch keinen Sinn, zornig zu sein und die schlechte Laune an den Kindern auszulassen.

      Jana baute sich vor Silvia auf und sagte das relativ lange Gedicht ohne zu stottern auf.

      Anschließend klatschte Silvia begeistert in die Hände. »Das hast du wirklich sehr gut gemacht, Jana – und das, obwohl ich dir nicht ein einziges Mal dabei geholfen habe. Sicher bekommst du morgen eine gute Note dafür.«

      Die Kleine strahlte über das ganze Gesicht. Ein Lob von der Mutter war tausendmal mehr wert als ein großzügiges Taschengeld.

      »Bald fangen die ersten Weihnachtsbastelnachmittage für die Eltern an«, sagte sie. »Kannst du nicht auch mal da hingehen?«

      Silvia seufzte und nahm ihre Tochter in den Arm. »Du weißt doch, daß ich immer bis zum späten Nachmittag arbeiten muß.« In Gedanken fügte sie hinzu: Vielleicht wird es bald sehr wichtig sein, daß ich mein eigenes Geld verdiene.

      »Aber andere Mütter kommen auch«, maulte Jana. »Die nehmen sich auch die Zeit.«

      »Andere Mütter arbeiten auch nicht und können sich ihre Zeit frei einteilen. Ich kann doch nicht Klienten fortschicken oder wichtige Gerichtstermine absagen, weil ich zu einem Bastelnachmittag gehe. Das verstehst du, nicht wahr? Du bist doch schon groß.«

      Janas Gesicht leuchtete wieder auf. Wenn ihre Mutter sie für ein vernünftiges großes Mädchen hielt, wurde sie immer ganz stolz. Kleinlaut sagte sie: »Ich weiß ja, daß du eine sehr wichtige Arbeit hast, Mami.«

      »Na, siehst du! So, und jetzt laß uns in die Küche gehen und mal nachsehen, was wir Schönes zum Abendessen machen können. Wo steckt eigentlich Alex?«

      »Der sitzt vor dem Fernseher und sieht sich mal wieder seine Lieblingsserie an«, erwiderte Jana verächtlich, die sich mehr aus schönen Büchern als aus Actionserien im Fernsehen machte.

      Silvia bedauerte einmal mehr, daß sie dem Wunsch der Kinder nachgekommen war, jedem ein eigenes kleines Fernsehgerät gekauft zu haben. Wenn man bei Alex nicht aufpaßte, starrte er stundenlang auf die Mattscheibe.

      »Sag deinem Bruder bitte, daß wir in zehn Minuten essen und er sich die Hände waschen soll.«

      »In Ordnung, Mami!« Sofort stürmte Jana die moderne Freitreppe ins Obergeschoß.

      Silvia machte sich derweil auf den Weg in die Küche. Normalerweise wurde dort nur gefrühstückt, aber wenn Robert nicht zu Hause war, wurden auch die anderen Mahlzeiten dort anstatt in der großzügigen Eßecke im Wohnzimmer eingenommen.

      Seufzend lehnte sich Silvia an den Kühlschrank und schloß die Augen. Es war bereits das dritte Mal in dieser Woche, daß Robert erst spätabends kommen würde.

      Als das Teewasser kochte, entschloß sich Silvia, an diesem Abend auf Robert zu warten – egal, wie spät es werden würde. Sie würde ihn vor die Wahl stellen. Entweder er machte Schluß mit seinem Junggesellenleben oder…

      »Mami, kann ich ein gekochtes Ei haben?« rief Alex, noch im Flur.

      »Ich auch«, echote Jana hinterher.

      Silvia schmunzelte. Sie war froh, daß die Kinder ihre düsteren Gedanken verscheuchten, ohne es zu ahnen.

      »Meint ihr nicht, daß gekochte Eier nicht ein bißchen schwer sind? Wie wäre es mit Rührei?«

      »Au ja!« rief beide wie aus einem Mund. Rühreier mochten sie noch lieber als gekochte Eier.

      »Dann werde ich mal anfangen.« Silvia stellte die Pfanne auf die moderne Cerankochfläche. Solch einen Herd hatte sie sich schon gewünscht, als sich das Haus noch im Rohbau befand. Robert hatte sie ganz allein entscheiden lassen, welche Einbauküche mit welchen Geräten sie haben wollte. Wenn es um Geld ging, war Robert sehr großzügig.

      »Was wollen wir denn am Wochenende machen?« fragte Jana, während sie ohne Aufforderung den Tisch deckte. »Können wir nicht irgendwohin fahren?«

      »Was meinst du denn mit ›irgendwohin‹?« fragte Silvia und schlug die Eier in die Pfanne. »Hast du eine bestimmte Vorstellung?«

      »Zu der Spielzeugausstellung ins Museum«, kam es spontan zurück.

      »Nein, lieber in den Vergnügungspark!« krähte Alex dazwischen.

      »Nun mal langsam, ihr beiden«, gab Silvia sanft zurück. »Soviel ich weiß, ist der Vergnügungspark nur im Sommer geöffnet.«

      »Aber ich will keine ollen Puppen angucken«, sagte Alex verstimmt. »Das ist langweilig.«

      »Dann werden wir uns gemeinsam etwas überlegen, woran wir alle Spaß haben«, schlichtete Silvia schnell. »Es sind ja noch drei Tage bis Sonntag.«

      »Wird Papa denn mitkommen?« fragte Jana plötzlich. »Oder muß er am Sonntag wieder wie letztens arbeiten?«

      Silvia zögerte mit der Antwort. Möglicherweise würde Robert nach dem Gespräch, das sie mit ihm führen wollte, nirgends mehr mit seiner Familie hinfahren.

      »Ich weiß es nicht, Schätzchen. So, jetzt können wir essen.«

      »Kann ich vor dem Schlafengehen noch die Serie mit dem fliegenden Roboter sehen? Bitte, Mami.« Alex sah seine Mutter fast flehend an.

      Jana verzog das Gesicht. »So ein Blödsinn. Einen fliegenden Roboter gibt es nämlich in Wirklichkeit gar nicht.«

      »Prinzessinnen und Zauberer auch nicht!« konterte Alex sofort, denn seine Schwester liebte fantastische Märchen und Geschichten.

      »Jetzt ist aber genug«, schalt Silvia sanft. Sie wußte, daß sich die Kinder nicht ernsthaft stritten, und wenn es darauf ankam, zusammenhielten wie Pech und Schwefel. »Jeder hat eben seine Lieblingssendung oder sein Lieblingsbuch. Also hört auf mit dem Gezanke.«

      »Ich helfe dir nachher, die Küche aufzuräumen«, sagte Jana. »Können wir danach nicht noch eine Partie Mühle spielen, bis es Zeit zum Schlafengehen ist?«

      »Einverstanden.« Silvia war ganz froh über die Ablenkung. Sie hatte sich zwar wie fast jeden Abend Unterlagen aus der Kanzlei mit nach Hause genommen, doch sie würde sich wohl kaum darauf konzentrieren können.

      Als die Kinder schließlich im Bett waren, schaltete Silvia den Fernseher im Wohnzimmer an; die Stille war unerträglich für sie. Mit dem dicken Aktenordner auf den Knien saß sie auf der teuren Ledercouch, ohne einen Blick auf die Unterlagen zu werfen.

      Sie starrte auf den Bildschirm. Ein junges Paar umarmte sich dort und schwor sich ewige Liebe. Genervt suchte Silvia einen anderen Sender. Filme mit verliebten Paaren konnte sie nicht mehr sehen, ohne an ihre unglücklich gewordene Ehe zu denken. Die Zeit, in der Robert sie zärtlich umarmt und gesagt hatte, daß er sie liebte, war schon lange vorbei. Silvia konnte sich kaum daran erinnern, wann er dies zum letzten

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