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Alex ein paar Tage später seine Schwester. »Sie guckt immer ganz traurig.«

      Jana nickte ernst. »Das ist mir auch schon aufgefallen.«

      »Ob ich irgend etwas gemacht habe, das sie so traurig macht?«

      »Bestimmt nicht.« Jana streichelte dem kleinen Bruder über den wilden Haarschopf und dachte an Silvias Gesicht, das neuerdings noch verschlossener als nach dem Gartenfest wirkte.

      »Am besten, wir fragen Mami, was sie bedrückt«, schlug Alex vor. »Vielleicht können wir ihr sogar helfen.«

      »Wir sollten lieber warten, bis sie uns von allein erzählt, was los ist«, entgegnete Jana, doch im stillen nahm sie sich vor, mit der Mutter zu reden, wenn Alex nicht dabei war.

      Die Gelegenheit ergab sich bereits am nächsten Mittag. Alex hatte länger Schule als Jana, und als Silvia nach Hause kam, war er noch nicht da.

      In der Post war ein Brief von dem Anwalt, von dem Jana bereits wußte, daß er ihren Vater bei der Scheidung in drei Monaten vertreten würde.

      Hastig riß Silvia den Brief auf und las die wenigen Zeilen durch. Dann ließ sie das Schreiben kraftlos sinken.

      »Alles in Ordnung, Mama?« fragte Jana zögernd, denn ihrer Mutter stand die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben.

      Silvia faltete den Brief wieder zusammen und steckte ihn in ihre Jackentasche. »Schon gut, mach dir keine Sorgen.«

      »Ich mache mir aber Sorgen – und Alex auch!«

      »Alex…« Silvias Stimme klang hoffnungslos. Sie ließ sich neben ihrer Tochter nieder und sagte: »Du bist doch schon ein großes Mädchen, nicht wahr? Kann ich dir etwas anvertrauen, das du vor deinem Bruder geheimhältst?«

      Jana nickte beklommen; sie wußte, daß sie gleich etwas erfahren würde, was sie eigentlich gar nicht hören wollte.

      Silvia räusperte sich. »Papa möchte wieder heiraten und Alex zu sich nehmen.«

      Janas Augen weiteten sich vor Entsetzen. »Aber das kann Papa doch nicht einfach machen! Dann sehe ich Alex ja nur noch am Wochenende.«

      »Jana.« Silvia holte tief Luft. »Papa wird weit fort in eine andere Stadt ziehen.«

      »Nein.« Ungläubig schüttelte das Mädchen den Kopf. »Nein, Mama, das können wir nicht zulassen.«

      »Ich weiß, mein Schatz. Sonja wird alles tun, um zu verhindern, daß Alex mit Papa gehen muß.«

      »Aber wie will sie das denn machen, wenn er Alex einfach mitnimmt?« In Janas Augen glänzten Tränen.

      »So einfach geht das nicht, da hat der Familienrichter auch noch ein Wörtchen mitzureden.«

      »Aber wenn der nichts dagegen hat?«

      Silvia stand auf. »Wir müssen eben ganz fest daran glauben, daß der Richter ein Herz für Alex hat.«

      »Kann Stefan das nicht entscheiden? Er mag doch Alex sicher auch.«

      »Natürlich mag er ihn, er wollte alles über ihn und dich wissen auf dem Gartenfest. Aber Stefan wird den Fall nicht übernehmen können, fürchte ich.«

      »Aber wieso nicht?«

      »Weil wir uns auch privat kennen. Das nennt man Befangenheit, denn ein Richter muß neutral entscheiden.«

      »Ich glaube, Alex kommt gerade.« Jana wischte sich schnell die Tränen aus den Augen. »Tobi wird nämlich schon ganz unruhig.«

      »Paß auf, ich werde Sonja und Papas Anwalt bitten, daß wir uns mit ihm zusammensetzen. Vielleicht überzeugen wir Papa doch noch mit unseren Argumenten – und du sagst kein Wort zu Alex, verstanden?«

      *

      Mit Herzklopfen saß Silvia ein paar Tage später gemeinsam mit Sonja, Robert und dessen Anwalt Dr. Erhard Clausen gegenüber.

      »Am besten, du überläßt das Reden mir«, raunte Sonja ihr zu. »Antworte nur, wenn du gefragt wirst.«

      Silvia nickte zaghaft; sie würde alles tun, damit ihr Alex nicht weggenommen wurde.

      »Nun, Frau Kollegin Koch«, sagte Dr. Clausen und öffnete einen Aktendeckel. »Was spricht dagegen, daß Herr Kirstein seinen Sohn zu sich nimmt?«

      »Eine ganze Menge, denke ich. Der Junge würde nicht nur seine Mutter und Schwester vermissen, sondern sein gesamtes gewohntes Umfeld. Herr Kirstein hat sich schon zu der Zeit, als die Ehe noch bestand, aus beruflichen Gründen wenig um die Kinder kümmern können – und es ist unzumutbar, die Erziehung des Jungen von einem Tag auf den anderen einer fremden Frau, nämlich der zukünftigen Ehefrau Ihres Mandanten, zu überlassen. Das Wohlbefinden des Kindes hat in diesem Fall eindeutig Vorrang.«

      Dr. Clausen nickte, sagte dann jedoch: »Im Prinzip haben Sie natürlich recht, Frau Kollegin. Aber Herr Kirstein hat als Vater nun mal dasselbe Recht wie die Mutter.«

      »Anfangs schlug mein Mann mir vor, daß ich das alleinige Sorgerecht bekomme«, mischte sich Silvia schnell ein, was ihr einen zornigen Seitenblick Sonjas einbrachte.

      »Mein Mandant hat seine Meinung aber geändert. Seien Sie doch froh, daß er nicht beide Kinder mitnehmen will.«

      Silvia senkte ihren Blick – an Jana würde Robert kein allzu großes Interesse haben.

      »Nun gut, wenn Sie es nicht anders wollen, müssen wir einen Termin beim Familienrichter beantragen, damit Alex selbst gefragt werden kann, bei wem er leben möchte. Mit seinen sieben Jahren ist er schon in der Lage, dies selbst zu entscheiden.« Sonja sah sehr selbstsicher bei diesen Worten aus.

      Dr. Clausen warf Robert einen fragenden Blick zu.

      »Wie sich das Kind entscheiden wird, wissen Sie so gut wie ich«, fuhr Sonja triumphierend fort. »Warum also wollen wir Alex dieses ganze Theater zumuten?«

      Nun erhob Robert die Stimme. »Davon lasse ich mich gar nicht einschüchtern. Hat man denn als Vater in diesem Lande gar keine Rechte?«

      »Beruhigen Sie sich bitte, Herr Kirstein. Wenn Sie darauf bestehen, werden wir versuchen, das Sorgerecht für Ihren Sohn zu bekommen. Aber es wird schwierig, und Frau Koch hat recht: Der Familienrichter wird bei einer Unstimmigkeit den Jungen selber befragen.«

      »Dann soll er das tun«, antwortete Robert mürrisch.

      »Du bist das reinste Scheusal!« zischte Silvia empört. »Hast du denn gar kein Herz?«

      »Hattest du damals ein Herz, als du mich so schamlos angelogen hast?« fauchte er zurück.

      Dr. Clausen und Sonja sahen Silvia erwartungsvoll an. Die wurde rot und sagte mit schleppender Stimme: »Das hat absolut nichts mit Alex zu tun.«

      »Vielleicht sollte ich einigen Leuten mal reinen Wein einschenken, damit sie wissen, was für eine hinterhältige Frau du bist.«

      Silvia erhob sich abrupt. »Komm, Sonja, ich glaube, es gibt nichts mehr zu sagen.«

      Auch Sonja stand langsam auf und warf der Freundin einen fragenden Blick zu. Zu Dr. Clausen gewandt sagte sie: »Ich werde also einen Termin beim Familienrichter vereinbaren, damit er sich mit Alex unterhalten kann.« Dann lief sie hinter Silvia her, die bereits grußlos die Kanzlei von Dr. Clausen verlassen hatte.

      Erst vor der gläsernen Eingangstür des Bürokomplexes holte sie Silvia ein. »Jetzt warte doch mal! Was ist denn plötzlich in dich gefahren?«

      »Ich möchte nicht darüber reden.«

      »Sei nicht albern, du brauchst gerade jetzt jemanden, mit dem du reden kannst. Du kannst dich mir ruhig anvertrauen. Nun, was ist?«

      Silvia blickte sich zögernd um. »Ich möchte es eigentlich niemandem erzählen.«

      »Das solltest du aber. Auf was hat Robert vorhin angespielt?«

      Silvia hob hilflos die Arme. »In Ordnung, du hast gewonnen. Laß uns irgendwohin gehen, wo wir

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