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haben.«

      Der Krankenwagen bog in die Einfahrt, die zur Notaufnahme der Thiersch-Klinik gehörte. Dr. Sebastian Kreis, der Leitende Oberarzt, und Karina Daniel nahmen Franz in Empfang.

      »Karina.« Dr. Scheibler zeigte sein Erstaunen ganz offen. »Hat man Sie denn schon am ersten Tag in die Notaufnahme verbannt?« Er schüttelte den Kopf. »Der gute Professor geht immer härter mit seinen Assistenzärzten um. Ich hatte damals wenigstens einen Monat Galgenfrist, bevor ich hierher mußte.«

      »Hier unten ist wirklich die Hölle los«, gestand Karina lächelnd, während sie mithalf, die fahrbare Trage in die Klinik zu schieben, »und ich frage mich, wie Dr. Kreis da den Überblick behalten kann. Nie hätte ich gedacht, daß es in der Thiersch-Klinik eine solche Menge an Notfällen geben könnte. Man hat ja kaum mal Zeit zum Durchatmen.«

      »Ganz anders als in der Waldsee-Klinik, nicht wahr?«

      Karina nickte, dann lächelte sie wieder. »Ich bin froh, daß ich mich für die Thiersch-Klinik entschieden habe. Vor einer guten Stunde durfte ich schon meine erste Naht machen, und Dr. Kreis hat gesagt, ich dürfte dabeisein, wenn Ihrem Patienten der zentrale Venenkatheder gelegt wird, obwohl das eigentlich nicht zu den Aufgaben der Notaufnahme-Ärzte gehört. Aber oben auf der Station geht es im Moment anscheinend auch ziemlich rund.«

      Dr. Scheibler nickte, dann wandte er sich dem Leitenden Oberarzt zu. »Herr Kollege, Sie stehen hier unten ganz schön im Streß. Wenn Sie sich nicht in irgendeiner Weise auf den Schlips getreten fühlen, dann könnte auch ich den zentralen Venenkatheder legen.«

      »Mein lieber Herr Kollege«, entgegnete Dr. Kreis lächelnd. »Hier unten fühle ich mich nie auf den Schlips getreten, wenn mir jemand die Arbeit abnehmen will.« Er sah zu Franz hinüber und erkannte mit geübtem Blick die Angst in dessen Augen. »Ich glaube, Ihr Patient hat zu Ihnen ohnehin das größte Vertrauen.«

      Der Leitende Oberarzt wies Dr. Scheibler einen kleinen Operationssaal zu, dann ließ er ihn mit Franz und Karina allein.

      »Was geschieht jetzt mit mir?« wollte Franz wissen, doch seine Nervosität war merklich gesunken, seit er wußte, daß Gerrit alles Nötige veranlassen würde.

      »Sie bekommen eine leichte Narkose«, erklärte Dr. Scheibler, dann schob er Franz’ Klinikhemd ein bißchen beiseite und wies auf eine Stelle etwas unterhalb des Schlüsselbeins. »Während Sie in Narkose liegen, werde ich hier einen Venenkatheder einführen. Über diesen Katheder bekommen Sie Blut und Medikamente.«

      Franz schluckte. Die Angst wollte wieder hochkommen, doch da trat schon ein junger Anästhesist herein, um die Narkose einzuleiten.

      Bewundernd sah Karina zu, wie Dr. Scheibler den zentralen Venenkatheder legte, während sie sich bemühte, hilfreich zu assistieren.

      »Was glauben Sie, Gerrit, wird er wieder gesund werden?« fragte sie, als der Arzt fertig war.

      Dr. Scheibler seufzte. »Das steht in den Sternen.«

      *

      »Franz hat Leukämie.«

      Ohne Bedauern sprach Dieter diese Worte aus, doch seine Mutter bemerkte es gar nicht. Die Tatsache, daß Franz Baumgartner so schwer krank war, hatte sie zu sehr geschockt. Und sofort meldete sich bei ihr das schlechte Gewissen.

      »Ich hätte es Conny sagen müssen… schon vor Jahren«, flüsterte sie, und Dieter hörte dabei die Angst aus ihrer Stimme heraus – Angst vor der Wahrheit.

      »Wozu?« entgegnete er, weil er wußte, daß er seiner Mutter damit aus dem Herzen sprach. »Conny hält mich für ihren Bruder. Warum soll man sie mit der Wahrheit verunsichern? Sie hat nie eine andere Mutter als dich kennengelernt, und Franz hat keine Ahnung, daß seine kleine Schwester damals nicht gestorben, sondern von dir und Vater adoptiert worden ist. Keinem von beiden fehlt etwas im Leben. Weshalb solltest du also Schicksal spielen und ihre ganze Welt ins Wanken bringen?«

      Hedwig Krause seufzte. »Wahrscheinlich hast du recht, Dieter, aber… ich habe eben ein schlechtes Gewissen dabei. Damals, als ich Conny zu mir genommen habe, da wollte ich nur meiner Freundin helfen… na ja, mir selbst wohl auch ein bißchen. Ich konnte keine Kinder mehr bekommen und wollte zu meinem Jungen«, sie streichelte Dieter zärtlich über die Wange, »ich wollte, daß du ein Schwesterchen bekommst.« Sie seufzte wieder. »Allerdings… manchmal denke ich, Conny hätte ein Recht darauf, zu erfahren, daß sie einen leiblichen Bruder hat.«

      »Sie hält mich für ihren leiblichen Bruder«, entgegnete Dieter. »Vergiß das nicht, Mama. Conny hat keine Ahnung, daß sie adoptiert wurde, und es hat keinen Sinn, es ihr ausgerechnet jetzt zu sagen. Zu dem Schmerz, wenn sie erfahren müßte, daß du nicht ihre wirkliche Mutter bist, würde auch noch der Kummer über ihren todkranken Bruder kommen.«

      Hedwig Krause nickte etwas halbherzig. Sie war nicht restlos überzeugt, das Richtige zu tun. Allerdings hatte Dieter zumindest in einem Punkt recht: Jetzt war wohl der ungünstigste Zeitpunkt, Cornelia die Wahrheit zu sagen. Franz war schwerkrank, und niemand konnte vorhersagen, ob er überhaupt überleben würde.

      »Wenn er wieder gesund wird, dann sage ich es ihr«, beschloß Hedwig schließlich. »Ich will nicht, daß Conny leidet, aber sie hat andererseits auch ein Recht zu erfahren, wer sie ist.« Sie schwieg kurz. »Es muß nicht ausgerechnet jetzt sein.«

      *

      Seit fast drei Monaten arbeitete Annemarie nun schon in der Waldsee-Klinik. Der Dienst war anstrengend, obwohl sie von ihren Kolleginnen tatkräftig unterstützt wurde. Ihre knapp bemessene Freizeit verbrachte sie ausschließlich an Franz’ Bett, was zusätzlich an ihren Kräften zehrte. Dazu kam, daß sie ganz deutlich sah, wie es ihrem Verlobten immer schlechter ging. Über den dicken Katheder, den Dr. Scheibler ihm gelegt hatte, bekam er ständig frisches Blut und Zytostatika. Letztere verursachten Übelkeit und Haarausfall, wie auch die Bestrahlungen. Und die Injektionen, die zur Abtötung der leukämischen Zellen in der Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit direkt dorthin gegeben wurden, waren äußerst schmerzhaft.

      In den Wochen seit seiner Einlieferung in die Thiersch-Klinik hatte Franz fast zehn Kilo Gewicht verloren und sah nun auch so krank aus, wie er es tatsächlich war. Aus diesem Grund hatte sich Annemarie bisher gescheut, ihm etwas von ihrer Schwangerschaft zu erzählen. Franz hatte genug mit seiner eigenen Krankheit zu kämpfen, da mußte sie ihn nicht auch noch mit dieser Schwangerschaft belasten, die zu gar keinem ungünstigeren Zeitpunkt hätte kommen können.

      »Annemie.« Franz’ Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, dann griff er nach ihrer Hand. »Ich will hier ’raus.«

      Völlig fassungslos starrte Annemarie ihren Verlobten an. »Franzl, das… das wäre ja…« Sie schüttelte den Kopf. »Nur hier kann man dir helfen.«

      »Nein«, entgegnete er leise. »Es ist ein Hinauszögern, weiter nichts. Dieter sagt das auch. Er sagt, ich vergeude hier bloß wertvolle Zeit… Zeit, die ich mit dir verbringen könnte.«

      Wieder schüttelte Annemarie heftig den Kopf. »Du weißt, wie sehr ich Dieter schätze, aber in diesem Punkt bin ich nicht seiner Meinung. Professor Thiersch tut alles, um dir zu helfen, und Dr. Scheibler sagt auch…«

      »Annemie«, fiel Franz ihr ins Wort. »Ich weiß, daß ich sterben muß. Ich sterbe ja schon jeden Tag ein bißchen mehr.« Er schwieg, als müsse er für seine nächsten Worte Kraft sammeln. »Ich will die Zeit, die mir noch bleibt, mit dir verbringen.«

      Da legte Annemarie ihre Hände um sein Gesicht. Es fühlte sich heiß an, und sie wußte, daß er noch immer leichtes Fieber hatte. Das würde sich bis zu seinem Tod wohl auch nicht mehr ändern.

      »Dieter hat unrecht«, sagte sie eindringlich. »Du darfst nicht davonlaufen, Franzl, du mußt kämpfen, Franzl – für uns… für dich, für mich und… und für unser Baby.«

      Aus weit aufgerissenen Augen starrte er sie an. »Unser… Baby?« Er schüttelte den Kopf. »Nein, Annemie, sag… sag, daß es nicht wahr ist.«

      Liebevoll küßte sie ihn. »Doch, Franzl, es ist wahr. Ich wollte es dir nicht sagen,

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